Auch als eBook | Hörbuch auf Hugendubel.de
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Felix: Das ist tatsächlich mein Lieblingsbuch: Gabriel García Márquez. „Hundert Jahre Einsamkeit“. Einer der großen Romane des magischen Realismus. Ich habe in meiner Jugend tatsächlich relativ viel gelesen, u.a. Jugendbücher von Isabel Allende und bin darüber irgendwann auch auf Márquez gestoßen. Man muss dazu sagen, unser Vater ist Lehrer für Deutsch und Englisch. Er hat uns natürlich schon früh angehalten, möglichst viele Bücher zu lesen.
Lucas: Wenn wir irgendetwas verkackt hatten, war die Strafe immer: Lesen! „Süddeutsche Zeitung, dritte Seite.“
Felix: Zurück zu Márquez. Dieser Roman ist aus den späten 60er Jahren. Die Handlung spielt in einem magischen Ort, Macondo, den es nicht gibt. Márquez verarbeitet darin auch ein bisschen die kolumbianische Historie. Es geht um die Familie Buendía, die über 100 Jahre verfolgt wurde. Es ist ein wahnsinnig schönes, aber auch wahnsinnig trauriges Buch. Ich habe mich in diesem Roman immer wiedergefunden und „100 Jahre Einsamkeit“ gingen mir nah.
Lucas: Ja, aber ich bin ja immer da!
Felix: Ja, Du bist immer für mich da! Es liegt so viel Schönheit in diesem Buch, und gerade die Umbrüche in den lateinamerikanischen Ländern, die Militärregime, der Katholizismus etc. werden alle in diesem Roman verarbeitet. Für mich ein magisches Buch! Als ich das Buch zugeklappt hatte, war ich sehr berührt. Zum ersten Mal habe ich es mit 14 oder 15 gelesen und dann während des Studiums und später noch einmal.
Woher bekommt Ihr so euere Buchtipps?
Lucas: Eigentlich von der Hugendubel Bucket List. Da weiß man, was man hat. Wie gesagt, hatte auch unser Vater Einfluss. Und heute ist es so, dass Bücher, zu denen ich einen Bezug herstellen kann, mich interessieren. Ich glaube aber, Inspiration findet man überall.
Felix: Wir sind ja neben dem Performen auf der Bühne auch Songwriter. Und somit auch irgendwie Autoren. Man sagt ja, wir haben einen Autoren-Exklusivvertrag … Wir schreiben Texte, schreiben Musik.
Und was ist euer nächster Favorit?
Lucas: Das zweite Buch heißt „The Creative Act – A Way of Being“ von Rick Rubin. Das habe ich gerade im Januar erst gelesen. Es ist zu verstehen als ein Ratgeber, ein Wegweiser in einem kreativen Schaffensprozess – eigentlich jeglicher Art. Es geht nicht speziell um Songwriting. Rick Rubin ist einer der bekanntesten Musikproduzenten, Erfinder des legendären Labels Def Jam Recordings, hat mit Adele gearbeitet aber auch mit Jonny Cash. Also wirklich eine krasse Bandbreite. In diesem Buch geht er gewisse Schaffensphasen durch, die allgemeingültig sind und sich nicht lediglich auf den Prozess der Musik beziehen, sondern eigentlich für jeden Menschen zutreffen, der in die Welt der Wunder eintauchen will und einen Bezug finden will zu einem Prozess des kreativen Schaffens. Diesen Prozess beschreibt er in kleinen Aspekten. Ein Begriff, der sich durchzieht, ist beispielsweise Awareness. Sein Ansatz ist, dass die Sachen im Universum sind und zu einem kommen.
Felix: Du musst dazu bereit sein?
Lucas: Ja, es geht darum, welche Maßnahmen man treffen muss, damit man wirklich zuhören kann und diese Ideen stattfinden lassen kann und diesen Raum findet. Für uns als Songwriter ist das natürlich das Wichtigste. Weil man sich immer wieder dabei ertappt, dass man, wenn man einen Song geschrieben hat, sich nachher fragt, wie bin ich zu diesem Song gekommen, was ist an dem Tag passiert, welche Faktoren haben da Einfluss genommen. Man versucht immer wieder, das Bestmögliche aus seinem Kopf herauszuholen. Rick Rubin schafft es, einem ganz gute Hilfsmittel an die Hand zu geben: sich selbst zu vertrauen, gut zuzuhören. Und das Ganze, ohne dass es zu Live-Coach-mäßig klingt. Es hat zwar Tendenzen in die Richtung, aber es hilft tatsächlich, wenn man wieder eintaucht ins Selberschaffen.
Habt Ihr bei Eurem eigenen Songwriting einen Prozess, um zuhören zu können? Andere Leute gehen in den Park und beobachten Menschen, um Inspiration zu sammeln. Wie geht Ihr da vor?
Lucas: Wo holt man sich Inspiration? Zuhören ist wichtig, wenn man sich unterhält und jemand irgendetwas sagt, was vielleicht nach einem Songtitel klingt.
Felix: Ja, die Unterhaltungsfetzen, die man auf einer Party vielleicht aufschnappt, oder der T-Shirt-Aufdruck, den jemand trägt, weil dort knapp und in einem Wort ganz viel zusammengefasst ist. Augen und Ohren offenhalten ist der Klassiker im alltäglichen Leben. Aber das Zuhören hat auch noch eine andere Ebene. Wir schreiben ja zu zweit oder sogar mit anderen Leuten. Und da ist es wichtig, zuzuhören, dem anderen die Chance und den Raum zu geben, sich entfalten zu können. Also nicht zu schnell zu verwerfen. Denn die erste Idee ist manchmal so ein Brocken, ein Stein, und der muss erst einmal seinen Lauf innerhalb so einer Session nehmen. Und am Ende kommt was dabei raus!
Lucas: Wenn man eine erste Idee hat und an der länger arbeitet ohne, dass es besser wird, dann war eben die erste Idee schon das Beste.
„Augen und Ohren offenhalten ist der Klassiker im alltäglichen Leben!“
Lucas: Ein Song kann überall und zu jeder Zeit entstehen. Wir haben schon Sachen in einem lauten Zugabteil auf dem Weg nach London verarbeitet, Texte aus irgendwelchen Anzeigen aufgenommen, Zeitungen gelesen …
Habt Ihr einen Lieblingsort, wo Ihr gut lesen könnt?
Felix: Wo ich vermutlich bisher die meisten Bücher gelesen habe, ist ein kleiner Ort auf Kreta. Dort sind wir schon früher mit unseren Eltern hingefahren und kommen auch jetzt immer wieder gerne zurück. Wenn wir es schaffen, gerne jedes Jahr. Das ist ein ganz kleiner Fischerort, nicht viel los, ganz ruhig. Und da kann man sich unter einen Olivenbaum setzen und gut abschalten und lesen.
Welchen Roman könnt ihr noch empfehlen?
Felix: Als nächstes: Joey Goebel „Vincent“. Ich habe ein Buch gewählt, dass ich vor sicher 12 Jahren gelesen habe. Vor dem heutigen Gespräch habe ich nicht mehr reingeschaut. Ich war noch in der Schule, als ich das 2005 gelesen habe. Damals wusste ich noch nicht, wohin meine Reise geht. Wir haben damals beide schon Klavier und Gitarre zuhause gespielt. Trotzdem hat mich dieses Buch fasziniert. Es geht um die Theorie, dass große Kunst und große Werke nur aus extremem Leiden entstehen. Der Name Vincent ist natürlich nicht ohne Bezug gewählt. Es ist eher eine Satire auf diese sehr amerikanische Medienbranche und Music-Factory. Und der Protagonist, ein Medienmogul und Plattenboss sagt, o.k., wenn große Kunst aus Leiden entsteht, dann lass uns einfach mal machen. Wir holen uns einen jungen Songwriter, das ist Vincent, und den quälen wir einfach so lang, dass daraus große Kunst entsteht. Es wird also sein Hund vergiftet, seine Freundin bezahlt, damit sie ihn verlässt – um von Vincent viel tolle Kunst zu bekommen. Liest sich wahnsinnig gut.
Lucas: Und wieviel wusste Vincent davon?
Felix: Gar nix. Es hat einfach eine große Karriere gemacht, war aber immer unglücklich. Und da steckt sicher viel Wahrheit drin, weil wie viele bekannte, große Künstler:innen gab es denn, die innen drinnen völlig leer und zerstört waren und trotzdem ganz große Werke geschaffen haben. Das Buch liest sich wahnsinnig flüssig, kann ich auch Kindern und Jugendlichen empfehlen.
Aber es stellt sich natürlich die Frage: Muss es wirklich so sein?
Lucas: Nicht für jemanden wie wir, wir machen ja „nur“ 2 oder 3 Sessions pro Woche. Täglich wäre dann doch zu viel des Guten. Nichtsdestotrotz, kann sicher aus Schmerz was entstehen. Es gibt einen Schalter, wenn man beim Singen die Augen schließt, dann kommt man in so eine Spirale, wo man auf Dinge zugreifen kann, die tiefer in einem sind und wo gerade mehr Schmerz passiert. Das kann sich dann in der Musik, in der Ausdrucksform, widerspiegeln. Aber um einen Pop-Hit zu schreiben muss ich mir nicht erst noch die Kniescheibe brechen oder so.
Seid ihr unglückliche, leicht geniale Künstler?
Lucas: Ich glaube, sich selbst die Genialität zuzuschreiben ist grundsätzlich eher fragwürdig.
Felix: Ich glaube, wir sind weder noch. Natürlich sind wir emotionale Menschen und gerade auch in dieser Welt, in der wir leben, nicht immer glücklich. Dem Erfolg hinterherrennen, die Highs and Lows, die, glaube ich, jeder im Leben hat, vor allem die auf der Bühne. Und dann gibt es wieder die ruhigeren Momente, in denen man mit sich allein ist. Das ist keine stetige Kurve, das ist immer ein Up and Down. Aber wenn man ein bisschen mit sich reflektiert, dann lernt man damit umzugehen. Also nein, wir sind keine unglücklichen Künstler …
Lucas: Aber Genies sind wir schon (lacht).
Sind Bücher ein Fenster zur Seele? Also philosophisch gefragt, was würde passieren, wenn mehr Menschen Bücher lesen würden?
Lucas: Eigentlich haben in dieser Welt ja schon mehr Menschen Bücher gelesen.
Felix: Wir verlieren ja alle unser Aufmerksamkeitsfenster. Die Konzentration, sich zumindest auf ein Buch einzulassen, ohne dabei reflexartig nach seinem Handy zu greifen – diese Ruhe, die würde sicher vielen, vielen Menschen helfen. Aber obwohl auch früher Menschen Bücher gelesen haben, gab es Kriege. So kann man das vielleicht nicht festmachen.
Lucas: Es ist halt auch eine mediale Form. Ich schau Fernsehen oder Netflix oder ich lese was. Aber für viele stellt das Lesen eine Überwindung dar. Aber es ist wie bei allem. Wenn man einmal angefangen hat und jeden Abend eine Seite liest oder so, dann geht das ganz schnell. Dann möchte man das Lesen gar nicht mehr missen. Aber nur um das klarzustellen, mir gelingt es auch nicht immer, jeden Abend eine Seite zu lesen.
Felix: Wenn ich an meine eigenen Kinder denke, die ich in Zukunft vielleicht kriege, hoffe ich, dass die auch lesen. Ich selbst kann mich noch gut daran erinnern, was für Welten an Kreativität Bücher mir eröffnet haben, als ich eine richtige Leseratte war. Als ich so 10, 11 war. Diese unfassbare Magie, Gesichter und Outfits, die nur in deinem Kopf entstehen! Wenn du Harry Potter gelesen hast, ohne schon einen Film zu kennen, hast Du alle Charaktere im eigenen Kopf ausgemalt.
Lukas: Ja, es wie mit allem, man muss sich erst mal selber die Mühe machen zu lesen. Komfortabler ist natürlich, den Film zu schauen. Da sucht sich der Mensch halt gerne den Weg des geringsten Widerstands.
Was empfehlt Ihr noch?
Lucas: Benjamin von Stuckrad-Barre: „Panikherz“. Wir haben ja eben schon das Thema Glücklichsein als Schaffender angerissen, kann man als Künstler überhaupt glücklich sein? Ich glaube, jemand, der sich mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt hat, ist Benjamin von Stuckrad-Barre. Für mich ist sein Genie in diesem Buch wahnsinnig klar zu sehen. Es gibt wenige, die so gut beobachten und so scharfsinnig formulieren wie er. Das Buch ist eigentlich biografisch, es beschreibt sein Leben. Es stammt aus einer mittelgroßen Stadt, aus einer Pastorenfamilie. Seine Wunschvorstellung ist es, in der glanzvollen Welt der Musik, der Partys und deren Helden, wie sein Vorbild Udo Lindenberg, einen Platz einzunehmen. Dabei begleitet ihn das Buch. Von seiner journalistischen Arbeit bis zu seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Es passiert eigentlich alles, was er immer wollte. Er wollte ein Rockstar-Leben, ist dann aber der Drogensucht verfallen. Diese krassen Abgründe beschreibt er in diesem Buch auch. Es ist herzzerreißend. Er arbeitet ein bisschen wie eine Indie-Band, das klingt ja irgendwie wie hingerotzt. Aber gleichzeitig sitzt Stuckrad-Barre und arbeitet und feilt an einem Satz stundenlang. Das Buch bringt einen selber zum Nachdenken. Irgendwie ist das Erfolgreich werden eine sehr schwierige Geschichte – nicht einfach.
Wenn ihr mal selbst eine Autobiografie schreiben müsstet, welchen Titel hätte sie?
Felix: „Two heads are better than one“ – ein Joni-Mitchell-Zitat.
Lucas: Nicht schlecht. „Two hearts are better than one“, was sagst du dazu?
Felix: Auch gut, aber ein bisschen cheesy.
Wie lest Ihr: in einem Rutsch oder eher Seitenweise?
Lucas: „Panikherz“ habe ich schon passagenweise gelesen. Obwohl es mich gefesselt hat, fand ich es schwierig, das Buch komplett in einem Zug zu lesen.
Felix: Also ich bin bei Literatur wie von Stuckrad-Barre oder Ferdinand von Schirach schon eher am Durchballern, das lese ich am Stück. Aber „Hundert Jahre Einsamkeit“ habe ich über mehrere Wochen gelesen.
Was ist Euer letzter Buchtipp?
Felix: Dieses Buch sind gesammelte Geschichten und Anekdoten. Es heißt „The Song Machine: Inside the Hit Factory“. Jetzt muss ich etwas ausholen: Oft werden wir gefragt, wie unsere Arbeit eigentlich funktioniert, wie kommt ein Song überhaupt zustande etc. Genau dann empfehlen wir gerne dieses Buch. Es erklärt auf sehr spannende Weise, was im Motown Brick Building und anderen Songwriter Hubs hinter den Kulissen abging, wie große Hits von Rihanna oder Katy Perry entstanden, es geht um die schwedische Songschule von Max Martin und Denniz PoP, also ums Songschreiben und die Song Factory. Hier steht alles drin. Wirklich spannend!
Und wie funktioniert euere Hit Factory?
Felix: Unsere Hit Factory funktioniert unterschiedlich. Bei „Bad Memories“ zum Beispiel, das haben wir in London geschrieben, hat erst mal nix geklappt. Unsere Session wurde gecancelt, dann das Studio neu gebucht. Die eine Songwriterin hatte den Magen-Darm-Virus … Ersatz kam mit Verspätung … und dann haben wir tatsächlich innerhalb von 20 Minuten den Refrain im Kasten gehabt. Vielleicht ist es ab dem Punkt auch ähnlich zu einem Buchprojekt, bevor es veröffentlicht wird, man schaut, welche Künstler:innen dazu passen würden. Man schickt Demos rum, bei Büchern spricht man vermutlich von Manuskripten. Und so haben wir Medusa als DJ-Trio gefunden und das dann zusammen herausgebracht.
Nutzt Ihr beim Songwriting noch Stift und Papier?
Lucas: Wir gar nicht. Wir nutzen einfach ein geteiltes Google Dokument, wo jeder fleißig reinschreibt. Und ich selbst nutze meist den Laptop.
Wie viele Bücher haben bei Euch im Regal Platz gefunden?
Felix: Ich bin sehr traurig. Ich habe beim letzten Umzug einen Karton mit bestimmt 40 Büchern auf der Straße stehen lassen. Vielleicht hat sich jemand über eine tolle Bücherkiste gefreut, die ich ja schon gelesen hatte. Nicht so schlimm.