​Wandlungsfähig wie kaum ein anderer, wechselt Matthias Matschke an renommierten Bühnen wie dem Wiener Burgtheater, in Kinofilmen oder im Fernsehen mühelos vom dramatischen ins komödiantische Fach. Ob im „Fall Barschel“ und „Professor T“ in den Titelrollen, als Hagen in „Pastewka“ oder als Goebbels in „Sketch History“: Matschke brilliert. Nun auch als Autor! In seinem autofiktionalen Debütroman schlüpft er in die Rolle eines Heranwachsenden namens Matthias Matschke, der wie er selbst in einem Dorf am Rand des hessischen Odenwalds groß wird.

Klar, mit welcher Frage man beim Buch eines Schauspielers über seine Kindheit beginnen muss: Wie haben Sie Ihren allerersten Theaterbesuch als Kind in Erinnerung?
Als außergewöhnlich: Der Moment, wenn das Licht ausgeht und es geht los – auch heute noch Gänsehaut.

Wann und wie haben Sie Ihr schauspielerisches Talent beziehungsweise Ihre Lust dazu entdeckt?
Die Lust war schon als Kind immer da, nur habe ich mich nicht gleich getraut, sie zu leben.

Für welchen Auftritt haben Sie Ihr erstes Honorar bekommen?
Schlossgrabenfest Darmstadt, 1983, Kishon-Sketch, 25 Mark.

„ … dass jeder Deutsche ein Riesen­potenzial an ungewollter Komik hat.“

Sie haben einmal erzählt: „Loriot war mein Unterricht.“ Wofür bewundern Sie ihn und was haben Sie von ihm gelernt?
Ich bewundere ihn für seine Beobachtungsgabe. Und habe gelernt, dass jeder Deutsche ein Riesenpotenzial an ungewollter Komik hat.

Was hat Ihnen bewusst gemacht, dass Sie nicht nur so zum Spaß auftreten, sondern ernst machen wollen? Was wurde für Sie zum „Initiationserlebnis“, wie Sie es einmal nannten?
Als einer unser Schauspielschullehrer am Ende der Ausbildung fragte, wie wir unsere Zukunft sehen, sagte ich: Ich will Komiker sein. Das war unbedacht, weil aus dem Bauch heraus gesagt, und beschreibt mein Selbstverständnis bis heute.

Was ist das Wichtigste, das Sie an der Schauspielschule gelernt haben?
Eigenständigkeit.

Welche Ihrer vielen unterschiedlichen Rollen war die größte Herausforderung und wodurch?
Es stimmt leider nach wie vor die alte Schauspielerregel: Die nächste Rolle ist die Schwierigste.

Ihre Wandlungsfähigkeit als Schauspieler ist legendär. Welche Rollen Ihres Repertoires sehen Sie selbst als die größten Gegensätze und wie gelingt Ihnen diese Vielseitigkeit?
Das Geheimnis ist, sich jeder Rolle mit scheinbarer Gleichgültigkeit und doch heimlicher Liebe zu nähern, so kann man jede, wirklich jede Rolle erobern.

„Die zentrale Arbeit des Schauspielers ist Imitation.“

Sie sagen: „Ich sammle Identitäten.“ Wie meinen und wie machen Sie das?
Die zentrale Arbeit des Schauspielers ist Imitation. Man muss Identitäten, die man irgendwann in seinem Leben einmal gesehen hat, und seien es auch nur Sekunden, wieder aus der Erinnerung imitieren können, um diese Identität für eine Rolle teilweise oder ganz verwenden zu können. Viel mehr ist es nicht.

Über welchen Erfolg haben Sie sich am meisten gefreut?
Schwer zu sagen. Manchmal, wenn ich mich nach einer Vorstellung beim Applaus verbeuge, freue ich mich so sehr, dass ich das, was ich zeigen wollte, auch zeigen durfte. Das kann irgendeine Vorstellung irgendwann sein, aber das ist dann ein Erfolg, der ganz mir gehört. Und über den Deutschen Hörbuchpreis 2020 (Anmerkung: Kategorie „Beste Unterhaltung“ als Sprecher des Hörbuchs „Achtsam Morden“ von Karsten Dusse) habe ich mich sehr gefreut!

Wie haben Ihre Erfahrungen als Schauspieler Sie beim Schreiben beeinflusst?
Ich bin mit meiner Aufgabe als Schauspieler immer am meisten zufrieden, wenn ich einen Moment oder gar eine ganze Szene in ihrer Eigenart mit meinem Spiel durchdringen kann. Das hilft natürlich beim Schreiben.

„Verwunderung ist der Ausgangspunkt für mein künstlerisches Schaffen.“

Ihre Schauspielerkarriere würde jede Menge Erzählstoff für ein dickes Buch liefern, aber als Autor scheinen Sie Kindheit und Jugend viel mehr zu interessieren. Warum?
Als Kind habe ich mich über mich selbst und andere so sehr gewundert. Dieser Moment der Verwunderung ist der Ausgangspunkt für mein ganzes künstlerisches Schaffen, ob in schreibender oder darstellender Form.

Was war der Auslöser für Ihren Debütroman „Falschgeld“?
Eine befreundete Journalistin kam eines Tages auf mich zu und sagte: „Ich glaube, Du solltest schreiben.“ Das kam unverhofft und dennoch nicht völlig abwegig. Warum es dann genau diese Geschichte als Debut geworden ist, weiß ich nicht. Aber irgendetwas hat mich diesen Weg entlanggeführt.

Ihr Buch haben Sie Ihrem Vater gewidmet. Eine Hommage? Aus welchem Anlass?
Mein Vater war derjenige, der für die Ästhetik der literarischen Autofiktion ein großes Verständnis hatte: Mit sich als Behauptung kommt man der Wahrheit am nächsten. Grund genug ihm das Buch zu widmen.

Gleich auf Seite zwei sagt Ihr junger Held: „Ich bin Matthias Matschke.“ Was haben Sie ihm denn außer dem Namen sonst noch so an wichtigen Gemeinsamkeiten mitgegeben? Würden Sie von einem jungen Alter Ego sprechen?
Sagen wir es so: Der Held behauptet von sich, dass er Matthias Matschke ist, und das behaupte ich seit längerem auch von mir. Ob wir wirklich der sind, der wir behaupten zu sein, dafür kann ich für uns beide nicht garantieren …

Ihr Buch bezeichnen Sie als „autofiktional“. Wie definieren Sie dieses literarische Hybrid und welche konkreten Vorteile oder Spielräume bot es Ihnen beim Schreiben?
Autofiktional bedeutet, aus der eigenen wahren Biographie erfundene Biographie zu produzieren, um damit fiktive Geschichten wahrhaftig zu erzählen.

Was hat Sie am Erinnern und Erzählen besonders interessiert?
Nun, ich halte nicht viel von Vergangenheit. Sie ist ein immer mehr entfernter Verwandter der Gegenwart. Erzählen braucht die Gegenwart, um Geschichten, egal aus welcher Zeit, zu platzieren. Erzählen ist ganz schnell viel größer, reicher, spannender als sich erinnern. Das, genau das, wollte ich auskosten.

„Ein Sturz aus der vermeintlichen Unschuld der Achtzigerjahre.“

Als Auftakt haben Sie den Sturz vom Apfelbaum in den Sommerferien 1984 gewählt. Warum?
Ich liebe Apfelbäume, ich liebe die Geschichte von Adam und Eva und dem Baum der Erkenntnis. Und so ist der Sturz vom Apfelbaum eine besondere Form von Sünden-Fall. Ein Sturz hinaus aus der vermeintlichen Unschuld der Achtzigerjahre.

Was macht den „Ein-Männlein-steht-im-Walde-Mantel“ und die Parotitis zu Erzählereignissen? Woran haben Sie entlanggeschrieben?
Es ist das Prinzip wie Stand-up-Comedians ihre Geschichten schreiben: Nimm ein schmerzhaftes Erlebnis und mache daraus eine lustige Geschichte. Das ist die beste Rache am Schmerz.

Wofür steht der Titel „Falschgeld“ und was sagt er uns über das Geschichtenerzählen?
Dinge, die uns lange von großem Wert erscheinen, können in einem Lidschlag als wertlos in sich zusammenfallen. Dinge wie Vertrauen, Glaube und Liebe können von einem Moment zum anderen ihre Bedeutung verlieren. Und alles, was uns lieb und teuer war, ist spontan wertlos – so wie ein falscher Fuffziger im Portemonnaie.

Anders als Sie selbst ist Ihr Roman-Matthias Sohn des Pfarrers einer Drei-Dörfer-Gemeinde und einer Mutter, die im Fernmeldewesen arbeitet. Was ist für Sie das Spannende an diesem Elternhaus?
Das Spannende an diesem Elternhaus ist das Langweilige. Soll heißen, warum möchten Menschen gerne so leben, oder wie sind sie zu so einem Leben gekommen?

Ein häufiges Wort in Ihrem Buch ist „peinlich“. Wofür ist es typisch?
Für das bürgerliche Leben in den Achtzigern in Westdeutschland.

Der Romanvater ist erklärter Autoenthusiast. Seine bevorzugte Marke haben Sie selbst lange gefahren. Warum hat sich das geändert?
Weil ich als urbaner Mensch kein eigenes Auto brauche.

„Ich bin der Ewigkeit nicht mehr böse.“

In Ihrem Roman ist das Sterben ziemlich präsent. Was hat es Ihnen – im Zusammenhang mit Kindheit – wichtig gemacht?
Ich hatte als Kind eine unbändige Angst, dass meine Eltern sterben könnten. Diese Angst vor ihrer ewigen Abwesenheit hat mich lange bestimmt und zermürbt. Es wurde absurderweise erst anders, als mein Vater vor knapp einem Jahr wirklich gestorben ist. Der Verlust bleibt, aber ich bin der Ewigkeit nicht mehr böse.

In einer Talkshow haben Sie erzählt, dass Sie nicht stillsitzen können, sondern immer tausend Bälle in der Luft haben müssen. Wie haben Sie das mit dem Romanschreiben in Einklang gebracht?
Das Romanschreiben war einer der Bälle in der Luft. Und so war es nur eine Aktion von vielen. Dadurch hatte es eine Gleichwertigkeit mit all meinen anderen Aktivitäten. Das war beruhigend.

Humor ist ihnen wichtig im Umgang mit Wirklichkeit. Wie wichtig war er Ihnen beim Schreiben?
Mhm, ich weiß nicht. So wichtig wie die Luft zum Atmen?

Wie war Ihre Grundstimmung beim Schreiben?
Gut! Ich wollte jeden Tag wissen, wie es mit der Geschichte weitergeht.

Verstehen Sie den Blick in den Sternenhimmel auf der letzten Seite als Ende oder als Anfang?
Als Anfang und Ausblick in die Ewigkeit.