Einzigartig, wie Carmen Korn die Vergangenheit lebendig werden lässt: „Ich liebe meine Figuren“, bekennt die Bestsellerautorin, die als langjährige Journalistin ein feines Gespür für bewegende Geschichten mitbringt. Zu einer der beliebtesten deutschen Schriftstellerinnen wurde sie durch ihre Jahrhundert-Trilogie. An den Sensationserfolg knüpft sie nun mit ihrer Drei-Städte-Saga an. Die Schauplätze: Köln, wo Carmen Korn aufgewachsen ist, Hamburg, seit den 1970er Jahren ihre Heimatstadt, und San Remo, die Musikfestival-Stadt an der Riviera, Carmen als Komponistentochter von klein auf bekannt. Viel Persönliches fließt ein in den neuen Saga-Band, der im Privatleben Zeitgeschichte spiegelt: „Zwischen heute und morgen“ verspricht Aufbruchstimmung in den Swinging Sixties.

Ihre Jahrhundert-Trilogie um vier Freundinnen und nun auch Ihre neue Drei-Städte-Saga begeistern Millionen von LeserInnen. Wie erklären Sie sich die Popularität Ihrer historischen?
Ich denke, da ist eine große Wissbegier, mehr vom Leben der Generationen vor uns zu erfahren. In vielen Familien wurde vor allem über die Zeit zwischen 1933 und 1945 geschwiegen. Ich habe oft von Leser:innen gehört, die Trilogie sei der Auslöser gewesen, die Themen bei den eigenen Eltern und Großeltern anzusprechen. Vermutlich sind historische Romane aber auch eine Flucht in zurückliegende Zeiten.

Was ist für Sie selbst das Spannende daran, in die Zeitgeschichte einzutauchen?
Dass ich enorm viel lerne. Nicht nur vom großen historischen Geschehen, sondern auch über die kleinen Dinge des Alltags, die nicht in den Geschichtsbüchern stehen. Ich komme bei der Recherche vom Hölzchen aufs Stöckchen und kann mich kaum lösen.

Wie versetzen Sie sich beim Schreiben in die Stimmung der Zeit, die Sie lebendig werden lassen?
Ich lese mich ein, die Bücher stapeln sich dann auf dem Schreibtisch. Aber ich lese auch alte Zeitschriften, blättere in Katalogen und Fotoalben, schaue Filme an und lasse mich von der Musik der jeweiligen Zeit inspirieren.

Die 50er Jahre – die Auftaktdekade Ihrer Drei-Städte-Saga – haben Sie einmal als „pastellfarbene Zeit“ bezeichnet. Warum?
Für mich war sie pastellfarben. Junge lebensfrohe Eltern. Deren Freude, dass die Welt wieder friedlich und hell war. Der Beruf meines Vaters, der die Lieder jener Jahre schrieb, brachte auch Leichtigkeit in unser Leben. Aber ich weiß, dass es auch ganz andere Kindheiten in den Fünfzigerjahren gegeben hat.

In welcher Kolorierung sehen Sie die Sechzigerjahre, die Dekade, die Ihr druckfrischer zweiter Band umspannt? Welches Lebensgefühl verbinden Sie mit diesen Farbtönen?
Kräftige Töne. Laute Töne. Vor allem in der zweiten Hälfte. Und ich sehe ein knallorangenes Minikleid vor mir. Das orangefarbene Minikleid habe ich besonders gern getragen. Mein Vater hat es für mich in einer Kölner Boutique gekauft. Die Bezeichnung „Boutique“ wurde in den Sechzigerjahren ja sehr populär.

„Das Infragestellen des Status quo.“

Sie sind 1952 geboren. Wie sind Ihnen die Sechzigerjahre aus Ihren Mädchenjahren und Ihrer Teenagerinnenzeit in Erinnerung geblieben? Was hat diese Zeit in Ihrer eigenen Lebensgeschichte geprägt?
In den ersten Jahren der Sechzigerjahre war ich noch ein braves Kind. Das änderte sich dann. Die folgende Aufbruchstimmung habe ich genossen. Das Infragestellen des Status quo. Die Bereitschaft zum Ungehorsam. Ein Grundgefühl, das ich ins spätere Leben mitgenommen habe. Und wie mein Vater gesagt hätte: Carmi ist immer mit der Nase dabei.

Ihr Vater Heinz Korn war erfolgreich als Komponist und Liedtexter, der auch einen bis heute bekannten Hit schrieb: „Mit 17 hat man noch Träume.“ Wovon träumte die 17-jährige Carmen Korn?
Von der Liebe. Und was die berufliche Seite angeht, war ich zwiegespalten in dem Wunsch zu schreiben oder eine Sängerin zu sein.

Wie haben Sie als Kind die Musikwelt Ihres Vaters kennengelernt und erlebt? Waren viele Musiker in Ihrem Elternhaus zu Gast? Waren Sie im Studio bei Aufnahmen dabei?
Schon als Kind durfte ich mit in die Aufnahmestudios. Ich habe es geliebt. Im zweiten Band der Trilogie lasse ich Alex durch die Flure der Polydor in Hamburg gehen. Und im neuen Buch werden wir das Electrola-Studio in Köln kennenlernen. Da war ich bei einer Plattenaufnahme von Gitte Haenning dabei, die ich verehrte. Sie wirkte da gerade nicht sehr glücklich. „Ich mach Protest“ hieß das alberne Lied, das sie singen sollte. Das stellte sich der Produzent als zeitgemäß vor. Und ja. Da waren viele Kollegen meines Vaters zu Gast bei unseren Festen. Einer setzte sich immer ans Klavier.

Musik spielt in Ihren Romanen immer eine Rolle. Was macht sie Ihnen literarisch so bedeutsam?
Ich mag ohne Musik nicht sein. Jazz liegt mir vor allem am Herzen. Das American Songbook, das Alex so viel bedeutet, gehört dazu. Im neuen Roman wird es aber auch viel um die Lieder aus den großen Filmen der UFA gehen.

„In San Remo haben wir unsere Sommer verbracht“

Ihr aktueller Roman „Zwischen heute und morgen“ beginnt in San Remo, kurz vor dem berühmten Festival della Canzone Italiana, dem Schlagerfestival. Was verbindet Sie mit der Stadt an der italienischen Riviera?
Vom San Remo Festival hatte ich schon in früher Kindheit gehört, das war ein wichtiges Ereignis für meinen Vater. Dann lernte ich meinen Mann kennen, dessen Familie Anfang der Sechziger eine Weile in San Remo gelebt hatte. Aus der Zeit war eine casa rustica geblieben, viel Land mit Olivenbäumen. Ziemlich verwildert. Dort haben wir unsere Sommer verbracht.

San Remo ist in Ihrer Saga die Heimatstadt der „Freundesfamilie“ Canna. Gianni Canna sorgt sich um seinen Freund und Pianisten Pips. Warum liegt Ihnen das Schicksal von Pips am Herzen und was verkörpert er für Sie?
Pips ist ein sehr guter Klavierspieler. Damit hat er mein Herz schon gewonnen. Und sein Schicksal lässt einen auch nicht gerade kalt.

Pips verschlägt es nach Hamburg – in Ihre Heimatstadt, aber in ein Kiez, das in Ihrer Saga Neuland ist: St. Pauli. Was hat Sie an diesem Milieu gelockt und was war bei Ihren Recherchen spannend oder vielleicht sogar überraschend?
Im ersten Band der Trilogie hat es auch schon ein Stück St. Pauli gegeben, das Chinesenviertel rund um die Schmuckstraße. Das Milieu bleibt einem kaum verborgen, wenn man so lange in Hamburg lebt wie ich. Das Ristorante Cuneo, das unser zweites Zuhause war, ist in der Davidstraße. Auf dem Weg dahin hat man das ganze „Milieu“.

Von Anfang an sind in „Zwischen heute und morgen“ Zeitgeschichte und Politik präsent, z.B. bei Ihrer Hamburger „Freundesfamilie“, den Borgfeldts, als Kurt im Fernsehen Werner Höfers „Internationalen Frühschoppen“ verfolgt. Welche Themen, Entwicklungen und Debatten sind Ihnen am wichtigsten?
Viele. Die Adenauer-Zeit mit der Spiegel-Affäre. Der nicht bewältigte Antisemitismus. Die Studentenbewegung. Die Anfänge der RAF. Der Aufbruch, den Willy Brandt brachte. Eine aufregende Zeit.

Ihre Saga ist auch ein Gesellschaftsporträt. Was möchten Sie darin hauptsächlich spiegeln?
Die Zeitläufte, die von den Menschen ausgehalten werden mussten. All die Veränderungen, die sie verunsicherten. Wie sie versuchen, trotz der Turbulenzen Werte wie Freundschaft, Liebe, Zusammenhalt nicht aus den Händen zu lassen.

„Die Wichtigkeit, einander auszuhalten.“

Die Cannas und die Borgfeldts sind Mehrgenerationen-Familien unter einem Dach. Was interessiert Sie besonders an den Herausforderungen des Zusammenlebens und am Wandel der Familienstrukturen?
Die Wichtigkeit, einander auszuhalten.Trotz der Altersunterschiede und anderer Widrigkeiten. Mit einer Matriarchin wie Agnese Canna zu leben, erfordert viel Geduld. Und auch Elisabeth Borgfeldt macht es ihrer Familie schwer. In den ersten Nachkriegsjahren hatten die Menschen oft „eng aufeinander“ gelebt. Eine Enge, die auch Nähe bedeutete. Nicht allen fiel es leicht, das auf einmal zu missen.

In Hamburg sind die Borgfeldts zu einer Patchwork-Familie angewachsen und Kurt wünscht sich, alle um einen großen Tisch zu versammeln. Wie ist Ihr Idealbild von Familie?
Genau so. Das Glück und auch der Trost, der darin liegt, sich um große Tische zu versammeln.

Wie sehen Sie sich selbst als Familienmensch?
Als eine Frau wie Gerda, die behüten will. Manchmal übertreibe ich. Sagen meine Kinder.

Kurt Borgfeldt träumt davon, sich nach seiner Pensionierung endlich seinem Jugendtraum vom Schreiben zu widmen. Haben Sie selbst auch so einen alten Traum, den Sie noch verwirklichen möchten?
Den Traum vom Schreiben habe ich mir erfüllt. Und ich fürchte, mit dem Singen wird das nichts mehr.

Auch Kurts Schwiegersohn Vinton Langley schreibt, und zwar als Journalist – seit langem auch Ihr Metier. Was haben Sie Vinton mitgegeben von Ihrer Berufsauffassung und Ihren Erfahrungen?
Vor allem das Herangehen an Texte, den Redaktionsalltag.

„Eine Paarbeziehung ist eine einzige Herausforderung.“

Sie spüren auch den Paarbeziehungen nach. Welche Herausforderungen bewegen Sie besonders?
Eine Paarbeziehung ist eine einzige Herausforderung. Was mich besonders bewegt, ist das Zueinanderstehen. Wie die enorme Loyalität, die Kurt für seine Lilleken hat.

Im Umfeld der Kölner „Freundesfamilie“ Aldenhoven sind zwei gerade vorsichtig dabei, ein Paar zu werden: der Feingeist Georg und das Original Billa. Was macht es für die beiden so kompliziert?
Weil sie auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Georg zuckt immer wieder zusammen, wenn Billa einen ihrer voreiligen Sätze spricht. Und sie glaubt in ihrem tiefsten Innern, ihm nicht genügen zu können. Aber ich bewundere Georgs Gelassenheit und auch die schräge Billa, die sich nicht verbiegen lässt.

Georg überreicht dezent Teerosen, Billa sehnt sich nach langstieligen roten Rosen als klarem Bekenntnis. Was ist für Sie selbst die schönste Liebeserklärung?
Ich mag rote langstielige Rosen gar nicht besonders gerne. Da gibt es so viele andere Blumen und Gesten. Als ich von einer anstrengenden Reise kam, überreichte mir mein Mann schon auf dem Bahnhof eine liebevoll gestaltete handgeschriebene Menükarte, und zu Hause wartete das von ihm zubereitete Essen.

„Die Miniröcke waren eine Befreiung.“

Billas Schwester Lucy hat einen Modesalon eröffnet – und Sie schildern, was die Damen sich damals haben schneidern lassen. Was hat Ihnen bei den Moderecherchen am meisten Freude gemacht und wie hat die Mode damals den Zeitgeist gespiegelt?
Brav war die Mode und am Anfang der Sechzigerjahre noch ziemlich diktatorisch. Ich habe unter der Konvention der Rocklänge gelitten, weil mir – bei meinen 1 Meter 84 – alles zu kurz war statt knieumspielend. Die Miniröcke waren eine Befreiung.

In der Kölner Küche der Aldenhovens entwickelt sich beim Kochen zwischen Gerda und Billa allmählich ein vertrautes Verhältnis. Welche Gesprächsatmosphäre mögen Sie besonders?
Die an Küchen- und anderen Tischen.

Sie haben ein großes Aufgebot an Romanfiguren erschaffen. Worauf kommt es Ihnen dabei an?
Der liebe Gott hat einen großen Garten, und da wachsen viele Arten drin, sagt mein Freund Kiki. Ich habe eine große Bandbreite von Figuren gebraucht, um auf all das einzugehen, was mir am Herzen lag.

Aus welchen Inspirationsquellen schöpfen Sie bei Ihren Figuren? Wieviel wahres Leben fließt in Ihren neuen Roman?
Die Inspirationsquelle ist oft das eigene Leben und das der Freunde. Auch meine Eltern finden sich wieder, die Großeltern, die Tanten und Onkel. Und das tägliche Leben ist eine dauernde Inspiration. Wenn ich mal nicht weiterkomme mit einem Text, fahre ich mit der U-Bahn kreuz und quer durch Hamburg und höre und schaue zu.

„Die Aufbruchstimmung hat mich mitgerissen.“

Ihre Saga spannt den Bogen bis zur Studentenrevolte 1968. Wie haben Sie diese Umbruchzeit erlebt und was hat Sie damals am meisten bewegt und geprägt?
Die Aufbruchstimmung hat mich mitgerissen. Meine erste Demo waren die Proteste gegen die Fahrpreiserhöhung der KVB im Herbst 1966. Danach kam der Sternmarsch auf Bonn 1968, der Protest gegen die Notstandsgesetze. Im neuen Buch erzähle ich die Geschichte bis ins Jahr 1969 hinein. In der Trilogie bin ich ja viel weiter gegangen und habe auch den Terrorismus der Siebzigerjahre thematisiert. Den habe ich als traumatisch erlebt.

Sie waren 16, als die Studentenrevolte 1968 begann. Wie sehen Sie die Jugendbewegungen von heute?
Vor allem die Revolten in Ländern, in denen Protest gefährlich ist, wühlen mich auf. Aber auch Fridays for Future. Wichtig ist mir, dass Menschen mit großen Anliegen nicht verbohrt werden. Egal in welcher Altersgruppe.