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Glück auf für Eva Völler und ihr vielversprechendes neues Projekt. Die Juristin und Bestellerautorin hat nach dem sagenhaften Erfolg ihrer Ruhrpott-Saga ihr altes Heimatrevier nun auch als Kulisse für Spannungsliteratur entdeckt. Der fulminante Auftakt ihrer Reihe bietet alles, was einen wirklich guten Krimi ausmacht: „Helle Tage, dunkle Schuld“ ist Spannung pur, Spiegel der Gesellschaft und der Zeitumstände, Psychogramm der ProtagonistInnen und noch viel mehr. Ein wendungsreicher Fall, der auf historischen Tatsachen beruht!
Die Justiz ist nicht nur in Ihrem neuen Roman ein wichtiger Hintergrund, sondern auch in Ihrer Laufbahn. Erst waren Sie Richterin, dann Rechtsanwältin. Mit welcher Idealvorstellung waren Sie im Einsatz?
Mein Fachgebiet war vor allem das Zivilrecht. Angetreten bin ich mit der Idealvorstellung, rechtliche Konflikte beizulegen und dabei die Gesetze so anzuwenden, dass die betroffenen Menschen alles nachvollziehen können. Vor Gericht geht es keineswegs immer darum, auf Biegen und Brechen Recht zu bekommen, sondern den streitenden Parteien schon im Vorfeld nahezubringen, wie ihre Chancen stehen und sich dann möglichst auf die eine oder andere Weise gütlich zu einigen.
Ihr neues Buch „Helle Tage, dunkle Schuld“ ist der Auftakt einer Krimi-Reihe. Was reizt Sie an dem Genre?
Das Genre des Kriminalromans bietet wie kaum ein anderes die Möglichkeit, eine spannende Handlung, ungelöste Rätsel und gesellschaftliche Themen auf unterhaltsame Weise miteinander zu verbinden. Der Leser wird dabei gewissermaßen auf eine Reise eingeladen, bei der es darum geht, sich gedanklich an der Aufklärung eines Verbrechens zu beteiligen. Aber auch darum, in die Gefühlswelt der Beteiligten einzutauchen, von Ermittlern, Opfern und Tätern – eine Achterbahnfahrt voller Höhen und Tiefen und unerwarteter Richtungswechsel. Ebenso spielt Zeitgeschichtliches eine Rolle, außerdem das Milieu als Hintergrund des Geschehens, denn beides ermöglicht tiefere Einblicke in das Verhalten und in die Emotionen der Charaktere.
Nach Ihrer Ruhrpott-Saga sind Sie dem Revier treu geblieben. Was verbindet Sie persönlich mit dieser Region?
Kurz gesagt: meine Kindheit. Ich bin in der Nähe von Essen geboren und aufgewachsen. An schönen Sonntagen ging es zum Bötchenfahren an die Ruhr, zum Schwimmen an den Baldeneysee oder zum Spazierengehen in den Grugapark. Als junges Mädchen sparte ich mein Taschengeld für einen Kinobesuch in der „Lichtburg“. Auch familiär und sprachlich bin ich in der Gegend verwurzelt: Mein Opa war Bergmann, und meine Oma hat sich um den großen Gemüsegarten und den Hühnerstall gekümmert. Wir wohnten alle im selben kleinen Siedlungshaus, meine Eltern, meine Großeltern, mein Urgroßvater, meine Geschwister und ich. Man redete miteinander, wie einem „der Schnabel gewachsen war“. Bevor ich richtig Hochdeutsch sprechen konnte, lernte ich Ruhrpottplatt.
„Zwischen Zerstörung und Hoffnung: eine Atmosphäre voller Widersprüche und Umbrüche.“
Was prägt den Alltag in Essen 1948, also drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs? Was macht die Stadt zum idealen Krimirevier?
Unter den älteren Lesern werden sich bestimmt viele aus der Gegend noch an das frühere Stadtbild erinnern. An die qualmenden Schlote und die vom Kohlenstaub verdreckten Fassaden, vielleicht auch an die Zeit, in der die Trümmer nach dem Krieg zwar schon weggeräumt, aber viele ehemalige Ruinengrundstücke noch nicht wieder neu bebaut worden waren und in ihrer nackten Trostlosigkeit von der flächendeckenden Vernichtung zeugten: Fast die komplette Essener Innenstadt war durch die Bombardierungen zerstört worden, entsprechend mühselig und zeitraubend vollzog sich der Wiederaufbau. Allein den ganzen Schutt wegzuschaffen, nahm Jahre in Anspruch. Die meisten Menschen waren trotz Währungsreform und Wirtschaftswachstum bitterarm, es mangelte vor allem an Wohnraum. Gleichwohl entstand eine allgemeine Aufbruchstimmung, man glaubte an eine bessere Zukunft für sich und seine Kinder. Auf diesem Weg zwischen Zerstörung und Hoffnung herrschte eine Atmosphäre voller Widersprüche und Umbrüche, sowohl im Privaten als auch innerhalb der Gesellschaft. Geschichtlich gesehen lagen die Gräuel und Repressalien der Nazizeit nur einen Lidschlag weit zurück, und doch wurde auf allen Ebenen nach Kräften ausgeblendet, dass so viele dazu beigetragen hatten, zustimmend, billigend oder im besten Fall gleichmütig. Dem Schrecken wurde kein Raum gegeben, das Unrecht beschwiegen, geleugnet, entschuldigt und mitunter vertuscht. Aber in Wahrheit war es natürlich noch da und gärte im Verborgenen – ein Nährboden für mögliche Verbrechen mit dem Ziel, die Schuld nicht ans Tageslicht kommen zu lassen.
Gute Krimis spiegeln immer auch die Gesellschaft. Wen oder was haben Sie dabei besonders im Blick?
Bei den Geschichten, die ich erzähle, geht es mir um die kleinen Leute, um ihre Sorgen, Ängste und Nöte und ihren Blick auf das Zeitgeschehen. Spannend finde ich aber auch, wie sehr sich die Anschauungen und Wahrnehmungen im Laufe der Jahrzehnte verändert haben. Vorgaben, die wir in unserer heutigen Gesellschaft als sittenstrenge Frömmelei empfinden, waren Mitte des letzten Jahrhunderts noch Konsens, etwa, dass Paare nur mit Trauschein zusammenleben durften. „Verhältnisse“ ohne Ehering waren geächtet, ebenso wie Homosexualität oder das Fernbleiben vom Gottesdienst. In einem nachgerade erschreckenden Gegensatz dazu steht die damals verbreitete Unfähigkeit, sich offen mit den Nazi-Gräueln auseinanderzusetzen. Da herrschte eine Art kollektive Verdrängung vor, die ich in den Blick nehmen wollte.
Seinen Einstand als Protagonist gibt Carl Bruns. Wer ist er und was sind die prägenden Höhen und Tiefen seiner Lebensgeschichte und Laufbahn?
Carl Bruns ist Ermittler am Essener Polizeipräsidium, er arbeitet für die Abteilung Kapitalverbrechen. Sein Großvater war Jude, weshalb Carl nach der Machtergreifung der Nazis seinen Posten bei der Polizei räumen musste und bis zum Ende des Krieges als Bergmann unter Tage seine Brötchen verdient hat. In dieser Zeit ging auch seine Ehe in die Brüche. Mittlerweile hat er wieder bei der Polizei Fuß gefasst und wurde sogar befördert.
„Verstrickungen, die zu weiteren Bluttaten führen.“
Ein Fenstersturz unter rätselhaften Umständen ist erst der Anfang: Was ist das für ein Fall, mit dem es Carl zu tun bekommt?
Bei besagtem Fenstersturz ist eine Frau ums Leben gekommen, deren Sohn bei der SS war. Er befindet sich seit Kriegsende auf der Flucht und wird wegen Massenmords gesucht. Im Zuge seiner Ermittlungen deckt Carl Verstrickungen auf, die zu weiteren Bluttaten führen und letztlich auch ihn selbst und seine Jugendliebe Anne in Gefahr bringen.
Ein Kriminalfall 1948 bedeutet nicht zuletzt: Ermitteln unter völlig anderen Voraussetzungen als heute – ohne Computer, Internet und Smartphone, ohne DNA-Analyse. Was ist für Sie als Autorin das Spannende an der Herausforderung, ohne moderne Technik auszukommen? Was geben Sie Carl stattdessen mit?
Hier ging es mir vor allem um eine stimmige Kombination, also die damals im Einsatz befindlichen Techniken im Rahmen des Möglichen erzählerisch zu nutzen – so gab es durchaus schon recht ausgefeilte Methoden der Spurensicherung – und zugleich zu umreißen, was auch heute noch den Löwenanteil bei der kriminalistischen Fallaufklärung ausmacht: zähen Fleiß, Durchhaltewillen trotz diverser Sackgassen und vor allem eine gute Spürnase.
Kaum hat sich Carl am Tatort einen ersten Eindruck verschafft, taucht sein früherer Chef Schneider auf. Was macht die Konfrontation so problematisch?
Schneider war nicht nur Carls Ausbilder, sondern auch ein eingefleischter Nazi. Es hat ihn nicht im Mindesten gestört, dass Carl wegen seines jüdischen Großvaters den Polizeidienst verlassen musste, im Gegenteil: Schneider war dem Führer bedingungslos ergeben und wurde deswegen auch von der britischen Militärbesatzung aus dem Dienst entfernt. Jetzt, drei Jahre später, will er unbedingt zur Polizei zurück. Und die Aussichten, dass er es schafft, stehen zu Carls Entsetzen gar nicht schlecht.
„Auf ungesühnte Verbrechen aufmerksam machen.“
Mit Geschichte haben Sie sich intensiv auseinandergesetzt – einschließlich deren Abgründe. Welche wahren Begebenheiten sind in Ihren Kriminalroman eingeflossen und was hat Sie bewogen, speziell diesen Vorfall literarisch aufzuarbeiten?
Kurz vor Kriegsende kam es in Essen zu einem Massaker, bei dem mindestens fünfunddreißig Zwangsarbeiter erschossen wurden; die Identität der Ermordeten ließ sich nicht mehr ermitteln. Das war jedoch beileibe kein Einzelfall, es gab in Deutschland in den letzten Kriegswochen zahlreiche solcher Bluttaten. Besagter Massenmord in Essen wurde ziemlich minutiös aufgeklärt, die unmittelbar ausführenden Täter waren bekannt. Trotzdem dauerte es noch lange Jahre, bis die Staatsanwaltschaft sich bequemte, Ermittlungen gegen sie einzuleiten. Mit dem aus heutiger Sicht unsäglichen Ergebnis, dass das Verfahren eingestellt wurde – zwischenzeitlich hatte nämlich die neu gegründete Bundesrepublik diverse Amnestiegesetze erlassen, mithilfe derer sogenannte Endphaseverbrechen straffrei bleiben konnten. Diesen – realen – Massenmord in eine fiktive Geschichte einzuweben, habe ich als Herausforderung empfunden, aber auch als Möglichkeit, auf solche ungesühnten Verbrechen aufmerksam zu machen.
Die Spurensuche führt Carl unter anderem zu drei ungleichen Schwestern. Was macht diese Begegnung so schicksalhaft?
Anne, die älteste dieser drei Schwestern, war Carls Jugendliebe. Sie ist auf zunächst ungeklärte Weise in den von Carl untersuchten Mordfall verwickelt, ebenso wie ihre beiden jüngeren Schwestern Frieda und Lotti. In der Folge wird es für Carl immer schwieriger, private und berufliche Belange zu trennen. Er gerät auf einen gefährlichen Schlingerkurs, bei dem es zuletzt nicht nur um seine Liebe zu Anne geht, sondern auch um ihr Überleben.
„Und doch hütet Anne ein dunkles Geheimnis.“
Anne ist die weibliche Hauptfigur. Wie deuten Sie ihre Rolle und was macht sie Ihnen bedeutsam?
Anne ist ein aufrechter, integrer Charakter, sie ist hilfsbereit und verantwortungsvoll. Und doch hütet sie ein dunkles Geheimnis, das Schatten auf ihr Leben und das ihrer Schwestern wirft. Ihre Haltung ist von einer gewissen Kompromisslosigkeit gekennzeichnet, denn um die ihr anvertrauten Menschen zu beschützen, würde sie alles tun.
Was sind die größten Herausforderungen, vor denen Anne steht, als Krankenschwester im Beruf und persönlich?
Als Krankenschwester muss sie die harten Bedingungen wechselnder Schichtdienste meistern und sich zudem gegen einen allzu aufdringlichen Arzt auf ihrer Station zur Wehr setzen. Ihre größte persönliche Herausforderung besteht darin, sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen, ohne daran zu zerbrechen.
Was verkörpern die Schwestern Anne, Frieda und Lotti für Sie? Wie exemplarisch sind die drei für das Frau-Sein in der Nachkriegszeit?
Jede der drei Schwestern spielt auf ihre Weise eine wichtige Rolle, wobei der Altersabstand – sie sind jeweils zehn Jahre auseinander – ebenfalls bedeutsam ist: Anne als Älteste ist mütterlich und fürsorglich, sie hat auf alles in der Familie ein wachsames Auge. Frieda ist die Furchtlose, Draufgängerische, die unerschrocken auf Hamsterfahrt geht und sich auch auf dem Schwarzmarkt kein X für ein U vormachen lässt. Das Nesthäkchen Lotti wiederum verkörpert mit ihren 15 Jahren den Part der traumatisierten Jugend, mit dem schweren Gepäck einer verlorenen Kindheit auf den Schultern.
„Hamsterfahrten und Schwarzmarkt-Besuche waren damals ein Teil des Lebens meiner Großeltern.“
Ihre Schilderungen von Alltagssituationen wie Friedas „Hamsterfahrten“ sind sehr lebendig. Konnten Sie Erinnerungen von Zeitzeugen nutzen?
Meine Großeltern wussten vieles zu berichten, Hamsterfahrten und Schwarzmarktbesuche waren damals Teil ihres Lebens.
Das Gasthaus „Zur grünen Linde“ wird unter neuem Namen „Hinterm krausen Bäumchen“ wiedereröffnet. Auch unter den Bewohnern des Hauses tut sich einiges. Welche Potenziale sehen Sie in diesem Mikrokosmos?
Für mich spiegelt sich in diesem Neubeginn ein Ausdruck von Hoffnung wider. Den Wunsch, die Vergangenheit endgültig zu überwinden und nach vorn zu blicken. Es ist ein Bild voller Zuversicht.
In Ihrem Krimi kommen die unterschiedlichsten Strategien ans Licht, die Nazi-Diktatur, den Krieg und die schwere Zeit danach zu überstehen. Was wollten Sie ergründen und welche Schicksale haben Sie am meisten bewegt und berührt?
Beschäftigt hat mich vor allem die Frage, die auch der Titelgebung des Romans zugrunde liegt: Wie sind die Menschen damals mit der Schuld umgegangen? Mit der eigenen, der von anderen und ganz allgemein? Welche Auswirkung hatten dabei Hunger und Elend? Welche Folgen der wachsende Wohlstand nach der Währungsreform? Exemplarisch hatte ich dabei die Schicksale der Zwangsarbeiter vor Augen, zumeist ganz junge Menschen, Kriegsgefangene sowie aus ihrer Heimat verschleppte Männer und Frauen, denen unter den Augen der deutschen Bevölkerung unfassbares Leid widerfuhr.
Carl zermartert sich den Kopf über Schuld und Verantwortung. Was ist Ihnen an seinen Überlegungen am wichtigsten? Wie ist Ihre Sicht?
Besonders deutlich wird Carls Haltung im letzten Satz, der zugleich einen Kreis zu dem Zitat am Anfang schließt: Wer es nicht schafft, aus der Vergangenheit zu lernen, wird dieselben Fehler immer wieder machen.
Inwiefern spricht Ihnen Carl mit diesem letzten Satz im Roman aus dem Herzen? Inwiefern teilen Sie seine Hoffnung und was stimmt Sie skeptisch?
Die Welt wäre sicher ein besserer Ort, wenn sich jeder an das Motto halten würde, die gleichen Fehler nicht immer wieder zu machen. Das Problem daran ist nur leider, dass das Gedächtnis der Menschen in mancherlei Hinsicht viel zu kurz ist.