ZUHAUSE IST Fernando Aramburu (Jahrgang 1959) in Hannover, seit ihn die Liebe Mitte der 80er Jahre nach Deutschland führte. Zugleich schlägt das Herz des Schrift­stellers für seine alte Heimat. „Patria“ ist eine Familiensaga aus dem Baskenland, genauer gesagt: aus dem spanischen Teil der lange umkämpften Region. In Spanien 2017 mit den höchsten Literaturpreisen ausgezeichnet, begeistert der „Roman des Jahres“ auch Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa: „Diese Geschichte hat das Leben selbst geschrieben … Ich habe seit langem kein so überzeugendes und bewegen­des Buch gelesen.“

Ihre ersten Erkundungen in Deutschland haben Sie natürlich auch in Buchform festgehalten. Welche Bedeutung hatte für Sie Ihr Buch „Viaje con Clara por Alemania“ („Reise mit Clara nach Deutschland“)?
Es handelt sich um die literarische Parodie eines Reisebuches. Der Roman ist ein informelles und lustiges Dankeschön an Deutschland.

Was verbinden Sie mit dem Baskenland?
Vor allem persönliche Erinnerungen: an meine Kindheit, meine Eltern, meine Freunde, die Schulzeit, meine Jugend, die ersten Bücher, das Meer, bestimmte Gerichte, Apfelwein, Fußball. Also nichts, das sich gegen irgendjemanden richtet oder anderen schaden kann.

Reisen Sie noch regelmäßig in Ihre alte Heimat?
Jedes Jahr besuche ich ein paar Mal das Baskenland. Dort treffe ich meine Mutter, meine Schwester, Freunde und Landschaften, die für mich von großer Bedeutung sind.

Zu Vaterland gehört die Muttersprache. Wie würden Sie Ihre persönliche Sprachwelt beschreiben?
Meine Muttersprache ist Spanisch. In der Schule meiner Zeit gab es nur Französisch. Danach kam die deutsche Sprache und heutzutage gebe ich mir Mühe mit Englisch.

Ihre Geburtsstadt San Sebastián war 2016 Kulturhauptstadt Europas und wählte als Schwerpunktthema das friedliche Zusammenleben aller Menschen. Was machte dieses Generalmotto so wichtig?
Der Terrorismus hat über Jahrzehnte die baskische Gesellschaft gespalten. Die Idee, Brücken zu bauen und die ehemaligen Kontrahenten zusammenzubringen, halte ich für sehr sinnvoll und unterstützenswert.

Was kann Kultur Ihrer Einschätzung nach bewirken?
Kultur bedeutet für mich einerseits die Praxis der Kreativität, andererseits Förderung von Wissen und Bildung.

Wie würden Sie die Situation des Baskenlands auf den Punkt bringen?
Ich würde sagen, die Basken haben endlich gelernt, dass es keinen Frieden außerhalb der Demokratie geben kann.

Was hat Sie dazu bewegt, in Ihrem Roman in die baskische Lebenswelt zurückzukehren? Gab es aktuelle Anlässe? Oder tragen Sie die bestimmten Geschichten schon länger mit sich herum?
Geschehnisse der letzten Vergangenheit, meistens tragisch, die mit meinem Heimatland zu tun haben, beschäftigen mich ununterbrochen.

Wie haben Sie eigentlich Ihre Romancharaktere entwickelt? Haben Sie im Baskenland Lebensgeschichten gesammelt?
Ich kenne meine Landsleute ziemlich gut, wie sie denken, wie sie sprechen, wie sie träumen. Das genügt.

„Patria“ beginnt als Doppelporträt der ehemaligen Freundinnen Bittori und Miren, um die herum Sie allmählich immer mehr Familienmitglieder lebendig werden lassen. Was macht all die persönlichen Schicksale bedeutsam?
Ich habe mich von Anfang an für neun Protagonisten entschieden. Meine Hoffnung war, dass am Ende die vielen Episoden ein breites Bild entstehen lassen – wie Teile eines großen Puzzles. In dieser Konstellation war mir auch klar, dass die weiblichen Figuren eine besondere Rolle spielen würden.

Bittori und Miren stammen aus einem Dorf in Guipúzcoa. Was prägt dort das Leben?
Die Tatsache, dass sich dort alle kennen, verwandelt das Dorf in eine Theaterbühne. Es gibt für niemanden ein Versteck. Jeder als Einzelmensch ist da, inmitten der Geschichte seiner Zeit, und alle sehen ihn, beobachten und beurteilen sein Verhalten, seine Gedanken und Überzeugungen.

Bittori und Miren waren einst durch innige Freundschaft verbunden. Was hat die beiden entzweit?
Die Gewalt in der Gesellschaft verursacht die Trennung von zwei alten Freundinnen. Im Hintergrund agieren vielleicht andere Motive. Ich lasse das lieber den Leser herausfinden.

Mirens Ehemann Joxian hat nicht nur einen Fluchtpunkt in seiner Stammkneipe, sondern zudem einen Garten, der quasi „seine Religion“ ist. Was genau macht die Bedeutung dieses Gartens für ihn aus? Und warum stellen Sie ihn ausgerechnet vor die Herausforderung eines Gartens am Fluss, der regelmäßig überschwemmt wird?
Der Gemüsegarten, eigentlich die Arbeit in der Natur, ist wie eine Institution für viele Basken. Die häufige Überschwemmung des Gartens von Joxian lädt zu einer symbolischen Interpretation ein. Aber die möchte ich – wie die Interpretation anderer Episoden des Romans – lieber dem Leser überlassen.

Würden Sie sagen, „Patria“ ist eine vielstimmige Geschichte von Zerreißproben?
Dieser Interpretation stimme ich zu. Fanatismus, Gewalt, ständige Konfrontation machen das Zusammenleben innerhalb der Familie oder eines Freundeskreises sehr schwer.

Würden Sie sagen, „Patria“ ist typisch für das Baskenland? Oder sind die Grundthemen universell?
Was in „Patria“ erzählt wird, kann jeder verstehen. Es handelt sich in erster Linie um einen Familienroman. Ich habe Vorträge über meinen Roman in Kolumbien, Italien, Belgien und in den USA gehalten – und jedes Mal wusste das Publikum Bescheid.