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WAS WOHL KRONPRINZESSIN Mette-Marit als Botschafterin der norwegischen Literatur auf der Frankfurter Buchmesse empfiehlt? Zu unseren absoluten Favoriten gehört jedenfalls Erik Fosnes Hansen. Als Ausnahmetalent gilt der Autor aus Oslo seit seinem mit gerade mal 20 veröffentlichten Debüt „Falkenturm“. Mit „Choral am Ende der Reise“ brachte er es zu sagenhaftem internationalen Erfolg und zum Aufstieg in die „Weltklasse“ (Jostein Gaarder). Dieses Prädikat gebührt erst recht seinem druckfrischen Roman: „Ein Hummerleben“ ist die wechselvolle Geschichte eines einstmals mondänen Berghotels und eine Hommage an die liebenswert-verschrobenen Menschen, die sich gegen den Niedergang stemmen!
Wie bevorzugen Sie Hummer, Herr Fosnes Hansen?
Norwegische Hummer gehören – kulinarisch gesehen – zu den besten der Welt. Bei einer solchen Qualität braucht der Koch nicht viel zu tun, außer sie zu kochen. Einen solchen Hummer habe ich am liebsten au naturel, d.h. mit Zitrone, Butter und Dill. Aber leider ist der norwegische Hummer inzwischen wegen Überfischung ziemlich selten geworden … Am allerbesten lässt man ihn die nächsten 30 Jahre in Ruhe, damit sich der Bestand erholen kann. Insofern ziehe ich den Hummer lebendig vor, in der Tiefe des Meeres.
Träumen Sie nachts manchmal vom Schaben der Hummerscheren?
Nein, das tue ich Gott sei Dank nicht, und dass sie nicht stumm sind, steht auch nicht im Biologiebuch. Der Protagonist meines Romans, der 15-jährige Sedd, meint sie aber zu hören …
Schon bei den ersten Romaneinblicken ins Hummerbecken ahnt man, dass Sie beim Schreiben unglaubliches Vergnügen hatten. Woran besonders?
Naja, vor allem hat es Spaß gemacht, die Stimme dieses 15-jährigen Erzählers zu finden. Er ist unglaublich unreif und altklug zugleich. Er zitiert zum Beispiel gerne Gedichte, Bonmots, Ibsen-Repliken. Nur zitiert er sie fast immer verkehrt. Wie er überhaupt die Welt und die Wirklichkeit, in der er lebt, noch nicht so ganz richtig verstanden hat. Ihn zu gestalten, hat Spaß gemacht. Hoffentlich macht das auch beim Lesen Spaß!
„Tragödie und Komödie sind nahe Verwandte.“
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Sie Tragisches gern mal ein bisschen auf die Schippe nehmen. Falscher Verdacht?
Keineswegs. Tragödie und Komödie sind nahe Verwandte. Oft ist der Übergang zwischen komisch und tragisch sehr kurz und passiert blitzschnell. Das Buch ist also beides – komplementär – wie die Wirklichkeit selbst auch meistens dazu neigt, komplementär zu sein.
Gleich am Anfang Ihres Romans müssen einige ihr Leben lassen, beispielsweise der Bankdirektor Bjørn Berge und ein Hummer. Eine Art Ouvertüre, die darauf einstimmt, dass hier einiges dem Untergang geweiht ist?
Es ist ja die Geschichte eines Bankrotts, das Drama einer Pleite. Die Familie im Buch, die ein Skihotel im Hochgebirge Südnorwegens betreibt, lebt seit Generationen auf dieselbe Art und Weise – und tut alles so, wie es schon früher immer getan wurde. Wie es bislang richtig war. Aber 1982, als das Buch anfängt, haben sich Norwegen und die Welt verändert. Es kommen nicht mehr so viele Gäste wie zuvor. Sie fahren lieber in den Süden. Es reicht nicht mehr. Im Lauf der Handlung wird sich sehr viel verändern – oft ganz anders, als es sich die Protagonisten vorstellen.
Ihrem „Hummerleben“-Roman haben Sie ein Zitat aus einer ebenso berühmten wie berührenden Geschichte vorangestellt: aus „Little Lord Fauntleroy“, also „Der kleine Lord“. Diesen kleinen Lord und ihren Helden verbindet mehr als ähnlich klingende Namen, nämlich Cedric und Sedgewick, wie Sedd eigentlich heißt, oder?
„Ced“ oder eigentlich Cedric, Lord Fauntleroy, ist ja im klassischen Kinderbuch von Frances Hodgson Burnett ein wahrer Engel. Ehrlich, gutherzig, liebenswert, naiv, entwaffnend direkt. Dazu blond, blauäugig, süß, mit goldenen Locken. Durch seine Niedlichkeit verändert der Siebenjährige seinen bösen Großvater, den alten, grimmigen Herzog. Cedric ist kein wirkliches Kind. Wie Harry Potter oder Pippi Langstrumpf ist er eher ein Magiker, ein Wesen, das Wunder vollbringen kann, allein durch sein Kind-Sein.
Und die norwegische Version?
In der norwegischen Romanliteratur gibt es auch einen kleinen Lord, „Lillelord“ heißt der Roman, geschrieben von Johan Borgen, 1955 erschienen. In diesem Buch, dessen Titel sich an das klassische Kinderbuch anlehnt, begegnen wir dem Gegenstück, einem Oberklassejungen aus dem Westend Oslos, der wahrlich kein Engel ist, sondern ein richtiger Teufel. Mein Sedd, hingegen, mein Sedgewick, ist weder Engel noch Teufel, sondern ein ganz normaler Junge. Er ist weder gut noch böse, weder edel noch feige. Aber ein gutes Herz, das hat er.
„Nicht zuletzt eine schöne Liebesgeschichte …“
Sie erzählen aus der Perspektive von Sedd, der sich vorgenommen hat, seine Autobiografie zu schreiben – der große literarische Trend, vermerkt er. Was sagen Sie?
Sedd ist ja viel zu jung, um eine Autobiografie zu schreiben! Aber er nimmt sich selbst und die Welt sehr ernst, eben weil er sehr jung ist. So schreibt er seine Memoiren trotzdem, wie das manche Jugendliche tun. Durch Zufall hat er tatsächlich etwas ganz Dramatisches erlebt und somit auch eine spannende Geschichte zu erzählen. Nicht zuletzt eine schöne Liebesgeschichte – wobei er allerdings nicht weiß, dass es eine ist.
Sedd besinnt sich auf das, was er über guten norwegischen Stil in der Schule gelernt hat. Was ist davon zu halten?
Guten Stil lernt man leider nicht in der Schule. Den eignet man sich erst mit den Jahren mühsam an, wenn überhaupt. Sedd glaubt aber, dass sein Stil gut ist – und mir hat es viel Spaß gemacht, seinen etwas naiven und unfreiwillig lustigen Stil zu gestalten.
Sedd wächst bei seinen Großeltern auf – im Berghotel Fåvnesheim. Wie haben Sie die landschaftliche Kulisse ausgewählt?
Mein Vater war Chef eines Reisebüros. Er war sehr gewissenhaft und wollte alle Hotels, die er seinen Kunden empfahl, persönlich kennen. So bin ich als Kind manchmal in den Ferien von einem klassischen norwegischen Berghotel ins nächste mitgefahren. Das war in den 70-ern, somit hatten sich die Bedingungen für diese Hotels bereits leicht geändert. Auf diese isolierte und schon ängstlich gewordene Atmosphäre habe ich zurückgreifen wollen, als ich meine Geschichte über eine Finanzkrise schreiben wollte. Diese Stimmung war sonderbar – wie die Besitzerfamilien auch – und ist mir in Erinnerung geblieben.
„Ein Hotel ist eigentlich ein Theater.“
Und worauf kam es Ihnen bei dem Berghotel an?
Das Hotel spiegelt ja eine alte Welt, eine ältere Welt, mit alten Tugenden und Idealen wider. Eine alte Lebensform, könnte man sagen. Außerdem ist ein Hotel eigentlich Theater, etwas ganz Oberflächliches. Alles ist Fassade, alles ist Illusion. Da nun „Ein Hummerleben“ auch ein Roman über Selbstbetrug und Lüge ist, schien mir ein Hotel auch in dieser Hinsicht als angemessener Ort.
Der Maßstab von Sedds aus Wien stammender Großmutter ist die glorreiche Vergangenheit, ihr Ideal die Kaiser-Franz-Josef-und-Sisi-Zeit. Wie würden Sie das großmütterliche Credo auf den Punkt bringen?
Die Großmutter Sisi – wie könnte sie als Österreicherin ihrer Generation auch anders heißen – sehnt sich zurück nach Österreich. Sisi ist aber für immer in den norwegischen Bergen gelandet. Aber das ist nicht das Interessante. Wichtig ist nicht, wonach sie sich sehnt. Ihr Mann, der Hoteldirektor, wäre auch gerne weit weg vom konkursgefährdetem Hotel, genau wie der Koch Jim und manchmal auch der Erzähler selbst. Also: Warum bleiben sie dennoch? Warum geht nicht die Großmutter nach Wien zurück, womit sie so oft droht? Sie hasst Norwegen, ein Land, das ihres Erachtens ausschließlich von Skilangläufern und „Hydroelektrizitätsingeniören“ bevölkert ist, wie sie es verächtlich ausdrückt. Warum meldet der Großvater nicht Konkurs an und setzt dem Elend ein Ende? Warum verlässt der Koch Jim nicht das Hotel, obwohl er offenbar seit Monaten kein Lohn mehr bekommen hat? Ja, warum? Warum halten Menschen in einer solchen Krise zusammen? Warum verlassen die Menschen, die meine Frau und ich weinend vor ihren ehemaligen Häusern in Granada gesehen haben, als die Finanzkrise in Spanien am allertiefsten war – warum verlassen sie nicht die hoffnungslose Situation? Nun, im Roman ist es Sedd, das Kind …
„Das gibt er so leicht nicht auf.“
Als Enkel von Hotelbetreibern der alten Schule ist Sedd im Einsatz als „Piccolo“. Was hat es mit diesem schönen altmodischen Begriff auf sich? Eine charmante Umschreibung von Hilfsdiensten? Oder eher ein Hineinwachsen in die Verantwortung?
Sedd ist ein richtiger Piccolo, mit Uniform, aber seine Dienstbeschreibung ist nicht mehr ganz eindeutig. Es gibt inzwischen nicht mehr so viele Angestellte in Fåvnesheim, so dass alle, die noch da sind – auch Sedd – mithelfen müssen, um das Ganze weiterzuführen. Sie versuchen es jedenfalls. Das Ideal des Großvaters, des Hoteliers, ist es zu dienen. Die Kunst des Dienens möchte er Sedd beibringen, wie er auch das Hotel eines Tages an ihn weitergeben möchte. Nachdem Sedds Mutter verschwunden ist, ist das sein Lebenszweck. Das gibt er nicht so leicht auf!
Richtig heimisch fühlt sich Sedd in der Küche – im Reich von Jim. Wie würden Sie diesen vielschichtigen Charakter beschreiben? Und wie würden Sie seine multifunktionale Rolle im Leben von Sedd deuten?
Jim hat eine bunte Vergangenheit – nicht immer war alles salonfähig. Aber trotzdem ist er der einzige normale Mensch in diesem Hotel. Weil er eben anderes erlebt hat als der alternde Hoteldirektor in vierter Generation. Für Sedd wird Jim zum wichtigsten Erwachsenen – vielleicht zur einzigen wirklichen Vaterfigur.
„Kochen ist für mich ein liebes Hobby.“
Vom Schnippeln der Gemüsewürfel bis zur Inszenierung eines Meeresfrüchte-Büfetts: Bei Ihren Beschreibungen könnte man meinen, Sie hätten ein Praktikum in der gehobenen Gastronomie absolviert. Wo haben Sie wem über die Schulter geschaut?
Ich schreibe Restaurantkritiken für „Verdens Gang“, die größte Tageszeitung Norwegens, aber nur alle zwei Wochen. Ein Kritiker kocht ja nicht, wobei er natürlich sehr viel übers Kochen wissen muss. Das Kochen an sich ist für mich aber nur ein liebes Hobby. Allerdings lege ich in meinen Romanen viel Wert darauf, dass alles richtig und glaubwürdig ist. Es ist wichtig, dass der Leser merkt, dass der Autor weiß, wovon er spricht. Was Sie da sagen, ist also für mich ein Riesenkompliment. Danke schön!
Bei einem kochbegeisterten Autor wie Ihnen möchten wir natürlich gern wissen, welche Spezialitäten Ihnen aus Ihrer Stuttgarter Studentenzeit besonders in Erinnerung geblieben sind … und welche Sie vielleicht sogar heute noch zubereiten?
Alles schmeckt besser mit Spätzle.
Sedds Großmutter hat ein Faible für europäische Königshäuser, vor allem für das einheimische, also norwegische. Da wären wir auch schon bei Ihrer Königlichen Hoheit Mette-Marit, die in diesem Herbst als Botschafterin der norwegischen Literatur auf der Frankfurter Buchmesse sein wird …
Ich finde es gut, dass die Kronprinzessin ihren Einfluss dazu benutzt, um für die norwegische Literatur im Ausland zu werben. Das ist eine sinnvolle und wichtige Aufgabe. Und sie hat großes Interesse an Literatur und engagiert sich gerne.
„Asbjørnsen und Moe, unsere Gebrüder Grimm.“
Wenn es um Norwegens Literaturtradition geht, fallen einem wohl als Erstes Größen wie Ibsen und Hamsun ein. Welche Klassiker würden Sie am meisten empfehlen?
Ibsen und Hamsun sind immer die Wichtigsten. Dazu möchte ich Alexander Kielland nennen, der Thomas Mann beeinflusst hat – sowie die norwegischen Volksmärchen, gesammelt von Asbjørnsen und Moe, unsere Gebrüder Grimm. Ihre Märchensammlung ist die größte der Welt, nach den grimmschen Märchen. Und dann der große visionäre Dichter Henrik Wergeland. Von Wergelands genialen Gedichten erscheint in diesem Jahr eine Auswahl auf Deutsch, kongenial übersetzt und kommentiert von Heinrich Detering – eine fantastische Leistung.
Bei Literatur aus Skandinavien denken viele Leser zuallererst an Krimis. Wer oder was gehört darüber hinaus zu den lohnenden Entdeckungen der norwegischen Literatur-Landschaft?
Da bin ich eigentlich überfragt. 2018/19 erscheinen 259 norwegische Bücher auf Deutsch. Da gibt es also jede Menge guter Bücher. Ida Hegazi Høyers Roman „Das schwarze Paradies“, das in Deutschland keine große Beachtung gefunden hat, ist ein Leseerlebnis, das ich den deutschen Lesern wünsche. Auch im Bereich des norwegischen Sachbuchs passiert viel Interessantes. Zum Beispiel „Die Grenze“, von Erika Fatland. Sie ist zwar meine Frau, aber das Buch würde ich auch sonst sehr empfehlen, denn es ist einfach sehr gut.
Sie selbst haben Ihr literarisches Debüt 1985 als 20-Jähriger gegeben: mit dem Roman „Falkenturm“, der als literarisches Ereignis gefeiert wurde. Wie und wann haben Sie das Schreiben für sich entdeckt?
Übers Lesen.
Ihre Bücher sind sehr unterschiedlich von den Orten und Handlungen her: von der Rittergeschichte „Falkenturm“ bis zum „Titanic“-Drama „Choral am Ende der Reise“. Gibt es für Sie selbst dennoch eine innere Verbindung?
Diese Frage kann sehr weit führen, wenn sie überhaupt vom Autor beantwortet werden kann. Aber Einsamkeit und Anderssein scheinen mir gemeinsame Stichwörter für meine Bücher zu sein.
Sie haben in Stuttgart studiert. Was war für Sie das Bemerkenswerteste an dieser Zeit in Deutschland?
Am Wichtigsten war wohl die Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache, mit der Kultur und Kunst, mit der Literatur und Geschichte. Das war alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte, und wurde mir alles sehr wichtig. Es prägt mich bis heute.
Sie sprechen fließend Deutsch. Kommen Sie regelmäßig nach Deutschland?
Ich bin relativ oft in Deutschland, komme zu Lesungen oder um Freunde zu besuchen oder um Kunst und Kultur mitzubekommen. Meine Frau und ich versuchen, mindestens 14 Tage im Jahr in Deutschland zu verbringen, manchmal länger. Dann sind wir vorzugsweise in Berlin.