PRIMA PERSPEKTIVEN statt bitterer Pillen: Dr. Matthias Riedl ist als „Ernährungs-Doc“ Fachmann für gute Nachrichten zum Thema Ernährung. Seine Kernbotschaft fürs Wohlbefinden: „Der Mensch ist, was er isst“, d.h. gesundes Essen tut Körper und Geist gut. Aber warum greifen viele dennoch lieber zu Salami-Pizza statt zu Salat oder Sellerie-Schnitzel? Und snacken zwischendurch Schokoriegel statt Nüsse und Karotten? Die Antwort: Frühkindliche Ernährungsprägung! Was bei den Kleinsten optimal gelingt und wie auch Erwachsene die Neuprogrammierung schaffen, zeigt Dr. Riedl in seinem neuen Buch – mit passendem Rezeptbuch.

Im Grund wissen die meisten Menschen, was gesund wäre – und doch fällt uns die Ernährungsumstellung schwer. Woran liegt das?
Mittlerweile haben wir schon mehrere Generationen mit falscher Essprägung. Wir merken das an einer Explosion der Zivilisationskrankheiten, wie Darmerkrankungen, Diabetes und Immunkrankheiten. Und es wird noch schlimmer. Die Lebenserwartung wird sinken.

Der Schlüsselbegriff in Ihrem neuen Buch ist Prägung. Was macht dieses Phänomen so wichtig?
Alle Primaten erhalten in den ersten 1000 Tagen eine wichtige Essprägung. Das ist überlebenswichtig, damit die Kinder die Erfahrungen ihrer Familien übernehmen können. Eine falsche Beere, und tot ist der junge Affe.

Wie würden Sie Ihr wichtigstes Anliegen auf den Punkt bringen?
In einer ernährungsfeindlichen Supermarktumwelt ist Orientierung notwendig. Man sollte da nicht alles einkaufen, nur weil es angeboten wird. Wer diese Orientierung nicht an seine Kinder weitergibt, nimmt ihnen die Chance auf Gesundheit und Intelligenz.

Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die ersten 1000 Tage. Wann beginnt diese Zeitrechnung?
Schon vor der Befruchtung. Sie endet mit dem zweiten Lebensjahr, dann ist die Prägung im Wesentlichen abgeschlossen. Das Fenster schließt sich.

Worauf zielt die positive Prägung konkret ab?
Der Mensch ist ein Pflanzenesser mit tierischer Beikost. Die Verschiebung zur Überdosis an Fleisch und Wurst ist schon nicht gut, aber die Zunahme der Fertigprodukte ist ein Drama für den Menschen. Konkret: Es geht darum, die Bandbreite der Gemüse, Nüsse, Obst, Kräuter, Gewürze kennen und lieben zu lernen anstatt Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker, Zucker und Co.

Werdende und frischgebackene Eltern wollen alles richtig machen. Was empfehlen Sie als optimalen Anfang?
Mein neues Buch sollte schon in der Planungsphase zur Grundausstattung gehören. Ich empfehle sehr, dass sowohl die Eltern als auch die Verwandtschaft mitmachen. Sonst klappt das schlecht. Ich hoffe auf eine neue Bewegung im Land.

Sie sind Ernährungsmediziner und Vater. Wie hat es denn bei Ihnen geklappt, diesen Plan in die Tat umzusetzen?
Auch ich habe viel gelernt in den letzten 20 Jahren und früher einiges falsch gemacht. Aber meine Söhne haben viel Positives in ihr Leben mitgenommen. Da kann ich zufrieden sein.

Vorbild sein klingt nicht zuletzt nach Disziplin. Wie findet man am besten in diese Rolle?
Erstmal verstehen, um was es geht und was Ernährung für die Entwicklung eines jungen Lebens bedeutet. Dann ist es keine Pflicht, sondern ein Anliegen. Wer merkt, wie gut es ihm damit geht, bleibt dabei. Wichtig: Flexibel bleiben, nichts ist verboten, es kommt auf die Dosierung an. Ich propagiere keine Diät, sondern artgerechte Ernährung.

Sie plädieren mit Leidenschaft fürs Selberkochen. Was überzeugt Sie so sehr?
Die Mehrheit der Fertigprodukte ist – bis heute – nicht zu empfehlen. Wir brauchen 25 verschiedene Sorten von Gemüse, Salat, Nüssen, Kräutern und Co. pro Woche. Das schaffen wir nur, indem wir unser Essen selbst zubereiten.

Ihrer Erfahrung nach: Was sind die häufigsten Fehler oder Irrtümer bei der frühkindlichen Prägung?
Viel zu früh Süßigkeiten, Fertigprodukte, Unmengen an Zucker, zu viel Weizenprodukte, zu wenig Gemüse und Kräuter, Essen als Belohnung oder Trost, zu lasche oder zu autoritäre Ernährungserziehung, Vollstopfen der Kinder bis hin zum Snacking …

„Essen Sie nie zum Trost!“

Essen hat viel mit Gefühl zu tun, wie Sie betonen. Wie gelingt es, die positiven Effekte zu nutzen und die negativen auszuschalten?
Empathischer Umgang mit dem Essen, kein Zwang. Neugierde bei den Kindern wecken und sich mal was vom Teller stibitzen lassen. Aber auf keinen Fall betonen, dass man etwas essen soll, weil es gesund ist. Und bitte: Essen nie zum Trost, Essen ist keine Belohnung! Diese verinnerlichte Erfahrung führt leider sonst zu einem oftmals lebenslangen Übergewicht. Prägung eben.

Ihnen geht es nicht allein um die frühkindliche Prägung. Wen haben Sie noch im Blick?
Wer erkannt hat, wie er selbst geprägt wurde, kann sich umprägen. Das gelingt Erwachsenen durch Selbstanalyse und neue Zielsetzung. Vorlieben sind nicht gottgegeben!

Was empfiehlt sich für die Neuprogrammierung bei Erwachsenen?
Verstehen, wie es dazu kam und offen sein für Neues. Wir liefern in unseren Büchern viele tolle Beispiele für ein neues, schönes Leben.

Sie sehen gesunde Ernährung nicht ausschließlich als individuelle Frage, sondern auch als gesellschaftliche Herausforderung. Welche Aufgaben sehen Sie konkret?
Wenn wir unser Gesundheitswesen erhalten wollen, müssen wir handeln. Sonst sprengen die Kosten das System. Wir müssen an die Ursachen. Und die liegen in der Kindheit. Jeder sollte mein neues Buch lesen. Es spart Geld, bringt Gesundheit, erspart Krankheiten und bringt uns neue gesunde und intelligente Kinder. Ich wünsche mir mehr Unterstützung durch die Kassen, die Ärzteschaft und die Politik. Die Ernährung gehört ganz klar ins Gesundheitsministerium, nicht mehr zum Ministerium für Landwirtschaft. Und: Werbung für ungesunde Kinderernährung gehört verboten.