Die umwerfende Idee: Ein Buch entwerfen, das keine fertige Geschichte erzählt, sondern zum Erzählen einlädt, Fragen stellt und auf Antworten hofft. So schuf Elma van Vliet 2004 eine ganz neue Form des Schenkens. Zwischenzeitlich sind schon Millionen Exemplare ihrer „Erzähl mal!“-Bücher zwischen Familienmitgliedern ausgetauscht und mit Erzählungen gefüllt worden. Elma van Vliet ist überzeugt: „Das schönste Geschenk, das man seinen Liebsten machen kann, ist, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen.“
Ihr Erfolgsprojekt „Erzähl mal“ hat einen persönlichen Ursprung. Wie hat alles begonnen?
2004 wurde meine Mutter schwer krank. Ich geriet in Panik und merkte, dass es noch so viele Fragen gab, die ich ihr stellen wollte – über ihre großen und kleinen Träume, darüber, wie sie als Kind war, wie es für sie war, Mutter zu werden … Mir wurde auch klar, dass ich ihr nicht oft genug gesagt hatte, wie wichtig sie für mich ist. Das Formulieren meiner Fragen war meine Art, ihr zu zeigen, wie sehr ich sie liebte und wie sehr ich an ihrer Lebensgeschichte interessiert war!

Und wie entstand die Idee, ein ganzes Buch zu füllen?
Anfangs schrieb ich einfach alles ohne einen festen Plan auf. Nach einer Weile waren es so viele Fragen, dass ich sie in Kapiteln strukturierte, um es meiner Mutter leichter zu machen.

Als Sie das Buch von Ihrer Mutter zurückbekamen, waren Sie überwältigt. Wovon?
Als ich meiner Mutter das leere Buch aushändigte, hoffte ich, viele Antworten zu bekommen. Aber was sie mir zurückgab, war so viel mehr: Über die Fragen kamen wir ins Gespräch und sie erzählte mir Geschichten, die ich noch nie gehört hatte.

Wie hat es Ihre Beziehung zueinander beeinflusst?
Ich habe meine Mutter tatsächlich von einer anderen Perspektive aus neu kennengelernt. Unsere Herzen öffneten sich füreinander und wir fanden auf einer ganz neuen Ebene zusammen. Wir kamen uns näher als je zuvor, nicht als Mutter und Tochter, sondern als Frauen.

Diese positive Resonanz war für Sie Grund genug, ihren Job an den Nagel zu hängen. Welcher Traum stand hinter diesem mutigen Schritt?
Diese besondere Kommunikation mit meiner Mutter war eine Erfahrung, die ich mir für jedes Kind wünsche. Bevor meine Mutter erkrankte, war mir meine Karriere immer sehr wichtig gewesen. Doch jetzt nahm ich mir tatsächlich auch Zeit, zuzuhören. Ich träumte davon, so vielen Menschen wie möglich dabei zu helfen, durch das Erzählen von Geschichten Erinnerungen zu schaffen, zu teilen und zu bewahren. Denn ich glaube, dass dies die Geschichten sind, die wirklich zählen.

„Zum Aufbewahren und Schätzen – für immer.“

Im Grund haben Sie eine neue Form des Schenkens erfunden und auch eine schöne Bezeichnung dafür: „Give & Get Back Book“. Was verstehen Sie darunter?
Diese Bücher sind wahrscheinlich die einzigen Geschenke, die man zurückhaben möchte, nachdem man sie verschenkt hat. Ein auf diese Weise entstandenes Buch ist einzigartig und mit äußerst wertvollen Erinnerungen gefüllt. Zum Aufbewahren und Schätzen, für immer.

Wie haben Sie die Themen entwickelt, um diese Geschichtenschätze zu heben?
Für jedes Buch habe ich viele Leute interviewt. Ich habe Kinder gefragt, welche Fragen sie an ihre (Groß-)Eltern haben und umgekehrt. Und ich machte die Erfahrung, dass viele Menschen gerne erzählen würden, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen. Mit den vorgeschlagenen Fragen ist der Einstieg leichter, man hat eine Struktur, der man folgen kann. 

Welche Lebensphilosophie steht hinter Ihren „Erzähl mal“-Büchern?
Mit den ersten Fragen 2004 entdeckte ich meine Leidenschaft, Herzen zu verbinden. Meine Hoffnung war und ist, dass sich Menschen näher kommen, indem sie ihre Geschichten über ihre Vergangenheit, die Gegenwart und ihre Hoffnungen und Träume für die Zukunft teilen.

Schlüsselworte sind für Sie Beziehung und Verbindung. Wie trägt „Erzähl mal“ dazu bei, ein neues Band zwischen Menschen zu knüpfen?
In den hektischen Zeiten, in denen wir leben, finden wir selten die Zeit, wirklich miteinander ins Gespräch zu kommen. Durch den Austausch sehr ernst gemeinter Fragen und den Willen, die Antworten auch tatsächlich hören zu wollen, ergibt sich eine neue Art der Kommunikation, die Generationen verbindet.

Warum liegt es Ihnen so am Herzen, die Menschen zu ermutigen, ihre persönliche(n) Geschichte(n) zu erzählen?
Ich glaube, dass Geschichten wirklich wichtig sind. Wenn man Geschichten miteinander teilt, schafft man Verständnis und kommt sich näher. Außerdem ist die Weitergabe von Familiengeschichten meiner Meinung nach das größte Geschenk, das man kommenden Generationen machen kann.

Nicht alle Menschen haben Übung darin, aus ihrem Leben zu erzählen. Wie lautet Ihre Ermutigung?
Das verstehe ich sehr gut, und deshalb liegen mir die Bücher so sehr am Herzen. Mein Wunsch ist es, dass das Schreiben Spaß macht und einfach ist.

„Jedes Buch ist etwas ganz Persönliches.“

Wie ist es mit Freiräumen für die persönliche Handschrift und kreative Ideen?
Manche Menschen gestalten ihr Buch wie ein Scrapbook mit Zeitungsausschnitten, Skizzen und Stickern, andere halten es eher schlicht. Jeder kann das Buch so ausfüllen, wie es für sie oder ihn am besten funktioniert – denn es ist ja etwas ganz Persönliches.

Nun ist eine neue Generation von „Erzähl mal“ erschienen. Was ist das Besondere daran?
Ich habe mich sehr über zahlreiche E-Mails und Briefe gefreut, in denen mir weitere Fragen für die Bücher vorgeschlagen wurden. Daraufhin habe ich den Inhalt aktualisiert und auch ein neues Design entwickelt, das Ihnen hoffentlich so gut gefällt wie mir. Die Essenz der Bücher bleibt unverändert: Es sind Geschenkbücher zum Festhalten von Familiengeschichten.

Über welche Rückmeldungen freuen Sie sich besonders?
Ich bin dankbar für all die Zuschriften und Reaktionen, die ich im Laufe der Jahre erhalten habe. Sie sind alle etwas Besonderes für mich! Mit jeder Mail wird mir klar, wie besonders es ist, dass einer der schwierigsten Abschnitte in meinem Leben so viele Menschen auf der ganzen Welt dazu inspiriert hat, ihre Geschichten zu teilen und so einander näher zu kommen.

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