Felix Lobrecht ist einer der bekanntesten deutschen Stand-Up-Comedians, erfolgreicher Podcast-Moderator – und Autor. Sogar auf das Cover der internationalen Ausgabe der „New York Times“ hat er es mit einem Portrait im Februar 2021 geschafft. Aktuell hat er sein neues Comedy-Programm am Start: „All you can eat“. Dass er sich dennoch die Zeit für das Gespräch mit uns genommen hat, freut uns riesig!
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Vor kurzem kam die Graphic Novel zu deinem Roman „Sonne und Beton“ heraus, darin geht es um vier Jugendliche, die in Neukölln leben. Du kommst ja auch von dort, man könnte also meinen, dass das Buch durchaus zum Teil autobiographisch ist – was hast du wahr gelassen, wo hast du dir „künstlerische Freiheiten“ erlaubt?
Es ist sehr viel echt, aber manches auch nicht. Was genau, lasse ich ein bisschen offen, weil es eigentlich nichts zur Sache tut. Es hätte aber auf jeden Fall genauso stattfinden können, wie es beschrieben ist.

Was wolltest du mit dem Buch erreichen?
Viele KünstlerInnen oder AutorInnen neigen ja dazu, später, wenn die ersten Reaktionen kommen, zu sagen: „Ja genau, deswegen schreibe ich dies und überspitze hier.“ Mein Anspruch war eher künstlerisch, dass es authentisch ist, also dass Leute aus dieser Gegend das Buch lesen und sagen: „Ja, genau so hätte es sein können.“

Im SRF hast du vor kurzem den schönen Satz „Ich wünschte, ich hätte mir mehr ausdenken müssen“ diskutiert. Das erinnert an einen Satz von Gandalf aus „Der Herr der Ringe“: „Jede Geschichte verdient es, ausgeschmückt zu werden.“ Schreibt das Leben selbst nicht die besten Geschichten?
Auf eine Art schon, manchmal sind die echten Geschichten sogar so absurd und random, dass man sie z.B. für die Bühne wieder realistischer machen muss. Marc-Uwe Kling hat einen guten Joke darüber, dass seine Mutter immer zu ihm sagt: „Das Leben schreibt die besten Geschichten“, und er nimmt es persönlich. Ich bin nicht sonderlich kreativ. Was ich einigermaßen gut kann ist: Sachen, die ich erlebt oder beobachtet habe, in unterhaltsamer Form wiederzugeben. Sei es als Witz auf der Bühne oder in einer spannenden relevanten Schriftform.

„Lernen hat dann doch Spaß gemacht.“

Im Podcast hast du mal erzählt, dass du mit ungefähr 14 angefangen hast zu kiffen, zu klauen … es klang relativ aussichtslos. Jetzt bist du preisgekrönter Comedian, Podcaster und Autor. Woher kommt diese Willenskraft, sein Leben komplett herumzureißen?
Damals hat es sich nicht aussichtlos angefühlt, aber irgendwie war es das schon ein bisschen. Ich bin nach anderthalb Jahren vom Gymnasium geflogen, war dann auf einer kaputten Gesamtschule in der Gropiusstadt, habe mit Ach und Krach den Realschulabschluss geschafft und erst mal ein paar Jahre gejobbt. Erst dann habe ich gemerkt, dass ich auf keinen Fall mein restliches Leben so weitermachen will. Irgendwann hat dann ein Kumpel, der leider schon verstorben ist, die Idee gehabt, nochmal das Abi nachzumachen, eigentlich mehr aus Langeweile. Das Lernen hat dann doch Spaß gemacht, ich habe ja dann sogar angefangen zu studieren.

Wie hat deine Karriere begonnen?
2008 stand ich das erste Mal auf der Bühne, nur als Hobby, später war es ein Nebenjob, mit dem ich mein Studium finanzierte. 2014 habe ich dann bemerkt, hier passt grad was, da hatte ich dann den Gedanken, dass ich das auch beruflich machen könnte. Ein Jahr später habe ich alles auf eine Karte gesetzt und das Studium pausiert. Ich sage immer pausiert, aber wahrscheinlich eher abgebrochen.

Wolltest du schon immer berühmt und erfolgreich werden?
Als Kind wollte ich nie Feuerwehrmann werden, sondern lieber reich und berühmt, wusste aber nicht womit. Als Jugendlicher habe ich mir mal total bekifft vorgenommen, mit 30 Millionär zu sein. Hat leider erst mit 31 geklappt. Ich hatte aber nie einen konkreten Plan, es hat sich einfach Schritt für Schritt ergeben.

Hilft es dir in deiner Comedy, dass du schon Barista, Breakdancer, Kellner, Fitnesstrainer und Co. warst?
Auf jeden Fall. Rückblickend betrachte ich es auch als Privileg, eben nicht privilegiert aufgewachsen zu sein. Ich habe früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen, verdiene mein Geld, seit ich sechzehn bin, und konnte in viele Sachen reinschnuppern. Dadurch habe ich ein breiteres Bild als der Durchschnittsdeutsche, denn ich kenne sowohl das Unterschichtsleben als auch das Gegenteil. Das ist eine Menge wert. Man erlebt halt auch viele dieser komischen Sachen, die man sich nicht besser ausdenken könnte.

Du bist ja selbst auch Autor. Wie kam es dazu, dass du angefangen hast zu schreiben?
Irgendwann hatte ich einmal einen Satz im Kopf, der wurde später zum ersten Satz einer Kurzgeschichte, diese wiederum ähnelt dem ersten Kapitel im Buch. Die Kurzgeschichte ist damals meinem Literaturagenten über ganz komische Umwege in die Hände gefallen. Er hat mich dann gefragt, ob ich je darüber nachgedacht habe, daraus eine längere Geschichte zu machen. Heraus kam „Sonne und Beton“.

Arbeitest du bereits an einem neuen Buch?
Ich schreibe seit anderthalb Jahren daran, habe aber keine Abgabefrist und daher fehlt mir der Druck, es durchzuziehen.

„Einen Teil vom Vorschuss habe ich schon …“

Du darfst gerne hier im Interview den Erscheinungstermin mit uns festlegen.
Alles klar. Dann sagen wir jetzt, das neue Buch kommt im Frühjahr 2023 und heißt „Fahrstuhlmusik“. Einen Teil vom Vorschuss habe ich ja auch schon.

Wie unterscheidet sich der Schreibprozess für ein Comedyprogramm und einem Buch?
Als Comedian ist man auf instant Feedback konditioniert, ich merke also in der Sekunde, wo ich etwas ausspreche, ob der Joke funktioniert oder nicht. Beim Schreiben bekommt man die Reaktion zeitlich so entzerrt, oft erst nach Monaten. Ich würde mich selbst auch nicht als richtigen Autor bezeichnen, denn ich kann das Handwerk nicht, ich schreibe aus dem Gefühl heraus. Wenn ich an meiner Comedy arbeite, versuche ich mir auch nichts von anderen Leuten anzugucken, weil ich unbedarft und ohne Bias in den Prozess hineingehen möchte.

Dein Buch wurde jetzt auch verfilmt und kommt am 22. September ins Kino. Warum spielst du nicht die Hauptrolle?
Erstens nimmt mir keiner mehr ab, dass ich ein 15-Jähriger bin, außerdem ist mir viel wichtiger, dass der Film richtig gut wird, es geht ja nicht darum, dass ich möglichst viel Screen Time bekomme. Das müssen Leute machen, die da besser geeignet sind. Wir haben größtenteils Darsteller direkt aus Gropiusstadt, Neukölln oder Berlin gecastet, also authentische Leute von der Straße oder aus Jugendclubs, auch unsere Hauptrolle. Ich tauche aber auch ein paarmal im Film auf.

Im April startet dein neues Comedy-Programm „All you can eat“. Um was geht es und was hat der Titel zu bedeuten?
In den Titel will ich gar nicht so viel hinein interpretieren, er klingt cool und die Leute sollen in die Show kommen und einfach mitnehmen, was sie können. Ich halte nichts von Titeln, die auf Biegen und Brechen auch noch einen Wortwitz enthalten. Zum Inhalt kann ich nur sagen: Es geht wie immer um Dinge aus meinem Leben und ist sehr gut.

„ … trotzdem habe ich immer noch irrationale Angstspiralen.“

Das klingt sehr zuversichtlich. Hast du jemals Selbstzweifel?
Es gibt nichts Schlimmeres als die Monate vor einem neuen Programm. Heute bin ich viel besser vorbereitet als früher, trotzdem habe ich immer noch irrationale Angstspiralen und spüre einen Erwartungsdruck. Wegen meiner großen Schnauze habe ich im Podcast angekündigt, dass das neue Programm tausendmal besser ist als alle davor. Daher musste ich jetzt auch liefern, aber ich denke, es hat geklappt. Das Wichtigste ist, dass die Leute die Show geil finden und sie weiterempfehlen.

Stichwort Empfehlungen: Vor ein paar Jahren hast du das Buch „Utopien für Realisten“ von Rutger Bregman empfohlen. Das hat einen richtigen Hype ausgelöst, das Buch wurde sogar nachgedruckt. Diesen Effekt sieht man oft nur bei Persönlichkeiten wie Barack Obama und Oprah Winfrey.
Ich sehe mich auch als schwarze Identifikationsfigur. War ein Spaß. Krass, das wusste ich nicht, es freut mich aber, weil das Buch eine coole Message hat. Das ist genau die Art Buch, die ich gerne lese, unterhaltsam mit wissenschaftlichem Hintergrund und so geschrieben, dass es auch ein Normalo versteht, einfach „snackable to read“.

Was kannst du noch empfehlen?
Ich habe dann noch „Im Grunde gut“ vom gleichen Autor gelesen, das geht in dieselbe Richtung. Politische Theorien oder generell Gesellschaftstheorie haben ja immer als ersten Arbeitsschritt ein Menschenbild, von dem aus sie argumentieren. Im Buch erklärt Bregman, dass diese Menschenbilder eigentlich alle schlecht sind und gleicht das mit Empirie ab, also wie sich Menschen in Extremsituation tendenziell wirklich verhalten. Heraus kam, dass wir Menschen im Grunde gut sind, also nicht wie Hobbes´ „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“. Das fand ich wirklich spannend. Außerdem habe ich noch „Factfulness“ gelesen und gerade mit „Die Macht der Geographie“ begonnen.

Gedrucktes Buch, eBook oder lieber Hörbuch?
Das physische Buch, ich brauche diese Buchhaptik. Hörbücher sind auch cool, aber das fühlt sich eher wie ein Podcast an, da bleibt dann nicht so viel hängen. Ich bin keine Leseratte, brauche immer ewig für ein Buch und spüre auch immer eine krasse Hemmschwelle, mich mal ohne Handy, YouTube oder Podcast hinzusetzen. Wenn ich dann mal lese, macht es mir aber Spaß und ich denke mir immer, das sollte ich öfter machen. Der Game Changer war, als ich endlich ein gutes Leselicht am Bett hatte.

Rutger Bregman
„Im Grunde gut“
Übersetzt von: Ulrich Faure, Gerd Busse
Rowohlt
15,00 €

Auch als eBook auf Hugendubel.de erhältlich

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Hans Rosling, Anna Rosling Rönnlund, Ola Rosling
„Factfulness“
Übersetzt von: Hans Freundl, Hans-Peter Remmler, Albrecht Schreiber
Ullstein
16,99 €

Auch als eBook | Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich

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Tim Marshall
„Die Macht der Geographie“
Übersetzt von: Birgit Brandau
dtv
14,00 €

Auch als eBook | Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich

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