Sogar eigentlich unsterbliche Heldinnen und Helden kommen in die Jahre – es sei denn, es gibt Menschen wie Andreas Steinhöfel (AS) und Sabine (SL) und Emma Ludwig, die den Staub von den Büchern pusten – und zwar vollständig! Küsschen, Küsschen für die großartige Leistung, Roald Dahls Geschichten inklusive seiner berüchtigten Wortspiele für die Kinder der Zukunft neu übersetzt herauszubringen. Nicht nur für Matilda eröffnet sich die Welt der Bücher …

Was macht für Sie Roald Dahl nicht nur unsterblich, sondern für eine Generation Kinder nach der anderen aktuell und immer von neuem wichtig?
AS: Erwachsene wirken Kindern gegenüber häufig übergroß und allwissend – sie sind die Bestimmer, denen das Kind ausgeliefert ist. Dahl aber gelingt es, jede noch so kleine Kinderangst, jede erlittene Ungerechtigkeit zuletzt in einen kindlichen Triumph zu verwandeln.
SL: Ich war neulich zu einer Lesung in einer dritten Klasse eingeladen und habe wie immer auch ein wenig von meiner Arbeit erzählt. Als ich fragte, wer von den Kindern „Charlie und die Schokoladenfabrik“ kennt, rissen alle die Arme hoch und ein Mädchen brach in lautes Lachen aus. „Das ist so lustig!“, rief sie. „Das ist so cool!“ Das sagt wohl alles.

Wenn Sie Roald Dahl herbeiwünschen könnten: Was würden Sie ihn gern fragen und was würden Sie ihm am liebsten sagen?
AS: Zunächst würde ich ihm für die wunderbaren Lesestunden danken, die sein Werk mir verschafft hat. Dann würde ich ihn fragen, was er von einem Buch über Eltern halten würde, die ihren Kindern alle Hindernisse aus dem Weg räumen, so dass diese weder Stolpern noch Aufstehen lernen, die ihre eigene Konfliktscheu als großzügige Antiautorität verkaufen und die digitale Nabelschnüre um die halbe Welt spannen, mit denen sie ihren heranwachsenden Kindern die Luft abschnüren.
SL: Ich würde ihm gern sagen, dass mich schon als Jugendliche seine „Küsschen, Küsschen“-Kurzgeschichten begeistert haben, ich finde sie auch heute noch großartig und erzähle sie sehr gern nach. Und fragen würde ich ihn nach dem Vorbild für den unkonventionellen Vater in „Danny, The Champion of the World“. Es ist eine warmherzige, zutiefst berührende Hommage an einen Vater, den Roald Dahl ja selbst nie hatte, weil sein eigener ganz früh gestorben ist.

Bei früheren Übersetzungen wurden bestimmte Textstellen ausgelassen. Sie hingegen haben komplett alles ins Deutsche übertragen. Warum sind Ihnen diese Lückenschließungen bedeutsam?
AS: Da geht es um Integrität dem Original gegenüber. Durch Weglassen beraube ich es ja eines Teils seiner Wirkung, womöglich sogar seiner Intention. Für vermeintlich unlösbare, nicht zu übersetzende Stellen zuletzt doch eine adäquate Lösung zu finden, fühlt sich großartig an.
SL: Wenn man übersetzt, hat man natürlich den Anspruch, alles zu übersetzen, auch wenn es noch so knifflig ist. Eine große Herausforderung waren neben eigentlich unübersetzbaren Wortspielen die Gedichte. In Charlie gibt es viele und lange und auch in „James und der Riesenpfirsich“. Auf Englisch sind die einfach genial und dabei locker und leicht. Diese Leichtigkeit in das doch etwas sperrige Deutsch zu übertragen, war Herausforderung und Vergnügen zugleich. Besonders viel Spaß hat die Übertragung eines Liedes gemacht, das der Hundertfuß zum Besten gibt und in dem er beschreibt, was er alles an Leckereien verzehrt hat. Hier eine kleine Kostprobe:

Vom Gürteltier die Schuppen, vom Schmetterling die Puppen,
gehackten Knilch in Kokosmilch, pochierten Po vom Känguroh
(da war mein Magen gar nicht froh)

„Matilda ist selbst Leserin, sie eröffnet sich die Welt mit Büchern.“

Was war für Sie das größte Vergnügen beim Übersetzen?
AS: Die Gedichte und Dahls berüchtigte Wortspiele und Wortneuschöpfungen zu knacken. In Matilda gibt es ein sehr, sehr langes Gedicht, im Mister Fuchs ein paar knackige kurze. Wenn da beim Übersetzen Inhalt und Rhythmus sich die Hand geben, ist das eine große Belohnung.

Wodurch ist Ihnen Matilda ans Herz gewachsen?
AS: Matilda ist selber Leserin, sie eröffnet sich die Welt mit Büchern. Das hat mich sofort für sie eingenommen, denn so ein Kind war auch ich. Je mehr Weltwissen sie erlangt, umso weniger lässt sie sich herumstoßen. Außerdem gibt sie sich gar nicht erst mit Kinderkackabüchern ab, sondern geht gleich in die Vollen, weil sie sich nur dadurch ernstgenommen fühlt – ein für mich brandaktuelles Plädoyer Dahls dafür, Kinder nicht zu unterfordern.