DAS GLITZERN der Sonne in einer Wasserpfütze nach einem Wolkenbruch: Dr. Biyon Kattilathu liebt solche Momente, weil sie wie Hoffnungsfunken im Alltag leuchten und uns beflügeln. Und genau das ist die Kunst, die ihn als Coach für persönliche Potenziale zum Star gemacht hat. Sein brillantes Buchdebüt gleicht einem Basar der Lebenserfahrungen: 100 % Biyon, Sohn indischer Einwanderer, einst jüngster Schwarzgürtelträger Deutschlands, Meister im Taekwondo, Motivationstrainer und Bollywood-Fan, der Mut zu Gefühlen im echten Leben macht.

Sie wirken wie der lebende Beweis für das Sprichwort: Früh übt sich, wer ein Meister werden will. Wie kamen Sie damals als kleiner Junge zum Kampfsport? Und wann und wie haben Sie es zu Deutschlands jüngsten Schwarzgurtträger im Taekwondo gebracht?
Mein Vater hat mich als kleinen Knirps gesehen, wie ich vor dem Fernsehgerät stand und begeistert Bruce-Lee-Filme geschaut habe. Ich habe dann immer „mitgekämpft“, was zur Folge hatte, dass auch das TV-Gerät nicht verschont blieb und ich es ab und an vom Regal trat. Mein Vater hat mich dann, ohne mein Wissen, im Taekwondo-Verein angemeldet. Sein Kommentar: „So, hier kannst du all deine Energie rauslassen.“ Mit elf Jahren wurde ich dann jüngster Schwarzgurtträger Deutschlands. Ganz ehrlich, der Weg dorthin klingt nicht wirklich spektakulär: Fleiß, Disziplin, Wille und Fokussierung auf die eigenen Stärken.

Welche Bedeutung hat der frühe Rekord für Sie im Rückblick? Eine schöne Episode in Ihrem persönlichen Erinnerungsalbum oder eine Erfahrung, vielleicht sogar ein Schlüsselerlebnis, das Sie stark geprägt hat?
Dieser Rekord selbst war, wie fast alles im Leben, nur ein kurzes freudiges Ereignis. Der Weg dorthin hat mich viel mehr geprägt. Ich lernte, was es heißt, nach Niederlagen wieder aufzustehen oder wie Kämpfe im Kopf entschieden werden. Ich bin mir sicher, dass sich vieles aus dieser Zeit auch im Buch wiederfindet. Manches bewusst und manches unbewusst.

Jedenfalls klingt der Taekwondo-Rekord wie eine Glücksgeschichte – also Ihr Spezialgebiet. Was begeistert Sie so daran?
So unterschiedlich Menschen auch sein mögen: Jeder möchte glücklich sein. Und ich bin mir sicher, dass es das Geburtsrecht jedes Menschen ist, glücklich zu sein. Und so verschieden „Glück“ auch wahrgenommen werden mag, so gibt es doch einige Dinge, die uns alle verbinden und in dem Buch thematisiert werden: Liebe, Familie, Gedanken oder Dankbarkeit … Ich habe einfach Spaß an dem Gedanken, dass der Leser oder die Leserin das Buch nach dem Lesen etwas glücklicher aus der Hand legt.

 

„Für mich bedeutet diese Liebe vor allem mein Leben …“

Auf der Bühne erzählen Sie gern die Glücksgeschichte Ihrer Eltern, die sich 1972 in ihrer alten südindischen Heimat kennenlernten, in Kerala. Eine Liebe auf den ersten Blick, die sich eigentlich verboten hätte … Aber das Ergebnis sehen wir ja an Ihnen. Was macht die Geschichte für Sie so besonders?
Aufgrund des Kastensystems hätte es diese Liebe gar nicht geben dürfen. Gott sei Dank haben meine Eltern aber ihr Herz und nicht den Kopf sprechen lassen. Wir finden uns heutzutage oft selbst in einem „Kastensystem-Denken“ wieder: Wir verurteilen schnell, hegen Vorurteile… Für mich bedeutete diese Liebe vor allem mein Leben, das es sonst nicht gegeben hätte. Außerdem hat mir diese Geschichte gezeigt, dass vollständige Akzeptanz und Toleranz unter den Menschen immer noch die schönste Liebesgeschichte ist.

Auch Ihr druckfrisches Buch führt nach Indien, genauer gesagt: nach Delhi. Was lässt sich dort besser veranschaulichen als vor der eigenen Haustür?
Ich war bereits einige Male in Delhi und habe diese Stadt als kleiner Junge im Alter von 10, 11 Jahren zum ersten Mal kennenlernen dürfen. Ich weiß noch genau, wie mir diese Stadt direkt den Atem raubte. Und das lag nicht nur am Smog. Die Farben waren intensiver, die Gerüche waren intensiver, die Musik auf den Straßen war intensiver … Jedes Sinnesorgan von mir erlebte einen Höhenflug in Delhi. Die Geschichte spielt dort, weil ich jeden Leser und jede Leserin mitnehmen möchte auf diese Reise. Ich möchte dieses Lebensgefühl vermitteln, das jeder kennt, der schon mal an einem Ort war, an dem man sich dachte: Wow! Dieses Gefühl lässt uns schweben und so macht jeder Leser und jede Leserin zwar eine Reise durch Delhi, aber im Endeffekt eine Reise zu sich selbst.

Ihr Buch verstehen Sie als Einladung. Was erwartet uns? Oder bewährt sich eher Offenheit bei der Fahrt ins Blaue?
Offenheit bewährt sich definitiv. Bewährt sich doch fast immer, oder? J Vor allem nicht nur Offenheit der Reise im Buch betreffend, sondern auch allen Gefühlen gegenüber, die sich nach und nach beim Lesen ergeben werden.

Beim Lesen machen wir uns auf die Reise mit Rahul. Was macht ihn unter den zahllosen Rikschafahrern zu etwas Besonderem?
Rahul ist nicht besonders. Oder andersherum: Er ist so besonders wie jeder von uns. Was ihn aber ausmacht, ist die Eigenschaft, dass er sehr empathisch ist und Dinge sehr bildlich erklären kann. Auf einer Party würde ich sagen: „Das ist Rahul. Ein super Typ. Hör ihm mal zu. Du wirst es nicht bereuen.“

„Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.“

Wieviel Biyon Kattilathu steckt eigentlich in Rahul? Welche Gemeinsamkeiten gibt es?
Oh, da steckt eine Menge Biyon Kattilathu in Rahul. Ihm macht es auch Spaß, Menschen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Er hat auch Freude daran, wenn Menschen nach jeder Begegnung mit ihm glücklicher weitergehen. Im Gegensatz zu Biyon Kattilathu ist Rahul allerdings geduldiger und singt besser.

Zum Ziel bringt Rahul seine Fahrgäste in einer Rikscha – einer von rund 80.000 in Delhi, aber dennoch etwas Besonderes. Wodurch?
Die Rikscha ist so intim, so lebendig. Sie hat keine Fenster und lässt den Gast am Leben um ihn herum teilhaben. Der Einstieg in die Rikscha ist mit dem Moment vergleichbar, in dem wir die Augen schließen und uns auf unsere Gedanken und Gefühle einlassen. Manchmal etwas beängstigend, aber fast immer sehr lehrreich.

„ … der dankbare Mensch ist glücklich!“

Rahuls Rikscha hat den schönen Namen „Nanni“ (zu Deutsch „Danke“) Welche Überzeugung steht dahinter?
Ich lebe getreu dem Motto: „Nicht der glückliche Mensch wird dankbar, sondern der dankbare Mensch ist glücklich.“ Ich bin sehr bemüht und meistens auch sehr erfolgreich darin, den Tag sehr dankbar zu leben und zu erleben. Ein Dankbarkeitsbuch führe ich nicht, habe aber zum Beispiel jeden Tag meinen Wecker auf 21 Uhr gestellt. Dieser Wecker heißt nicht Wecker, sondern ich habe ihn umbenannt in „Ich bin dankbar für …“ Jedes Mal, wenn der Wecker klingelt, denke ich über die Menschen und Momente nach, für die ich an diesem Tag besonders dankbar war. Wenn er heute klingelt, dann bin ich dankbar dafür, dass die Knieschmerzen meiner Mutter nach ihrer OP fast vollständig verschwunden sind.

Die Atmosphäre überlässt Rahul nicht dem Zufall, sondern er hat ein Faible und ein Händchen für kleine Inszenierungen. Was gefällt Ihnen daran?
Rahul liebt es, wenn der Fahrgast sich wohlfühlt, kümmert sich um die Farbstimmungen in der Rikscha und um Musik. Er weiß, dass kleine Dinge eine große Wirkung haben können. Er weiß, dass „verdienen“ von „dienen“ kommt, und dient dem Fahrgast voll und ganz, so wie das Buch dem Leser und der Leserin dienen soll. Für uns bedeutet das: Wenn wir andere um uns herum etwas glücklicher machen wollen, dann braucht es oft nur Kleinigkeiten und das volle Verständnis für unser Gegenüber.

„Tanzen, solange die Musik noch spielt!“

Rahul ist riesiger Fan von Bollywood. Sie ebenfalls? Was ist für Sie das Tolle daran? Wie beflügelt es das Lebensgefühl?
Bollywood bedeutet zu tanzen. Vielleicht manchmal zu viel, aber lieber zu viel als zu wenig. Oder gar nicht. Bollywood bedeutet für mich, zu tanzen solange die Musik noch spielt. Jetzt spielt sie. Worauf warten wir also noch?!

Rahul freut sich über jeden neuen Fahrgast – nicht nur wegen der Einnahmen. Was verspricht oder erhofft er sich noch?
Er erhofft sich dasselbe, was er seinen Gästen verspricht: Ein Lebensgefühl. Er lebt, so gut er kann, im Hier und Jetzt. Und dementsprechend will er einfach viele schöne Lebensmomente sammeln.

Zu Rahuls regelmäßigen Fahrgästen zählt Prof. Devi. Warum ist er für Rahul wichtig?
Wie für jeden von uns, gibt es auch für Rahul bestimmte Menschen, die wie Mentoren für ihn fungieren. Und wie im echten Leben trifft man auch manche Menschen öfter als andere. Schicksal? Zufall? Man weiß es nicht …

Rahul behält im Rückspiegel nicht nur den Verkehr im Blick, sondern auch seine jeweiligen Fahrgäste. Warum ist ihm das so wichtig?
Da müssen Sie Rahul fragen 😀 Rahul ist einfach ein Mensch, dem der Mensch sehr wichtig ist. Und so wie wir auch kümmert er sich um seine Mitmenschen und schaut ab und zu nach dem Rechten.

Besonders gut kann Rahul etwas, das selbstverständlich wirkt, es aber offenbar nicht ist: zuhören. Sie unterscheiden da hauptsächlich zwischen zwei Arten. Welchen?
Rahul kann sehr gut zuhören, um zu verstehen. Viele Menschen hören zu, um zu antworten. Der Unterschied ist, dass Rahul mit Leib und Seele zuhört. Er fragt nach und will wirklich wissen, wie es seinem Gegenüber geht. Wenn wir zuhören, um zu antworten, dann reden wir im Endeffekt nur von uns. Wenn ich jemanden frage, was er gemacht hat und er sagt, dass er heute Sport gemacht hat, dann kann ich ihn fragen, was er genau gemacht hat. Das ist Zuhören, um zu verstehen. Wenn derjenige mir sagt, dass er Sport gemacht hat und ich sage: „Ich habe es heute nicht zum Sport geschafft“, dann rede ich vom Zuhören, um zu antworten.

Jeder von Rahuls Fahrgästen hat sein persönliches Päckchen zu tragen. Wie haben Sie die einzelnen Typen und deren Lebensumstände oder akute Sorgen ausgewählt?
Ich kriege jeden Tag hunderte Nachrichten mit Sorgen und Fragen auf meinen Social-Media-Kanälen. Natürlich kann ich nicht alle einzeln beantworten. Mit diesem Buch gebe ich die Antworten auf die Fragen, die viele tausende Menschen mir gestellt haben.

„Ja sagen zu den eigenen Gefühlen.“

Ihre Erste-Hilfe-Maßnahme für Menschen wie den jungen Berliner Stephan, dem Liebeskummer zu schaffen macht?
Trauer zuzulassen. „Ja“ zu sagen zu seinen Gefühlen…

Glückssache, mit welchem Fuß wir morgens aufstehen?
Glücksache ist, dass wir überhaupt aufstehen. Eigentlich sollten wir jeden Morgen in einem Jubelschrei ausbrechen, dass es uns noch gibt!

Was war Ihr persönlicher Ausgangspunkt beim Schreiben? Woraus schöpfen Sie?
Das habe ich mich auch gefragt. Eine Antwort habe ich nicht gefunden. Es ist wahrscheinlich die Mischung aus meiner Erfahrung, meinem indischen Hintergrund und der Tatsache, dass ich Menschen über alles liebe.

Sie kommen immer wieder auf Kinder zu sprechen, die manches ganz selbstverständlich tun. Was können wir Erwachsenen mit unserer typischen Selbstkontrolle von Kindern lernen?
Wir können sie anschauen und uns klarmachen, dass all diese Freiheit, all dieser Mut, all diese Liebe, all diese Vorurteilslosigkeit in uns schlummert.

Rahul singt ja anscheinend ungeniert, wenn er unterwegs ist. Sie auch? Und wenn ja: Was? Und was ermutigt Sie dazu?
Oh ja! Ich singe so ziemlich alles. Und wer mich mal live erlebt hat, der kann das mit einem Schmunzeln bestätigen. Ich singe aber immer dreistimmig: Schräg, falsch und glücklich!

Welche Rituale pflegen Sie für Ihr Wohlbefinden? Und was hat es mit Ihrer „Hour of Power“ auf sich?
Zähneputzen gehört definitiv dazu. Ich bin überzeugt davon, dass ein guter Start in den Tag die Grundlage für einen tollen Tag ist. Meine Hour of Power ist die erste Stunde nach dem Aufstehen. Ich bringe erst meinen Körper in Schwung, dann meinen Geist … Und danach gehört der Tag mir! Also meistens zumindest …

Ihr Anspruch an sich selbst als Coach? Was möchten Sie bewegen?
Ich bin kein klassischer Coach. Es gibt großartige Coaches, die das ganz wunderbar machen. Mein Beruf ist es „Biyon“ zu sein. Und Biyon möchte einfach nur Menschen inspirieren. Mit seinen Videos, live auf Tour und jetzt mit diesem Buch.

Die Quintessenz Ihres Buches, also die Botschaft, die Ihnen am meisten am Herzen liegt?
Das wird jeder Leser und jede Leserin für sich selbst entscheiden. Ich möchte, dass jeder glücklicher ist als vor dem Lesen dieses Buchs. Das ist mein Versprechen.

Und Ihr eigenes Lebensmotto?
Ich stimme Mahatma Gandhi zu, wenn er sagt „Sei du selbst die Veränderung, die du dir für diese Welt wünschst.“