Als großer Geschichtenerzähler hat Hark Bohm eine neue deutsche Filmkultur mitbegründet und in rund 50 Jahren Karriere als Regisseur und Drehbuchautor geprägt. Für seine Filmprojekte wie „Nordsee ist Mordsee“, „Yasemin“ und „Aus dem Nichts“ wurde er vielfach ausgezeichnet, z.B. 2018 gleich doppelt mit dem Deutschen Filmpreis. Nun entfaltet er seine einzigartige Erzählkunst in seinem Romandebüt „Amrum“ – Erinnerungen an seine eigene Kindheit.

Amrum ist für Sie nicht nur eine malerische Filmkulisse. Was verbindet Sie mit der Nordseeinsel?
Amrum ist mir ganz vertraut. Es ist der Fleck Erde, der mir vermittelt, dass ich zu Hause bin.

Welchen Ursprung hat Ihr Heimatgefühl auf Amrum?
Meine Kindheit.

In welcher Zeit sind Sie auf Amrum aufgewachsen? Was hat Sie als Inselkind geprägt?
Von 1941 bis 1951, also im Alter von 2 bis 12 Jahren war ich auf Amrum. Bedeutsam war, in den Hungerjahren ständig darüber nachdenken zu müssen, wie man zum Unterhalt der Familie beiträgt – selbstverständlich auch ich als Kind.

Welchen Stellenwert hatten beim Schreiben Ihre eigenen Erinnerungen?
Die Kindheitserinnerungen aus Amrum sind nach und nach überlagert worden von anderen, zeitgemäßen Geschichten, an denen ich gearbeitet habe. Durch Anregungen von Fatih Akin waren sie dann wieder ganz da und betteten mich ein.

Was hat Ihr Protagonist Nanning Hagener mit dem Inselkind Hark Bohm von einst gemeinsam? Was haben Sie ihm von sich selbst mitgegeben?
Alles.

„Nanning ist zerrissen.“

Wie würden Sie Nanning beschreiben?
Nanning ist ein wacher, sensibler Junge, der oft in Tagträumen versinkt. Er will es allen recht machen und ist zerrissen zwischen der Verbundenheit zur Insel und ihren Menschen und den Verpflichtungen gegenüber seiner Familie.

In welchen Verhältnissen wächst Nanning auf und wie prägt ihn das Familienklima?
In Armut, zwischen Nazis und Nicht-Nazis. Diese Front verläuft einerseits in seiner Familie, zwischen seiner Mutter Hille und seiner Tante Ena. Aber auch Nachbarn und Freunde, die Nanning Dinge beibringen und die täglich Seite an Seite mit ihm arbeiten, beeinflussen seine Sicht auf die Welt.

Der Krieg verändert Nannings Rolle in der Familie. Was wird ihm nun abverlangt?
Krieg ist für Nanning das Normale. So ist er schon mit neun, zehn Jahren daran gewöhnt, für die Familie zu sorgen, zu kämpfen. Und er muss viel Konkurrenz überwinden mit den Flüchtlingskindern.

„Als bester Freund hat man Ahnungen …“

Was macht die eigentlich grundverschiedenen Jungs Nanning und Hermann zu besten Freunden?
Man kann es kaum besser sagen als Nanning im Roman: „Als bester Freund hat man Ahnungen, auch wenn man nichts Genaues weiß. Dafür ist man das ja schließlich – ein bester Freund.“

Schöpfen Sie aus eigener Erfahrung, was Kindheitsfreunde anbelangt? Gab oder gibt es für Sie auch einen Hermann?
Ja, Hermann ist mein längster, bester Freund, mit dem ich aufgewachsen bin. Er ist ausgewandert und lebt auf Long Island. Die beiden Jungs, die ich im Roman schildere, die waren tatsächlich da. Ich sehe sie vor mir.

Wer wird für Nanning und Hermann – zumindest für Momente – zum Ersatzvater und wodurch?
Opa Arjan, der Opa von Hermann. Er kann alles und hat Haltung.

Inwieweit spiegelt Amrum 1945 als Mikrokosmos das Stimmungsklima in Deutschland?
Die Inselgemeinschaft war gespalten wie wohl auch das ganze Land. Es gab diejenigen, die sich das Ende des Krieges herbeiwünschten, und diejenigen, die immer noch auf einen Endsieg ihres großen Führers hofften. Dazu kam, dass die Flüchtlinge im Rest von Deutschland ihre neue Heimat finden mussten.

„Opa Arjan hat die Vaterrolle übernommen.“

Was macht „Amrum“ – auf moderne Weise – zum Heimatroman?
Dass er auf Erinnerungen basiert, die kaum verblassen. Die Jahre auf Amrum habe ich vor Augen, da sind viele Dinge, viele Personen, viele Ereignisse, die ich heraufrufen und genau schildern kann. Auch die Landschaften, die Dünen, das Meer, der Kniepsand – das ist alles da. Und: Dass der Autor sich bis heute als Amrumer fühlt.

Nanning streift oft und gern durch die unberührte Natur. Was macht Ihnen die detailgenauen und stimmungsvollen Schilderungen wichtig und was haben Sie dabei empfunden?
Alles zu verlieren? Und gleichzeitig: Vögel zu suchen und beobachten – das ist bis heute ein Teil meiner Person.

Ihr Amrum-Roman ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Schriftsteller Philipp Winkler. Wie kam es dazu und was schätzen Sie an ihm?
Ursprünglich habe ich ein Drehbuch für Fatih Akin geschrieben. Arnulf Conradi und Elisabeth Ruge fanden, dass in dem Drehbuch ein Roman steckte. Philipp Winkler konnte tatsächlich aus einzelnen Ereignissen – Szenen – eine ganze Geschichte entstehen lassen.

Wie sind Sie beide bei Ihrer Amrum-Kooperation vorgegangen?
Ich habe Philipp Winkler die Häuser gezeigt, in denen Hermann und ich wohnten, und die Dünen, in denen wir Eier gesammelt und Kaninchen gefangen haben. Ich habe ihm viel gezeigt und viel erzählt.