Auch als eBook auf Hugendubel.de erhältlich
UM LEBEN und Tod ging es bei Daniel Cole schon vor seiner Karriere als Autor atemberaubender Spannungsliteratur. Jahrelang war er im Einsatz bei der britischen Seenotrettung und als Rettungssanitäter. Eine harte Schule mit unterschiedlichsten Erfahrungen, wie Menschen in Extremsituationen reagieren. Als Bewältigungsstrategie bewährte sich Galgenhumor. Und den pflegt er auch in seinen Thrillern: An den internationalen Sensationserfolg „Ragdoll – Dein letzter Tag“ knüpft er nun an mit „Hangman – Das Spiel des Mörders“.
Welche Eigenschaften und Fähigkeiten muss man als Rettungssanitäter oder Seenotretter mitbringen?
Die wichtigste Eigenschaft für jegliche Tätigkeit im Rettungswesen ist meiner Erfahrung nach die Fähigkeit, auch unter Druck die Ruhe zu bewahren. Ganz gleich, wie gut man ausgebildet ist oder sich fachlich auskennt: Das hilft wenig oder gar nicht, wenn man seine Kenntnisse nicht anwenden und vernünftig kommunizieren kann. Dies erfordert natürlich auch ein bisschen Übung.
Welche Spuren haben Ihre Rettungseinsätze bei Ihnen hinterlassen?
Ich möchte niemanden mit zu vielen Details deprimieren. Generell würde ich aber sagen, dass Einsätze, die einen dauerhaften Eindruck hinterlassen, normalerweise nicht die sind, die einem fachlich am meisten abverlangt haben oder von den schlimmsten Verletzungen oder Umständen begleitet wurden. Es sind eher die Einsätze, hinter denen eine erschütternde persönliche Geschichte oder charaktervolle Menschen standen.
Inwiefern profitieren Sie als Thrillerautor von Ihrer Sanitäterausbildung und von Ihren Erfahrungen in Extremsituationen?
Das Wesentliche, das ich aus meiner Zeit beim Rettungsdienst mitgenommen habe, ist die Einstellung, so ziemlich alles schon einmal gesehen, gehört und erlebt zu haben – gepaart mit dem Galgenhumor, der bestimmten Leuten als Bewältigungsstrategie hilft. Diese Dinge haben schließlich nicht nur bestimmt, wie die Figuren in meinen Thrillern miteinander umgehen, sondern diese Haltung und der schwarze Humor prägen auch den Ton für das ganze Buch.
Was ist für Sie selbst beim Schreiben am spannendsten? Die Entwicklung einer raffinierten Geschichte? Die Inszenierung spektakulärer Leichenfunde? Oder die Erschaffung Ihrer Protagonisten?
Mir sind alle genannten Punkte wichtig, aber am meisten die Entwicklung der Charaktere. Es klingt vielleicht etwas kitschig, aber für mich sind die Figuren wirklich meine Freunde. Ich möchte mehr über ihr Leben erfahren. Es gibt eine bestimmte Szene in „Hangman“, in der eine meiner Figuren ein Geheimnis hat, das selbst ich nicht aufdecken konnte. Solche Dinge sind sehr hilfreich, um die Figuren noch lebensnäher darstellen zu können.
Ihre Ermittler sind alles andere als strahlende Helden. Ihre Absicht?
Mich fasziniert die moralische Zwiespältigkeit – beispielsweise wie sich Menschen rechtfertigen für das, was sie tun. Bei „Ragdoll“ wollte ich nicht nur einen Protagonisten haben, sondern ein ganzes Ensemble voll entwickelter Charaktere als Besetzung: jeder mit seinen eigenen komplizierten Wechselbeziehungen und alle zusammen mit einer gemeinsamen Geschichte.
Im Mittelpunkt des zweiten Bands „Hangman“ steht Emily Baxter. Ihr besonderes Potenzial?
Mit der Fokussierung auf Baxter konnte ich die Geschichte achtzehn Monate nach der Handlung von „Ragdoll“ wieder aufnehmen. Das eröffnete mir neue und unerwartete Richtungen, in die ich „Hangman“ entwickeln konnte. Ich liebe Baxter. Sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit meiner kleinen Schwester Melody, die Dummköpfe nicht ausstehen kann. Melody bringt mich immer zum Lachen mit ihren vergeblichen Kommunikationsversuchen mit gewissen Vertretern der menschlichen Rasse.
„Filme, die man liest“
Um möglichst realitätsgetreu zu schreiben, holen sich viele Ihrer Autorenkollegen Rat bei Polizisten, Psychiatern und anderen Profis. Wie gewinnen Sie Einblicke?
„Ragdoll – Dein letzter Tag“ hat seine ganz eigenen Regeln, die auch für „Hangman“ gelten. Es geht nicht um die Verfahrensweisen bei der Polizei. Es geht um hyperreale Situationen mit überlebensgroßen Charakteren und Situationen. Im Grunde sind es Filme, die man liest. Ich versuche daher, mich nicht zu sehr in den Feinheiten der routinemäßigen Polizeiarbeit zu verstricken, sondern ich recherchiere sehr gründlich an den Orten, wo ich meine Handlung inszeniere.
„Hangman“ führt von London nach New York. Was hat Sie zur Radiuserweiterung veranlasst? Und warum New York? Oder allgemeiner: Warum die USA, wo z.B. Prediger im Frühstücksfernsehen wundersame Theorien über Serienkiller und gefallene Engel verbreiten?
Der inhaltliche Grund für die Verlagerung der Handlung nach New York zeigt sich im Lauf der Geschichte. Vor allem wollte ich aber das Gefühl einfangen, ein Reisender an einem überwältigenden und ungewohnten Ort zu sein. Wie Sie sagen, begibt sich die Geschichte durch bestimmte Dinge auf Neuland, z.B. durch evangelikale Prediger. Und natürlich war auch die Inszenierung in einem tief verschneiten Manhattan absolut verlockend.
In „Ragdoll“ geht gleich am Anfang ein Prozess bei der Urteilsverkündung im absoluten Chaos unter. Welche Konflikte stecken für Sie darin?
Gesetz kontra Recht beziehungsweise das Richtige tun: Dieser Dauerkonflikt durchzieht sowohl „Ragdoll“ als auch „Hangman“. Und ich wollte unseren Helden – Detective Wolf – vorstellen, als er an seinem tiefsten Punkt angekommen war: gewalttätig, rücksichtslos und außer Kontrolle.