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GELUNGENER GENREWECHSEL: Ihren Ruf als Autorin hat die Engländerin Lucy Foley mit Gesellschaftsromanen begründet. „Neuschnee“ ist ihr erster Kriminalroman, der umgehend nach Erscheinen der Originalausgabe von „The Times“ zum „Krimi des Monats“ gewählt wurde. Das dramatische Setting: Ein Luxusdomizil wird zur Falle und Silvester zum psychologischen Fiasko.
In „Neuschnee“ erzählen Sie von einem ereignisreichen und verhängnisvollen Jahreswechsel. Was ziehen Sie persönlich zu Silvester vor: Einkehr oder Party?
Partys mag ich schon sehr. Aber man ist auch unter einem gewissen Druck, an Silvester etwas Besonderes zu veranstalten – und das kann einen ganz schön in Stress versetzen. Für mich ergeben sich die besten Partys spontan! Nicht alle Charaktere in „Neuschnee“ wollen wirklich dabei sein, aber sie haben das Gefühl, wegen der Tradition und wegen des Datums sollten sie schon kommen.
Welche Vorsätze haben Sie 2019 tatsächlich durchgehalten und welche für 2020 gefasst?
Ich nehme mir immer vor, zu allen Menschen in meiner Umgebung freundlicher und liebevoller zu sein … Ich hoffe, ich habe mich daran gehalten – aber da müssten Sie meine Lieben fragen! Beim Schreiben versuche ich, mir über das Buch, an dem ich gerade arbeite, weniger Sorgen zu machen – was schwierig ist. Manchmal sieht es so aus, als würde sich alles erst ganz zum Schluss zu einer stimmigen Lösung fügen.
In Ihrem Krimi wird zu Silvester ein opulentes Festmahl angeliefert, an den übrigen Tagen bereiten die Freunde ihre Mahlzeiten selbst zu – aus Zutaten wie Austern, Trüffeln und Foie gras. Und wie ist das bei Ihnen? Kochen Sie gern?
Ich koche gern! Ich lasse mich gern von einem Rezept inspirieren, aber ich halte mich nie genau dran. Mein Lieblingsgericht lässt sich schwer angeben, aber nichts geht über ein richtig schönes Steak!
„Ich plane auch Freiräume für Einfälle …“
Und beim Schreiben? Wie bereiten Sie Ihre Buchzutaten vor? Planen Sie erst einmal strategisch von A bis Z den Plot durch?
Ich plane gern. Ich glaube, bei dieser Art Buch ist das wichtig, da es wie ein Puzzle ist. Deshalb ist es entscheidend, dass alle Anhaltspunkte für die Lösung an der richtigen Stelle platziert werden. Aber es ist auch wichtig, beim Planen Freiraum zu lassen für Einfälle, die sich vielleicht später ergeben und für Überraschungen und Spannung sorgen.
Sie bringen Erfahrung als Lektorin mit. Wie beeinflusst Sie das als Autorin?
Ich glaube, ich habe dadurch ein Verständnis dafür bekommen, wie wichtig ein wirklich guter Lektor ist – wie entscheidend das Verhältnis von Autor und Lektor ist. Allerdings bin ich nicht sicher, ob es für mich eine Hilfe war, mich selbst zu lektorieren, denn dafür war ich zu dicht dran. Deshalb habe ich mir die Unterstützung durch ein zusätzliches Lektorat geholt.
„Cafés oder Bars sind meine Lieblings-Büros.“
In welchem Umfeld schreiben Sie am liebsten oder am produktivsten?
Ich arbeite im Café, umgeben von der Geräuschkulisse, vom Leben und vom Kaffee! Ich schreibe zunächst gern in ein Notizbuch – das ist weniger furchteinflößend. Ich kann einfach etwas hinschreiben und es später verfeinern, wenn ich es tippe. Cafés oder sogar Bars sind meine Lieblings-„Büros“. Ich arbeite gern in einem richtig vollen Café oder am frühen Abend mit einem Glas Wein in einer Bar. Wenn man über Menschen und das Leben schreibt, ist es schön, das auch um sich zu haben.
Und was inspiriert Sie mehr, Landschaften oder Menschen?
Landschaften inspirieren mich am meisten. In jedem meiner Bücher soll die Landschaft eine Hauptrolle spielen. Und gelegentlich eigne ich mir in der Tat kleine Dialogfetzen oder Dinge an, die ich im Café oder in der U-Bahn mitbekomme. Das ist einfach zu verlockend, um es zu vergessen.
Was war der Ausgangspunkt für Ihren ersten Krimiplot?
Ich wusste, was ich wollte: eine klassische Murder Mystery – im Stil des 21. Jahrhunderts. Das war mein Ausgangspunkt. Aber ich brauchte dazu einen Schauplatz, und zu dem kam ich, als ich mich in einem abgelegenen Landsitz im den schottischen Highlands aufhielt – die Abgeschiedenheit und die wilde Romantik waren einfach perfekt für die Art Buch, das ich schreiben wollte.
Die Kulisse in „Neuschnee“ ist eine ganz besondere: die schottischen Highlands. Worin bestand der Reiz für Ihre Krimihandlung?
Als mein Mann und ich in den schottischen Highlands waren, erfuhren wir, dass wir bei heftigem Schneefall nicht wegkommen würden. Ich bekam eine Gänsehaut, weil ich merkte, dass es das perfekte Arrangement wäre für meinen Krimi in einem verschlossenen Raum, in dem alle Verdächtigen – auch der Mörder – in der Falle sitzen. Und mir gefiel die Vorstellung, dass die Wildnis etwas Unterdrücktes, Animalisches in den Figuren ans Licht bringen würde.
„Bei mir gibt es keinen Detektiv.“
Dieser Jagdsitz ist so unentrinnbar wie der Orientexpress oder der Nil-Dampfer … hat Agatha Christie Sie inspiriert?
Eine interessante Frage: „Neuschnee“ verdankt Agatha Christies Werk viel. Mir gefällt, dass sie ihren Blick darauf richtet, was normalerweise gesetzestreue, aufrechte Mitglieder der Gesellschaft dazu treibt, einander umzubringen: Für mich ist das ein wesentlich erschreckenderer Gedanke als z.B. ein geisteskranker Mörder mit blutiger Axt. Als eine Art Hommage haben wir in „Neuschnee“ Ärzte, Juristen, Banker etc. Der Unterschied zwischen meinem Buch und den Poirot- und Miss Marple-Krimis: Bei mir gibt es keinen Detektiv. Ich wollte dieses Wohlgefühl vermeiden, das sich einstellt, weil man jemanden hat, der am Ende alle Fragen beantworten wird. Stattdessen wollte ich den Leser und die Leserin in die Rolle des Detektivs versetzen.
Die neun Freunde beziehen ein äußerst exklusives, modernes Quartier. Was macht diese architektonischen Schöpfungen für Sie spannend?
Mir gefiel die Vorstellung, dass das Gebäude und die Wildnis so gar nicht zusammenpassten – ein Versuch, der Landschaft eine Signatur des Menschen zu geben und zugleich das Bauwerk mit ihr zu vereinen. Aus einem bestimmten Blickwinkel verschwindet der Pavillon in der Landschaft, er spiegelt sie wider. Ideal für meinen Krimi: Nachts ist im erleuchteten Innenraum jeden sichtbar für jeden, der sich draußen im Dunkeln aufhält. So wirken die Figuren wie auf einer Bühne – was ja irgendwie eine Metapher für das Lesen überhaupt ist: Der Leser betrachtet die Figuren und sieht all ihre Geheimnisse.
Gebucht hat das Quartier Emma, die allerdings nun von gemischten Gefühlen erfüllt ist. Was macht ihr zu schaffen?
Emma ist eine Perfektionistin und will unbedingt, dass dieser Silvesterabend für alle perfekt wird – und die andern sind eine ziemlich anspruchsvolle Gruppe. Außerdem ist Emma die „Neue“ in der Gruppe. Deshalb glaubt sie, dass sie sich beweisen muss … Aber sie wird wahrscheinlich nie als eine der Ihren akzeptiert werden, weil es sich um Freunde handelt, die die gemeinsame Geschichte überaus ernst nehmen.
Sie beschränken sich nicht auf eine einzige Erzählstimme oder Sicht der Dinge, sondern lassen die neun Freunde und noch dazu den Wildhüter Doug abwechselnd zu Wort kommen. Was ist für Sie das Reizvolle daran?
Für eine Schriftstellerin ist es wirklich spannend, dass sie zwischen verschiedenen Perspektiven hin und her wechseln kann. Ich hoffe, dass das auch für die Leserin und den Leser so ist. Ich finde gern heraus, wie verschieden Menschen ein- und dasselbe Ereignis sehen, und decke gerne auf, wie die oder der Einzelne alle andern sieht, was sich von der einen zur anderen Sicht dramatisch ändern kann.
Und worin liegt die schwierigste literarische Herausforderung beim Perspektivenwechsel?
Dass die Geschichte vorankommt – dass man nicht auf die Bremse tritt. Man will ja, dass der Leser oder die Leserin umblättert. Das Erzählte muss in Bewegung bleiben: Jede Figur gibt an die nächste weiter, statt dieselbe Szene durch die Augen aller andern zu sehen.
„… ein geheimes Selbst hinter der Maske.“
Gibt es für die unterschiedlichen Temperamente in „Neuschnee“ reale Vorbilder?
Sie entstanden ganz organisch. Sie sind gewissermaßen „Typen“: Golden Girl, Ruhige, Party-Fan, Außenseiter … für den Leser sollten sie sofort erkennbar sein. Das wollte ich dann umkehren und den Leser einladen, tiefer zu blicken, unter die Oberfläche: Jeder hat sein geheimes Selbst hinter der Maske, die er in der Gruppe trägt.
Emma hat den Eindruck von „unbeschwerter Kameradschaft längst vergangener Tage“, Katie wundert sich allerdings schon bei der Ankunft, dass der „Urlaub-mit-Freunden-Modus“ halbwegs klappt. Und was sagen Sie?
Es ist ein wenig wie Weihnachten in der Familie! Jeder benimmt sich anfangs bestens und ist höflich. Wenn man dann aber miteinander in dieser leicht klaustrophobischen Situation steckt, kommen allmählich alte Ressentiments an die Oberfläche und man fällt in sein schlimmstes Selbst zurück.
Mal angenommen, Sie selbst würden in eine Situation wie in Ihrem Krimi geraten und könnten sich drei Ihrer Romanfiguren als Begleitung aussuchen: Wen würden Sie auswählen?
Ich würde Nick wählen, weil er im Vergleich zu den andern ziemlich entspannt ist und die komische Seite der Dinge sieht. Doug, weil er die Wildnis kennt und sehr tüchtig ist, und Heather, weil sie tapfer ist und niemandem etwas Böses tut.
Bekannt geworden sind Sie im englischen Sprachraum ursprünglich mit Gesellschaftsromanen. Und diesem Genre haben Sie auch in Ihrem Kriminalroman nicht komplett abgeschworen, oder?
Große Ähnlichkeiten bestehen darin, dass ich in erster Linie daran interessiert bin, wie die Figuren miteinander umgehen und wie das den Plot voranbringt – und nicht umgekehrt.
„Alte Freunde sind etwas Wunderbares, aber …“
Die angeschlagene Heldin, der Sie das Schlusswort überlassen, philosophiert über ihre Rolle in der alten Clique. Wie lautet Ihr Kommentar zum Balanceakt zwischen den Erwartungen anderer und dem Versuch, sich davon zu befreien?
Ich glaube, alte Freunde sind etwas Wunderbares, aber sie können auch eine feste Vorstellung von einem haben, die vielleicht etwas überholt ist. Das kann frustrierend sein, weil man sich dann in eine Rolle zurückgezwungen fühlt, in der man sich schon lange nicht mehr sieht. Mein Rat ist daher, dass es auch wichtig ist, sich mit Menschen zu umgeben, die es einem erlauben, sich zu verändern und zu wachsen. Seien Sie nicht wie die Figuren in „Neuschnee“ … für die geht es nicht besonders gut aus!