Sebastian Hotz „El Hotzo“ ist einer der bekanntesten Gesellschaftskritiker unserer Zeit. Seine treffsicheren Postings werden täglich von 1,5 Millionen Menschen gelesen, außerdem schreibt er als Autor beim „ZDF Magazin Royale“ über seine Lieblingsthemen. Seine Favoriten sind unter anderem deutsche Bahnhöfe, Lügen, Slim-Fit Anzüge, Finanz-Bros und Männlichkeitscoaches.

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Um was geht es in deinem ersten Roman?
Es geht in diesem Buch um die Welt der Finanz- und Life-Coaches. Eine Welt, die danach schreit, persifliert zu werden und in der sich die Witze von selbst schreiben. Es geht aber nicht nur darum, dass Leute, die sich diesen Multi-Level-Marketing-Krypto-Schemes dieser Welt anhängen, Trottel sind, sondern dass es dafür auch einen guten Grund gibt, nämlich eine 40-Stundenwoche, die für immer gleich aussehen wird, bis man schreit und stirbt. Die kann ganz schön unglücklich machen und es ist absolut okay, sich zu fragen, wie ich da rauskomme.

Wie ist die Idee für dein Buch entstanden?
Die Idee kam mir im Laufe der 10er Jahre, weil sich diese Alpha-Männer, angeführt vom bekanntesten Beispiel Kollegah, immer weiter im Mainstream ausgebreitet haben. Und es schreit danach, das irgendwie in einem Roman zu verarbeiten, weil es von außen betrachtet absolut irre aussieht, dass man auf diese Masche reinfallen könnte.

Was war deine Motivation?
Diese Hilflosigkeit mit der Welt, in der wir leben. Ich glaube, ich habe bereits 3.000 Tweets über dieses Thema geschrieben, weil ich mich damit so ein bisschen identifizieren kann. Ich glaube, es hätte mit 18, 19, 20 bei mir nicht viel gebraucht, um mich in so eine Multi-Level-Marketing-Männlichkeit-Alpha-Testosteron-Bubble zu schubsen.

„Ein Buch sind ja auch nur viele Tweets …“

Wie war der Wechsel von Twitter-Nachricht zum Buch mit 280 Seiten?
Dieser Wechsel war eigentlich total einleuchtend, ein Buch sind ja auch nur viele Tweets, also 3.000 Tweets ungefähr, so viele Tweets schreibe ich in einem Jahr. Ansonsten glaube ich, dass die Humor-Farbe immer noch dieselbe ist und immer noch erkennbar ist, dass Sebastian Hotz das geschrieben hat.

Was ist anders als bei Twitter?
Dadurch, dass man eine Geschichte erzählen und einen Spannungsbogen aufbauen kann und sich nicht nur destruktiv über alles lustig macht, sondern so was Ähnliches wie Sympathie und Konstruktives erschaffen kann, ist es für mich angenehmer und schöner geworden. Außerdem mussten sich mit dem Buch richtig viele Menschen beschäftigen, damit es rauskommt. Also kann es nicht so scheiße sein. Das würde meinen Tweets auch ab und zu gut tun.

Abseits von deinem eigenen, welches Buch kannst du uns empfehlen?
Ich glaube, es gibt keine Stadt, über die mehr Romane geschrieben worden sind als New York, zumindest in der westlichen Literatur. Es ist oft schmerzhaft cringe, über eine Stadt und über Kunst noch mehr Kunst zu machen. Aber „Was ich liebte“ von Siri Hustvedt hat mich von der ersten Zeile an mitgenommen und ich erstarre in Ehrfurcht über so ein absolut wortgewaltiges, unglaublich schlau konstruiertes Stück Kunst wie das hier.

Hast du so Sehnsuchtsorte, wo du selbst hin möchtest?
Ich würde gerne nach New York, aber stehe leider noch bis nächstes Jahr auf einer Nicht-Einreise-Liste. Vielleicht erkläre ich das mal, aber es ist kein Terroranschlag. Leider. Weil ich unbedingt wissen will, warum Amerikaner lustiger sind als Deutsche. Ansonsten habe ich den großen Vorteil, dass mein Sehnsuchtsort immer das Internet ist.

Wo liest du am liebsten?
Der Ort, an dem ich am liebsten lese, ist bei mir. Man glaubt es bei mir gar nicht, weil ich überhaupt nicht wie so ein Typ dafür wirke. Aber ich bin echt gern zu Hause und ich schäme mich auch dafür, in der Öffentlichkeit Bücher zu lesen, weil das so angestrengt intellektuell wirkt.

Was hast du noch gerne gelesen?
Ich wusste nicht, ob ich „Herkunft“ oder „Vor dem Fest“ nehmen soll. „Vor dem Fest“ habe ich aber ausgewählt, weil es der beste Dorfroman ist. Niemand hat die wunderschöne Mischung aus Einsamkeit und Abgeschiedenheit mit dem gleichzeitigen Mikrokosmos Dorf so gut verbunden, wie es Saša Stanišic´ gemacht hat. Er ist der meiner Twitter-Follower, auf den ich am stolzesten bin.

Erinnert es dich an deine Kindheit in Forchheim?
100 %. Man denkt immer, dass das Dorf, in dem man aufgewachsen ist, so eine Einzigartigkeit hätte und wir aus Teuchatz anders sind als die in Unterleinleiter, aber tatsächlich scheint das Konzept Dorf etwas zu sein, in dem sich immer der gleiche Menschenschlag findet. Ohnehin, jede Region in Deutschland behauptet immer, dass sie die Einzige wäre, in der man so unfreundlich ist, aber herzlich, wenn man sie kennenlernt. Das macht man in Ostwestfalen so, das macht man in Oberfranken so, das macht man in Brandenburg so, das ist nicht so einzigartig, wie ihr denkt, Leute.

„Bücher waren die Art der Unterhaltung, die am besten zugänglich war.“

Wie bist du als Kind zum Lesen gekommen?
Weil ich den großen Vorteil habe, in einer Zeit aufgewachsen zu sein, in der noch nicht jedes Kind ein iPad hatte. Es klingt sehr boomerhaft, wenn ich das sage. Ich bin wirklich froh darum, weil ich weiß, was soziale Medien in den letzten 15 Jahren in meinem Gehirn für Schäden angerichtet haben. Ich bin froh, dass das zumindest so bis 15 gedauert hat, bis ich einen SchülerVZ-Account hatte. Bücher waren die Art der Unterhaltung, die am besten zugänglich war.

Welches Buch hast du noch für uns dabei?
Es heißt „Kein falsches Wort jetzt“. Ich habe das stellvertretend mitgebracht für meinen YouTube-Algorithmus, der nur aus Christoph-Schlingensief-Interviews und vielen Formel-1-Highlights besteht. Dieses Gesprächs-Buch hatte in den letzten Jahren eine weirde Renaissance. Es ist so ein Buch, das man immer aufschlagen kann um einfach ein paar Seiten zu lesen. Manchmal ist diese Beiläufigkeit der Unterhaltung ganz schön. Christoph Schlingensief, ein Genuss für jeden YouTube-Algorithmus.

In seinem Buch geht es um sein Vermächtnis – was glaubst du, wird dein Vermächtnis sein?
Ich werde einfach eine verwirrende Anzahl an Kabeln und Ladekabeln aus den letzten 50 Jahren Technikgeschichte hinterlassen. Und ich freue mich auch darauf, dass meine Erben irgendwann mal durch so hunderte Gigabyte Bilddatenbank durchgehen müssen, in denen ich einfach meine ganzen eigenen Tweets gescreenshottet habe.

Ein weiteres Lieblingsbuch von dir ist „Jürgen“ von Heinz Strunk.
Es ist nicht der beste Heinz-Strunk-Roman und man kann auch sehr viele schlechte Dinge über Heinz Strunk sagen. Aber ich finde an diesem Buch sehr interessant, dass es im Prinzip dieselbe Frage aufwirft wie „Mindset“, nämlich den Umgang von ein bisschen trotteligen Männern mit so einer Welt, in der sie nicht mehr richtig so zurechtkommen, weil sie keine Ahnung haben, wie sie, so in diesem Fall, romantische oder Karriere-Optionen ausloten sollen. Es erzählt von der schrecklichen Suche von Jürgen nach einer geeigneten Partnerin. Im Prinzip ist das ja das Vor-Shadowing auf all das, was uns Andrew Tate eingebracht hat, auf so ein komisches Bild von Männlichkeit, das so verloren ist, dass man diese Menschen zwar schütteln und mit ihnen diskutieren möchte, aber man weiß, dass es nichts bringt. Aber es ist ein bisschen die härtere Version der Frage, die ich mir in „Mindset“ gestellt habe.

„Es gibt so viele unglaublich schlaue Leute auf Twitter.“

Woher bekommst du deine Buchtipps?
Wie alles Gute, was mir jemals im Leben passiert ist, aus dem Internet. Das Coole ist, ich kann auf Twitter nicht nur schreiben, sondern ich kann auch ganz viel lesen. Und es gibt so viele unglaublich schlaue Leute auf Twitter, die ich manchmal beeindrucken möchte. Und wenn die ein Buch loben, dann kaufe ich mir das auch und sag dann „Ja, so ein megagutes Buch“, obwohl ich vielleicht gar keine Ahnung davon habe.

Holst du dir Buchinspiration auf Instagram oder TikTok?
Diese Accounts schauen immer sehr nach „Harry Potter“ aus oder wie ein Ikea-Modellraum. Und das kann ich ästhetisch leider nicht mit mir vereinbaren, aber ansonsten wirklich viel auf Twitter.

Wenn du einen Lese-Modellraum für dich entwerfen könntest, wie würde er aussehen?
Das wäre es so ein dunkler Kellerraum mit einer einzigen Leselampe drin und einem riesigen Ohrensessel. Und ein faradayscher Käfig, der mich von aller elektromagnetischen Strahlung in dieser Welt abschirmt, damit ich keine Möglichkeit habe, irgendein Internet-Signal zu empfangen, weil dann kann ich auch wirklich lesen.

Bist du ein Vielleser?
Ich bewundere Menschen, die in drei Tagen 300 Seiten lesen und denke mir „Wow, wie schaffen die das?“. Aber dann werfe ich einen Blick auf meine Bildschirmzeit und denke mir „Ah, die hängen einfach nicht acht Stunden am Tag an ihrem Handy“. So kann man Hobbies haben und Bücher lesen und intelligenter werden. Ich entscheide mich aktiv dafür, auf Twitter rumzuhängen und ab und zu vor meinem Laptop, damit ich ein Buch schreiben kann. Und das ist ein guter Lebensentwurf, den ich eigentlich bis ans Ende meines Lebens verteidigen werde.

Welches Buch hast du in letzter Zeit gelesen?
„Die Anomalie“ möchte ich stellvertretend als Brandrede für kleine, unterhaltsame Bücher empfehlen, die einfach sein können und nicht gleichzeitig noch mein Leben verändern müssen durch irgendeine tiefere Bedeutung und eine Erweiterung meines Horizonts, dafür ist „Die Anomalie“ fantastisch. Ich bin immer froh, wenn ein französischer Name so ein „le“ drin hat. Es schaut so intelligent aus im Bücherregal und klingt toll.

 „Ich war absurd gut, weil ich sehr gut lügen kann.“

Warst du in der Schule gut im Deutschunterricht?
Ich war absurd gut, weil ich sehr gut lügen kann. Wenn man keine Ahnung hat, wie man einen Text interpretieren soll, dann muss man sich einfach nur eine sehr gute Lüge ausdenken und das mit ein paar Sachen im Text verknüpfen und dann funktioniert es super gut. Außerdem hilft mir die Fähigkeit, Dinge überzuinterpretieren, im Alltag, ich kann jede WhatsApp-Nachricht 300-fach durchanalysieren, jeder Emoji hat für mich jetzt eine tiefere Bedeutung.

Sind dein Roman und dein Twitter ein Ventil, um als Folge von unserer Welt nicht noch verrückter zu werden?
Die verrückt gewordene Welt in „Mindset“ ist deutlich offensichtlicher als die, in der wir leben. Ich glaube aber, dass sich unsere Welt eigentlich nur sehr, sehr offensichtlichen Regeln bis zur Sinnlosigkeit unterwirft. Deshalb scheint alles, was passiert, so komplett bescheuert und dumm. Eigentlich ist es sehr konsequent durchdacht und sehr normal, was gerade passiert. Vielleicht hätten wir nicht alle unsere Gesellschaftsstrukturen dem maximalen Gewinn von Konzernen unterwerfen sollen. Es sind eigentlich sehr einfache Regeln und diese auf die Spitze getrieben. Diese Regeln der Selbstverwaltung und Selbstvermarktung und Selbstoptimierung. Das ist ja eigentlich nur das, was auf irgendwelchen Instagram-Seiten mit Männern in Slim-Fit Anzügen passiert, die anderen Männern verkaufen wollen, wie sie erfolgreich werden. Das ist eigentlich nur eine konsequente Fortführung. Deshalb ist die Welt gar nicht so verrückt geworden. Es gibt keinen Regelbruch. Es ist eigentlich genau so, wie es sein soll und halt scheiße so.

Was würde mit unserer Welt passieren, wenn mehr Leute Bücher lesen würden?
Ich glaube, es wäre nicht wünschenswert, zumindest für mich aus einer geschäftlichen Perspektive, wenn Menschen mehr Bücher lesen würden, weil dann würden sie merken, dass Tweets vielleicht gar keine so krasse Kunstform sind. Ich glaube aber, dass es durchaus zuträglich für so eine Gehirnstruktur ist, sich ab und zu nicht von 30 laut plärrenden TikToks leiten zu lassen.

„… das gedruckte Buch, das macht haptisch wirklich sehr, sehr viel Spaß.“

Gedrucktes Buch, eBook oder Hörbuch?
Die Option Hörbuch nehme ich sehr, sehr gerne, um Bücher zu konsumieren, auf die ich eigentlich keine Lust habe, aber von denen ich glaube, dass ich sie gelesen haben muss. Dann lasse ich sie mir vorlesen, auf dem Weg zu einem Dreh bei Hugendubel zum Beispiel. Oder man greift zum gedruckten Buch, das macht haptisch wirklich sehr, sehr viel Spaß. Es sieht toll aus. Man kann seine ganzen Regale damit füllen und es macht einen Raum wärmer, egal ob es aufgeschlagen ist, gerade gelesen wird oder nur im Regal steht. Ich glaube, das ist tatsächlich ein gutes Dämmmaterial.

Wie viele Bücher stehen in deinem Regal?
Ich habe das heute noch mal nachgezählt. Grob aufgerundet 8.000 Bücher in meiner Wohnung, ich schlafe auch auf Büchern und habe mein Bett verkauft. Tatsächlich dürften es vielleicht so 80-90 sein, was schon nicht schlecht ist, und nur die Hälfte handelt von Michael Schumacher.

Wie viele davon sind tatsächlich gelesen?
Ich bin mittlerweile in der Situation, in der mir KollegInnen Ihre Bücher schicken, dann stelle ich sie mir ins Regal. Wenn sie mich fragen, sage ich, das war ein tolles Buch. Die habe ich natürlich auch alle ausnahmslos gelesen und die Plastikfolie wieder darauf geschweißt, weil ich das Buch so toll finde und cool und einfach beschützen möchte. Ich würde sagen, ich habe 90 % gelesen. Die Bücher, die ich nicht gelesen habe, lese ich bestimmt demnächst.

Wird es eine Verfilmung deines Buches geben?
Für die Verfilmung warte ich tatsächlich, bis Matthias Schweighöfer gestorben ist, weil er dann nicht mehr mitspielen muss. Ansonsten wird diese Buchverfilmung tatsächlich die erste sein, die exklusiv auf TikTok erscheint. Es wird in 3.000 TikToks wiedergegeben. Mick Schumacher möchte ich als Gastrolle einbringen. Es läuft ja nicht mehr so beim Formel-Eins-Fahren.

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