RETTE SICH, WER KANN: Stress bis zur Erschöpfung, Sorgen, die einem den Schlaf rauben. Ängste, die in unseren konfliktreichen Zeiten immer mehr um sich greifen – und krank machen. Das Beste, was uns jetzt passieren kann: „Das Anti-Angst-Buch“ von Prof. Dr. Gustav Dobos, verdienstvoller Pionier der wissenschaftlich fundierten Naturheilkunde, führender Kopf der Mind-Body-Medizin und Autor von Bestsellern mit geballtem Gesundheitswissen. Anschaulich zeigt er uns, wie wir widerstandsfähiger werden und zu innerer Balance finden.
„Anti-Angst-Buch“ klingt im ersten Moment wie die logische Antwort auf die aktuelle Weltlage. Was war Ihr Ausgangspunkt?
Wir steuern in ein Zeitalter der Krisen – die Covid-Pandemie war ein erster Vorgeschmack davon. Aber auch der Krieg in Europa, der Klimawandel und der wirtschaftliche Umbruch verunsichern. Viele Menschen fühlen sich gestresst und sie haben Angst. Ihnen dämmert, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.
Warum haben Sie als vielseitig und umfassend ausgebildeter und erfahrener Mediziner die Angst zu Ihrer Aufgabe gemacht?
Während meiner langjährigen klinischen Tätigkeit als Direktor einer Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin habe ich sehr viele chronisch schwerkranke Menschen behandelt, die mitunter aufgrund ihrer andauernden krankheitsbedingten Stresssituation auch unter Depressionen und Ängsten litten. Im Verlauf der Behandlung fiel mir immer wieder auf, dass sich nicht nur die körperlichen Beschwerden, sondern auch die psychischen deutlich besserten. An meinem Forschungslehrstuhl sind wir deshalb der Frage nachgegangen, ob und welche naturheilkundlichen Verfahren auch Auswirkungen auf die Psyche haben könnten. Daraus sind 46 Medline-gelistete wissenschaftliche Arbeiten entstanden, einschließlich einer Meta-Analyse zu dem Thema (systemische Evaluation aller wissenschaftlichen Arbeiten zu dem Thema) und mehrere Bücher zum Thema Psyche und Naturheilkunde.
Sie arbeiten an vielversprechenden Innovationen …
Ja, mittlerweile leite ich das Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin an der Universitätsmedizin Essen und baue hier ein „Mind-Body-Medizin-Lab“ auf, in dem wir die Wirkung von Lebensstil-verändernden Maßnahmen auf die Gesundheit und Psyche untersuchen.
Welche Herausforderungen stellen sich aktuell?
Psychologische Behandlungen sind wichtig und sinnvoll, aber problematisch sind häufig die langen Wartezeiten von bis zu 6 Monaten. Psychologen sind aktuell auch auf der Suche nach neuen Strategien, denn heute handelt es sich häufig nicht um rein psychische Probleme, wie Platzangst oder eine Spinnenphobie, die man wegtrainieren kann. Hier geht es um reale Bedrohungen. Aus meiner Arbeit mit schwer chronisch kranken Menschen weiß ich, wie viel Einfluss negative Gefühle, Stress und Angst auf die Gesundheit haben. Die Naturheilkunde zeigt Wege, mit diesen Gefühlen bewusster umzugehen, sie zu regulieren.
„Es gibt immer Handlungsspielraum.“
Wie lautet Ihr Credo als Mediziner?
Es gibt immer einen Handlungsspielraum. Niemand ist seinem Schicksal völlig ausgeliefert. Jeder von uns kann also etwas für seine Gesundheit tun – und gegen seine Ängste.
Sie setzen auf Mind-Body-Medizin. Was hat es damit auf sich und was ist das Vielversprechende oder sogar Bahnbrechende daran?
Die Mind-Body-Medizin ist die Weiterentwicklung der klassischen Ordnungstherapie in der Naturheilkunde – es geht also um ein ausgewogenes Verhältnis von Belastungen und Entlastungen in den Bereichen Bewegung, Ernährung und Entspannung. In den USA hat die Stressforschung gemeinsam mit den Hirnwissenschaften ergänzende Methoden gefunden, wie man bewusst mit mentalen Techniken auf den Körper Einfluss nehmen kann – mit Atemübungen, Meditation oder Praktiken wie Achtsamkeit, Yoga oder Qigong. Das alles ist durch viele Studien bestätigt worden und findet sich auch bereits in Leitlinien wieder: dem wissenschaftlichen Katechismus der Medizin.
Bekannt sind Sie vor allem als Pionier der wissenschaftlich fundierten Naturheilkunde. Was ist für Sie der Kern und das Überzeugende daran?
Ursprünglich komme ich, als ausgebildeter Internist, Nephrologe und Arzt für Intensivmedizin aus der molekularbiologischen Hochleistungsmedizin und habe in einer der besten wissenschaftlichen Einrichtungen, dem Research Institute of Scripps Clinic (USA) geforscht. Ich kenne die Segnungen der modernen Medizin sehr gut, kenne aber auch die Schwachstellen, vor allem bei chronischen Erkrankungen. Bereits als Medizinstudent habe ich mich für naturheilkundliche Verfahren interessiert und z.B. in den 80er Jahren in China die Akupunktur erlernt. Dabei habe ich Phänomene gesehen, die mit unserem Körperverständnis nicht zu erklären waren. Dann war ich an der Freiburger Uniklinik Arzt in einer Rheumaabteilung und konnte sehen, wie manche Patienten allein mit gesunder Lebensführung sehr lange ohne schwere Medikamente auskamen. Das alles hat mich neugierig gemacht auf mehr. Und um die Naturheilkunde in die moderne Medizin zu integrieren, musste man ihre Wirkung erst mal in Studien belegen und die Spreu vom Weizen trennen. Das war ein hartes Stück Arbeit, denn vielen Naturheilkundlern reichte es, sich auf die Jahrtausende alte Tradition zu berufen. Das reicht heute aber nicht mehr.
„Die Angst hatte sie im Griff.“
Was hat bei Ihnen die Alarmglocken zum Schrillen gebracht und den Bedarf für Ihr Buch bewusst gemacht?
Die Pandemie hat bei vielen chronisch kranken Patienten ihren Zustand verschlimmert, selbst wenn sie sich nicht mit Covid infiziert hatten. Es war die Angst, die sie im Griff hatte. Als naturheilkundlich orientierter Arzt trenne ich den Kopf nicht vom Körper – wir sehen täglich, welchen Einfluss Gefühle auf die Gesundheit haben. Wir setzen unspezifische Reize wie temperiertes Wasser, das zwingt den Körper zu Reaktionen und plötzlich werden auch längst vergessene Gefühle freigesetzt. Danach geht es den Patienten häufig besser. Die große Mehrheit der geschilderten Symptome in der täglichen Hausarztpraxis sind „psychosomatisch“ und verstärken sich durch Stress und Angst: viele Schmerzkrankheiten, aber auch Darmentzündungen, Allergien oder Bluthochdruck.
Wie sind die Aussichten?
Umfragen zeigen jetzt, wie schwer die Krisen der Welt, die Erschöpfung der Covidzeit, die Kriegs- und die Klimaangst vor allem auf jungen Menschen lasten. Man erwartet eine Welle zusätzlicher psychischer Erkrankungen in den kommenden 5 Jahren. Da muss man dringend gegensteuern.
Was ist nun geboten?
Die Vielzahl der potenziellen Patienten kann durch eine psychologische oder psychiatrische Betreuung allein nicht aufgefangen werden. Aus diesem Grunde ist die Umsetzung von nachweislich wirksamen Verfahren der naturheilkundlichen Lebensstilmedizin (Mind-Body-Medizin, Ordnungstherapie), wie Yoga, Meditation, Sport oder regelmäßige Bewegung sowie eine psychisch stabilisierende Form der Ernährung, die „Nutritional Psychiatry“, wie sie aktuell an der Harvard Medical School umgesetzt wird, sinnvoll.
Als prominentes Beispiel führen Sie Charles Darwin an. Was macht ihn für Sie zum aufschlussreichen Fall von Angst?
Darwin hat als Forscher auf dem Schiff „Beagle“ unglaubliche Abenteuer erlebt, aber als er wieder zuhause und in Sicherheit war, entwickelte er eine starke Angststörung, die sein gesamtes weiteres Leben prägte. Das zeigt, dass es irrationale Ängste gibt, die man heute relativ rasch heilen kann, durch Verhaltenstherapie. Die Rationalität hilft da nicht weiter. Es geht um Gefühle. Mit denen kann man umgehen. Für Darwin selbst bedeutete es allerdings auch, dass er sich für lange Zeit auf seine Arbeit konzentrieren konnte, ohne abgelenkt zu werden.
„Ich dachte, jetzt ist es aus.“
Auch Ihnen selbst ist Angst keineswegs fremd. In welcher akuten Situation war es Ihnen zuletzt richtig angst und bang?
Als Arzt darf man keine Angst haben, man braucht einen kühlen Kopf, um unter Druck die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Anspannung spürt man dann erst hinterher. Als Privatmensch jedoch bin ich natürlich auch nicht frei von Ängsten. Ich sorge mich um meine Familie. Mich beunruhigt der Krieg. Und als ich einmal nach China flog und wir einen tropischen Orkan passieren mussten, dachte ich, jetzt ist es aus, solche wilden Bewegungen machte das Flugzeug. Aber irgendwann beruhigt sich der Körper wieder, man kann nicht endlos Angst haben.
Viele Menschen setzt schon der Alltag mit all seinen Turbulenzen unter Stress. Was hilft gegen solchen Dauerdruck?
Chronischer Stress ist ein erhebliches Gesundheitsrisiko, aber viele Menschen nehmen schon gar nicht mehr wahr, unter welchen täglichen Anspannungen sie stehen. Man kann diese Wahrnehmung schulen, z. B. mit sogenannten Achtsamkeitsübungen. Man kann die Stressreaktion sozusagen umkehren in eine „relaxation response“, dann werden entspannende Botenstoffe freigesetzt. Für all das gibt es Programme in der Mind-Body-Medizin. Schließlich hat auch die Naturheilkunde viele Wege, den Körper wieder zur Entspannung zu bringen, Kneipp’sche Therapien wie Güsse oder Wickel, Heilmassagen, Akupunktur.
Was ist Ihre Mission im Umgang mit Angst?
Mission ist zu viel gesagt. Als naturheilkundlicher Arzt weiß ich, dass jeder meiner Patienten sehr viel für sich selbst tun kann, seinen eigenen Weg zur Genesung findet, mit der Hilfe von mir und meinem Team. Ich versuche, Wege aufzuzeigen gegen die Angst. Natürlich gibt es Ängste, die in die Hände eines Psychiaters oder Psychologen gehören. Aber jeder von uns kann mit Hilfe der Naturheilkunde widerstandsfähiger, resilienter werden gegen die Angst.
„Man kann immer etwas verbessern!“
Wie fließt Ihr Ideal der „Salutogenese“ in Ihr Anti-Angst-Buch ein?
Es geht mir nicht nur um Pathologie, das Krankmachende, sondern um das, was die Menschen stärkt und zur Prävention beiträgt. Das ist die Salutogenese. Ihr Verständnis und ihre positive Erwartungshaltung sind dabei ganz wichtig. Es ist immer ein ganz besonderer Moment, wenn Patienten erkennen, dass sie selbst etwas geschafft haben. Ärzte sagen oft „Damit werden Sie jetzt wohl leben müssen.“ Man kann aber immer etwas verbessern – und wenn es nur psychisch ist.
Als Einstieg vermitteln Sie Fachwissen. Was genau möchten Sie Ihren LeserInnen an die Hand geben?
Einsichten fördern die Bereitschaft zur Veränderung, dabei ist es auch sinnvoll, über die jeweiligen Hintergründe, beispielsweise der Neurophysiologie von Ängsten informiert zu sein. In Kombination mit körper- bzw. achtsamkeitsorientierten Verfahren werden dadurch 3 Ebenen der Konfliktbewältigung aktiviert (siehe auch Abbildung im Buch Seite 65). Bei einer herkömmlichen Therapie ist es in der Regel nur eine Ebene!
Sie betonen: „Keine Patentrezepte“ und Sie verordnen keine Methode. Worauf kommt es stattdessen an?
Jeder von uns hat eine unterschiedliche Lebensgeschichte und deshalb unterschiedliche Faktoren, die ihn stärken oder schwächen. Es geht darum, das zu verstehen und einen individuellen Weg zu suchen.
Als Anleitung zum Aktivwerden bieten Sie ein 6-Wochen-Programm. Was spricht für diesen Zeitraum?
Sechs Wochen sind das Minimum, das das Gehirn braucht, um Verhaltensänderungen ohne Anstrengung zu akzeptieren. Sie automatisieren sich mit der Zeit immer mehr und erfordern dann viel weniger Überwindung.
„60 Minuten täglich – das reicht.“
Was macht Ihr Programm alltagstauglich?
60 Minuten täglich – das reicht, um über psychoaktive Ernährung, Bewegung und Entspannung widerstandsfähiger gegen psychische Belastungen zu werden.
Schlüsselbegriffe sind Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge.
Aus guten Gründen: Wer lernt, seinen Körper neu wahrzunehmen, anstatt seine Impulse zu unterdrücken, der hat es viel leichter, etwas Gutes für sich zu tun. Selbstfürsorge gehört in Asien zum ganz normalen Alltag, sie sollte auch bei uns selbstverständlich werden.
Welche Rituale pflegen Sie selbst für psychisches Wohlbefinden und starke Nerven?
Ich meditiere jeden Morgen und laufe täglich eine Stunde durch den Wald. Ich esse vegetarisch, aber manchmal werde ich schwach und gönne mir ein Stück Braten mit Knödeln, Erinnerung an Wohlgefühle aus meiner Kindheit.
Welche Starthilfe würden Sie Ihren LeserInnen mit auf den Weg geben?
Tief Luft holen und anfangen!