WEIN, SCHOKOLADE sowie Taschentücher für Lachtränen und zum Weinen schöne Momente: Diese Grundausstattung empfiehlt Cecilia Lyra für die Lektüre ihres Debütromans. „Schwestern für einen Sommer“ ist großes Gefühlskino in der malerischen Kulisse von Montauk auf Long Island. Der einzige Ort, an dem die einst unzertrennlichen, aber durch eine Tragödie entzweiten Titelheldinnen wieder zusammenfinden können. Als absoluter Familienmensch lässt sich die Autorin die wunderbarsten Anlässe einfallen, das Leben gemeinsam zu feiern. Eine zauberhafte Liebeserklärung an Schwestern, ob von Geburt oder aus Seelenverwandtschaft.

Sie schreiben nicht nur über Schwestern, sondern Sie haben auch selbst eine. Welche Bedeutung hat Anna in ihrem Leben? Was ist das Besondere an Ihrer Verbindung?
Anna ist zwei Jahre jünger als ich. Das ist kein großer Unterschied, aber wie wir miteinander aufwuchsen, war sie mein Baby. Ich war vernarrt in sie und behandelte sie, wie wenn sie meine kleine Puppe wäre. Als Teenager teilten wir bei einem Glas Milch und einem Teller Schokoladenkekse unser kleinen Geheimnisse (für wen wir gerade schwärmten, wovon wir träumten) miteinander. Heute ist sie immer noch mein Baby (das wird sie immer sein), aber zugleich ist sie eine reife, vielseitig gebildete Frau, die ich mehr als irgendjemanden sonst auf der Welt bewundere. Eine meiner lebendigsten Kindheitserinnerungen ist die: Ich bin fünf oder sechs Jahre alt. Meine Großtante ist zu Besuch. Ich bin im Wohnzimmer und versuche, einen Bären aus Plastilin zu kneten. Meine Großtante (die witzig und amüsant ist, aber auch gerne Unfrieden stiftet) fragt mich: „Wen hast du lieber, deine Mutter oder deinen Vater?“ Wohlgemerkt: Meine Eltern waren auch im Zimmer. Sechsjährige sind nicht gerade für ihre diplomatischen Antworten bekannt, und ich bildete da keine Ausnahme. Ich antwortete auf der Stelle: „Ich habe Mama und Papa gleich lieb, aber Anna hab ich am liebsten“. Es gibt vieles, das ich an meiner Beziehung zu Anna schätze, aber das Beste dabei ist, dass wir in unserer Beziehung immer ganz wir selbst sein können. Wenn wir zwei alleine sind (und das sind wir oft, weil wir gerne Dinge zu zweit unternehmen), gibt es keine Filter, keine Tabus. Wir haben keine Geheimnisse voreinander, beurteilen einander nicht, es gibt keine verbotenen Themen. Wir haben jetzt unsere eigenen Familien, aber unsere Verbindung hat sich nicht gelockert, ist unverändert. Sie ist mein Mensch und ich bin der ihre. Ich liebe sie bedingungslos im wahrsten Sinn des Wortes: Es gibt nichts, was sie tun könnte, so dass ich aufhören würde, sie zu lieben.

Wie kommt Anna denn zu dem Kosenamen „Baby Dino“?
Als sie vier war, hatte meine Schwester eine Dinosaurierphase. Es gab da einen Film, der gerade herausgekommen war – „In einem Land vor unserer Zeit“ – über Littlefoot, einen jungen Apatosaurus, mit einer anrührenden Szene, in der sich Littlefoot auf den Rücken seiner Mama kuschelt – meine Schwester machte das dann auch (freilich nicht auf meinem Rücken), sie kuschelte sich auf meinen Schoß. Sie pflegte mich am Arm zu zupfen und einen „Littlefoot-Kuschel“ zu verlangen. Eine Weile nannte ich sie da Littlefoot, aber irgendwie wurde daraus „Baby Dino“ – und dieser Name blieb dann hängen.

Um in der Nähe Ihrer Schwester zu sein, ist Ihnen offenbar kein Weg zu weit …
Stimmt. Im August 2015 zog sie nach Toronto in Kanada. Ich lebte damals in Brasilien, in Rio de Janeiro. Ich besuchte meine Schwester zwar oft, aber trotzdem vermisste ich sie wie verrückt. Als unser Vater im Oktober 2015 unerwartet starb, vermisste ich Anna umso mehr. Mein Mann Bruno muss gespürt haben, wie schwierig es für mich war, so weit weg von ihr zu sein. So gab er den Anstoß für unseren Umzug 2016. Das Beste: Jetzt leben meine Schwester und ich wieder unter einem Dach.

Anders als in Ihrer Familie sieht es bei den Heldinnen Ihres Romans aus. Die Halbschwestern Cassie und Julie meiden einander seit rund 15 Jahren. Das liegt nicht nur daran, dass die beiden ganz unterschiedliche Persönlichkeiten sind, oder? Was trennt die beiden?
Ich möchte nicht zu viel von der Story verraten, aber es gibt einen Riesengrund, warum Julie und Cassie nicht mehr miteinander reden. Im Roman wird das natürlich geklärt – es hat mit den dramatischen Vorgängen zu tun, die von ihren Eltern ausgelöst wurden. Von Julies Mutter, von Cassies Mutter und von ihrem gemeinsamen Vater. Es ist eine verworrene, komplizierte Situation, und ich bin sehr neugierig, wie die Leser darauf reagieren werden. Werden sie für Cassie Partei ergreifen? Oder für Julie? Werden sie mit beiden mitfühlen? Oder mit keiner von beiden? Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich, aber Julie und Cassie sind gleich doppelt unglücklich, da sie verschiedene Mütter haben.

„Sommer­glück auf Be­währ­ung“

Der letzte Wille von Nana, ihrer Großmutter, kommt Cassie und Julie im ersten Moment wie Erpressung vor. Aber eigentlich kann ihnen nichts Besseres passieren, oder?
Nana ist meiner Großmutter mütterlicherseits sehr ähnlich: zugleich willensstark und fürsorglich, logisch und emotional … Erpressung trifft es ziemlich gut. Ich sehe sie förmlich etwas Ähnliches tun, wenn Anna und ich uns voneinander entfremdet hätten. Nana manipuliert ihre Enkelinnen schlicht und ergreifend – aber in bester Absicht, nämlich aus Liebe und Fürsorglichkeit. Nana tat, was sie tun musste, um sicherzugehen, dass Cassie und Julie wieder zueinander finden würden. Und sie wusste, dass sie dazu in Montauk sein mussten, weil ihr Haus nicht einfach ein Ort war, sondern ein Symbol. Dort haben sich Cassie und Julie getroffen, und es war der Ort, an dem sie sich mit der Zeit wie echte Schwestern fühlten, wo sie zusammen aufwachten, zusammen spielten, zusammen groß wurden. Nana wollte, dass sie dieses Verhältnis wieder entdecken, jetzt als Erwachsene. Der Zeitpunkt ist ideal, da sowohl Cassie als auch Julie gerade sehr schwierige Augenblicke durchleben. Was mir an Nanas Plan so gefällt, ist die Tatsache, dass er ihnen gestattet, sich und einander zu retten.

Wofür steht Montauk?
Das Montauk-Haus ist ein Zufluchtsort für Cassie und Julie. Trotz unterschiedlichem Lebensalltag in ihren Elternhäusern haben sie etwas gemeinsam: Beide mussten zu schnell erwachsen werden. Im Montauk-Haus hingegen durften sie Kinder sein … Cassie braucht sich nicht zu sorgen, dass ihre Eltern dauernd streiten, und Julie braucht sich um ihre Mutter keine Sorgen zu machen. Nana gibt ihnen Halt und emotionale Sicherheit.

Haben Sie auch einen Ort, der für Sie so mit glücklicher Kindheit und Geborgenheit verbunden ist?
Ich erinnere mich, als ich 7 Jahre alt war, sollte ich mit meinen Großeltern väterlicherseits die Disney World besuchen. Meine Schwester wollten sie nicht mitnehmen – sie dachten, sie sei zu jung. Ich sagte höflich nein, ich kam nicht einmal in Versuchung. „Glückliche Kindheit“ war für mich nicht mit einem Ort verbunden. Es war meine Schwester. Nebenbei, das ist auch mein „Glücksort“ als Erwachsene.

Was waren Ihre Gründe, diesen kleinen Ort Montauk auf Long Island als Romankulisse zu wählen? Was lieben Sie hier besonders?
Als Kind verbrachte ich einen Sommer in Montauk. Es ist ein magischer Ort: inspirierend, bewegend, einzigartig. Ich war seither ein paar Mal wieder dort, und seine Schönheit hört nicht auf, mich in Erstaunen zu versetzen. Ich weiß noch, wie ich auf die meisten Figuren und Handlungszüge des Romans gekommen bin, aber wann und wie ich Montauk als den Schauplatz wählte, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, Montauk wählte mich.

Als Psychologin hat Cassie für ihre Klienten jede Menge Ermutigungen und Ratschläge parat. Beispielsweise:„Sag niemals nie!“ Also, man sollte nichts für unmöglich oder unmachbar halten. Wann waren Sie so richtig von sich selbst überrascht?
Dieser Roman ist das beste Beispiel dafür. Früher konnte ich einfach nicht glauben, dass jemals ein Buch von mir veröffentlicht werden würde. Dabei hatte ich immer – immer – davon geträumt, Schriftstellerin zu werden. Schreiben war schon immer meine Leidenschaft. Ich hätte diesen Traum nicht verwirklichen können, wenn da nicht mein Mann gewesen wäre. Er war es, der mich ermutigte zu tun, woran mein Herz hängt, statt immer nur das, was Sicherheit bietet. Er unterstützte mich in jeder Hinsicht. Nichts von alledem wäre möglich ohne ihn. Ich hatte riesiges Glück und bin unendlich dankbar.

„Familie – ein Kreis un­be­ding­ter Liebe“

Julies Ehemann Patrick ist Jurist – ein Metier, das Sie gut kennen, denn Sie waren selbst Anwältin für Finanzrecht und Dozentin für Rechtswissenschaft …
Mir hat es immer gefallen zu debattieren. Weniger vornehm ausgedrückt: Seit meiner Kindheit habe ich mit jedem über alles gestritten. Ich hatte Spaß daran, Lücken in der Argumentation von anderen zu finden, ihre Prämissen in Frage zu stellen – und am besten als Siegerin aus dem Disput hervorzugehen. Mein Vater meinte, ich würde eine großartige Juristin abgeben. Daraus wurde mein Traum – und ich glaube, das lag daran, dass es sein Traum war. Das Recht ist ein wunderbarer Beruf, ich verdanke ihm so viel von dem, was ich bin. Es lehrte mich, kritisch und analytisch zu denken und wie man unter Druck konzentriert arbeitet. Zugegeben, es machte mich kaffeesüchtig …

Was war tatsächlich das große Aber?
Mein Job erlaubte mir nicht, Menschen zu erschaffen, eine Welt, Orte. Das Recht ist eine Wissenschaft. Das Schreiben ist eher etwas Künstlerisches.

Für Cassie und Julie hat Familie ganz große Bedeutung. Und für Sie selbst? Wie würden Sie Ihr Verständnis von Familie beschreiben?
Mir geht nichts über die Familie. Meine Familie, das sind meine Wurzeln – ein Hintergrund, eine Geschichte, zahllose Traditionen. Sie inspirierte mich zum Fliegen: Träumen, Herausfinden, Erreichen. Aber vor allem hat mich meine Familie gelehrt, bedingungslos zu lieben. Und für mich ist genau das Familie: ein Kreis unbedingter Liebe.

Zu Ihrer Familie gehört Babaganoush, ein besonderer Hund. Was schätzen Sie an ihm?
Babaganoush (oder kurz Baba) ist meine anbetungswürdige Englische Bulldogge. Er, ein Männchen, bringt mir viel Liebe entgegen und bereitet mir Freude. Er ist immer bei mir, entweder auf meinem Schoß oder an meiner Seite. Er scheint intuitiv zu wissen, was ich brauche. Wenn ich traurig bin, kuschelt er sich an mich und tröstet mich. Wenn ich fröhlich bin, schnappt er sich ein Spielzeug und will mit mir spielen. Ich lese gern, und sobald ich zu einem Buch greife, springt er mir auf den Schoß und wir „lesen“ gemeinsam (um ehrlich zu sein: meistens schläft er). Für mein Wohlbefinden ist er unerlässlich – ich bin so dankbar für seine Zuneigung. Für mich ist die Liebe eines Hundes grenzenlos, unverfälscht und wertvoller, als sich sagen lässt.

Am Ende Ihres Romans verraten sie Nanas geheimes Pasta-Rezept. Kochen Sie gern?
Und ob. Ich liebe das Kochen nicht nur, weil ich Essen schätze, sondern weil Essen die Familie zusammenbringt. Pasta gehört zu meinen Lieblingsgerichten – ich bin zum Teil italienischer Abstammung. Nanas Rezept im Buch ist das Pasta-Rezept meiner eigenen Großmutter, ein wunderbar unkompliziertes Familiengericht.