Von Alpenglühen bis Zirben-Spritz: Felix Neureuther hat nach seiner Karriere als erfolgreichster alpiner Skifahrer Deutschlands seine Berufung als Botschafter der Bergwelt gefunden. Sein Herzensanliegen ist, das Erbe der Alpen zu bewahren, weiterzugeben und lebendig zu halten. So trifft er auf seiner großen Tour von Südtirol bis ins Wallis Menschen, die zeigen, wie dieser riesige Schatz zum Schlüssel für ein gutes Leben werden kann – Nachhaltigkeit inklusive.

Was sind nach Ihrer sagenhaften Karriere als Skirennläufer nun die großen Prioritäten in Ihrem Leben?
Absolut meine Familie, die ist die Nummer 1!

Welche Bedeutung haben die Alpen für Sie?
Für mich sind die Berge Kraftquelle und Ruhepol zugleich – genau wie für meine gesamte Familie. Bergbegeisterung liegt in unserer Familien-DNA. Sie wird seit Generationen weitervererbt.

Wie hat es Ihren Horizont erweitert, als Sie Ihrer Familien-DNA nachspürten?
Das waren schon echte Aha-Erlebnisse. Von Kindheit an waren mir die Berge erst einmal zum Skifahren wichtig – und da haben mich meine Eltern großartig unterstützt. Die Leidenschaft habe ich also von den beiden direkt geerbt, aber auch von meinem Großvater Dr. Gottfried Neureuther, der sogar als Expeditionsarzt im Himalaya war und eine Broschüre über „Erste Hilfe im Gebirge“ veröffentlicht hat. Sein Wunsch war, die Menschheit durch Forschung voranzubringen. Aber wir sind als Familie noch näher an den Wissenschaftspionieren.

Wie kamen Sie darauf?
Im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins in München konnte ich unsere Verwandtschaft in direkter Linie mit den Brüdern Schlagintweit feststellen. In ihren bedeutenden Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert zur Geologie und Geografie der Alpen habe ich ehrfürchtig geblättert. Das waren für mich Entdeckungen, die mein Bewusstsein für die Bergwelt verändert haben. Die Schlagintweits haben großen Anteil daran, dass ich mich intensiv mit der geheimnisvollen Welt der Berge beschäftige – und dass mein Buch entstanden ist.

„Wunderbar, so ein vielfältiges, reiches Erbe zu teilen!“

Was macht Ihr Buch „Das Erbe der Alpen“ für Sie zur Herzensangelegenheit?
Es sind sogar zwei Herzensangelegenheiten: die Alpen selbst, wo ich groß geworden bin – in einer Bergwelt, in der so viel Schönheit und Tradition steckt. Und es ist wunderbar, so ein vielfältiges, reiches Erbe zu teilen und an die nächste Generation weiterzugeben.

Die nächste Generation – das sind für Sie natürlich auch Ihre drei kleinen Kinder. Was möchten Sie ihnen mitgeben?
Werte!

Welche hauptsächlich?
Bodenständigkeit, respektvoller Umgang – egal, ob mit Menschen, Tieren oder der Natur. Und Dankbarkeit, so dass sie mit einem Leuchten in den Augen durch die Welt gehen dürfen.

Mit welcher Kernfrage haben Sie sich für Ihr Buchprojekt auf den Weg durch die Alpen gemacht?
Ich wollte herausfinden, welches Erbe der Alpen es überhaupt gibt, welche Traditionen und Werte, was die Vielfalt alles umfasst, was besonders lebendig wirkt – und was wir heute für uns daraus schöpfen können. Das scheint mir um so bedeutsamer, je schnelllebiger unsere Zeit ist und je mehr wir uns getrieben fühlen. Entsprechend möchte ich zeigen, wie Menschen das Erbe der Alpen neu für sich entdecken und viel Positives dabei für sich gewinnen können.

„Entdecken, welcher besondere Schatz hier zu finden ist!“

Wie ist Ihr Selbstverständnis als Botschafter der Alpen. Worin sehen Sie da Ihre Aufgabe?
Ich möchte dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen mehr über unsere Bergwelt erfahren und entdecken, welcher besondere Schatz hier zu finden ist. Gerade weil ich mitten in den Alpen lebe, sehe ich es als meine Aufgabe, den Menschen die Schönheit der Berge bewusst zu machen. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn Menschen diese Schönheit erleben, dann bauen sie eine emotionale Bindung zu den Bergen und zur Natur auf und erkennen dadurch, wie wichtig achtsames, umweltbewusstes Verhalten ist – für Mensch und Natur!

Welcher innere Kompass hat Sie bei Ihrer Recherchetour durch die Alpen geleitet?
Ich möchte ein Bewusstsein wecken, was für tolle Menschen in den Alpen leben und was sie erschaffen – in einer beeindruckenden Vielfalt, ob in der traditionsreichen Almwirtschaft, in der Fülle der regionalen Küchen, in der Handwerkskunst oder in der Kultur. Unterwegs bin ich immer wieder ins Staunen geraten und beeindruckt gewesen. Und vor allem habe ich immer wieder Menschen getroffen, die mir Hoffnung machen, dass gutes Leben in den Alpen auch in Zukunft möglich ist.

Eingetaucht sind Sie natürlich auch in den vielfältigen Kulturraum Alpen. Wo haben Sie Gänsehautmomente erlebt?
Die Musik spielt in den Alpen eine riesige Rolle, nicht nur bei uns in Bayern, sondern auch in der Schweiz, in Österreich, Südtirol, Italien und Slowenien – eine unglaubliche Vielfalt. Wenn einer auf einer Hütt’n Musik macht, dann entsteht etwas Magisches. Unvergleichlich, wenn bei einer Messe auf der Alpspitze musiziert und gesungen wird. Am ergreifendsten finde ich die traditionelle Volksmusik mit ihren Harmonien und Jodlern, wenn man sich oben in den Bergen bewegt, ist das pure Freude. Vielleicht ist das der Ursprung der Musik …

Wo kommt alte Handwerkskunst wirkungsvoll zu neuer Blüte?
Vielerorts. Ein Musterbeispiel ist für mich der Beruf des Hutmachers, den es früher in jedem Ort gab. Dann schien er fast ausgestorben. Doch es wird wiederentdeckt, welches Potenzial in dem alten Metier steckt, beispielsweise im früher auf Hüte spezialisierten Familienbetrieb der Zachers in Innichen im Pustertal. Hier nutzen kreative Einheimische die alte Technik des Filzens nun nicht nur für Hüte, sondern fertigen eine Palette an Produkten von Sitzkissen bis zu Mützen. Nicht nur ein Comeback, sondern einen regelrechten Boom haben die Zachers und ihr Team den Pantoffeln beschert – genau richtig, wenn man es daheim gemütlich haben will. Gefertigt werden sie aus Merinowolle, die eben nicht eingefärbt wird, sondern naturbelassen bleibt. Zum Einsatz kommt eine Presse, die über 100 Jahre alt ist und prächtig funktioniert! Ich ziehe diese Hausschuhe nicht mehr aus.

„Man muss spüren, dass du etwas mit Liebe tust!“

Was wurde für Sie selbst unterwegs zum Schlüsselerlebnis?
Ich habe bei unseren Recherchen wirklich viele großartige Menschen getroffen. Faszinierend, wie sie mit einfachen Mitteln etwas erschaffen, und welches Glück sie dabei erfahren. Am tiefsten berührt und beeindruckt hat mich beim Besuch auf dem Kräuterhof im Südtiroler Ultental die Begegnung mit der fast 80-jährigen Waltraud. Sie wirkt auf mich wie die Seele dieses Drei-Generationen-Familienbetriebs und ist eine Meisterin im Sammeln von Wildkräutern auf Bergwiesen und im Wald – die Zutaten für Tee, Salben und andere Produkte, die im kleinen Hofladen verkauft werden. Als kurz mein altes, auf Leistung getrimmtes Ich durchbrach und ich ihr riet, Marketing zu betreiben, um mehr zu erwirtschaften, hat sie mich sofort geerdet: „Felix, hör mir zu, es muss nicht mehr sein. Wir sind zufrieden mit dem, was wir haben.“ Wichtiger als Werbung ist Waltraud die innere Haltung: „Man muss spüren, dass du etwas mit Liebe machst.“ Das war für mich ein Schlüsselmoment, der mich nachhaltig geprägt hat.

Was möchten Sie denn Feriengästen für einen achtsamen Urlaub mit auf den Weg geben?
Der Umwelt zuliebe sollte man versuchen, Tagesausflüge einzuschränken. Statt an vier Wochenenden je einen Tag in die Berge zu fahren, besser mehrere Tage am Stück, um An- und Abreisen und somit den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Ebenfalls ganz, ganz wichtig: So wie man die Natur betreten hat, so sollte man sie auch hinterlassen. Und noch ein persönlicher Tipp: Bitte nicht sofort das Handy zücken, um wie wild Bilder in den sozialen Medien zu posten, sondern lieber erst einmal innehalten und den Moment für sich genießen! Bilder, die man sich mit den eigenen Augen gemacht hat, bleiben viel intensiver in Erinnerung al die 20.000 auf dem Handy gespeicherten Fotos.

Wie stellen Sie sich achtsames und nachhaltiges Erkunden der Alpen vor?
Nachhaltig bewegt man sich eigentlich automatisch in den Bergen, denn man ist zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Man tut also etwas für sich selber – für seine Gesundheit. Viele Menschen denken ja bei dem Begriff „Investition“ an Geld. Aber ich investiere ja auch in meine eigene Gesundheit, das größte Gut, das wir Menschen haben können. Und das kann man in den Bergen ganzheitlich fördern! Beim Bergsteigen hat man fast automatisch Glücksgefühle, man tut etwas für seinen Körper, aber natürlich auch für den Kopf und die Seele. Die Berge sind einfach etwas Einzigartiges – zumal man sonst kaum ruhigere Orte findet. Ich glaube, wer das mal gefühlt und erlebt hat, kehrt in sich und blickt dann auch mit anderen Augen auf die Welt.

Stichwort Skifahren: Was finden Sie bedenklich, was stimmt Sie hoffnungsvoll?
Höher-Schneller-Weiter hat keine Zukunft. Es müssen nicht noch mehr Gebiete erschlossen werden, sondern die Mittel sollten investiert werden in nachhaltige Maßnahmen, in nachhaltigen Liftbetrieb und nachhaltige Energieerzeugung. Es ist wichtig, die Natur so gut es geht zu schützen. Ich weiß, dass sich mittlerweile ein sehr großes Bewusstsein für Umweltfragen und Nachhaltigkeit in der Skiwelt eingestellt hat. Es bewegt sich schon massiv etwas.

Wie bringen Sie Ihren Skifahr-Enthusiasmus und Ihre Nachhaltigkeitsideale in Einklang?
Zum Glück lebe ich in Garmisch-Partenkirchen. Somit spare ich die An- und Abreise, weil ich quasi vor der eigenen Haustür skifahren kann. Der Skisport ist etwas Einzigartiges, er weckt Emotionen. Und die erfüllen natürlich auch mich. Die Freude des Skifahrens, die siehst du bei jedem Kind in den Augen. Das ist ähnlich wie bei der Sehnsucht der Menschen nach den Bergen. Dabei ist es wichtig, die Natur zu respektieren und schützen. Deshalb stürze ich mich auch nicht zwischen Weihnachten und Neujahr ins Getümmel, wenn es überall voll ist und meist noch zu wenig Schnee gefallen ist. Am schönsten ist Skifahren für mich bei Naturschnee im März oder April. Wir müssen, glaube ich, ein bisschen anders denken.