Champagnerkorken knallen zu lassen, hätte das „Königspaar der deutschen Bestsellerliste“ (Die Zeit) wirklich allen Grund. Aber das entspricht nicht dem sympathisch geerdeten Naturell von Iny Klocke und Elmar Wohlrath, die unter dem Pseudonym Iny Lorentz zum meistgelesenen Ehe- und Autorenpaar hierzulande wurden. Der größte Luxus – und zugleich die wichtigste (Über)Lebensstrategie – für das produktive Duo ist es, tun zu können, was sie am liebsten tun: Geschichten erfinden und schreiben. Der Publikumsliebling unter all ihren Bestsellern, für die ihr Trophäenschrank langsam zu klein ist? Die Saga um die „Wanderhure“ Marie Adler, die erfolgreichste deutsche Mittelalter-Serie überhaupt. Druckfrisch: „Die junge Wanderhure“, das ersehnte Prequel und zugleich der größte erzählerische Bogen!

Iny Lorentz gibt es nur im Doppelpack: Zwei Persönlichkeiten, die wie aus einem Mund sprechen. Welches Lebensmodell steht dahinter?
Beim Schreiben sprechen wir wirklich wie aus einem Mund. Differenzen gibt es nur selten – und wenn, sind sie winzig. Wir leben für unsere Art des Schreibens und wollen unsere Leserinnen und Leser begeistern. Unsere Geschichten sollen spannend sein, aber auch zum Nachdenken anregen, und denen, die sie lieben, den Lebensmut stärken.

Wann und wie haben Sie eigentlich das Schreiben im Duo für sich entdeckt und was macht es so genial für Sie?
Vor Jahrzehnten haben wir SF- und Fantasy-Kurzgeschichten geschrieben. Schon bei der zweiten Kurzgeschichte kritisierte der damalige Lektor das Ende von Inys Kurzgeschichte mit drastischen Worten. Iny war am Boden zerstört. Da hat Elmar ein neues Ende geschrieben und der Lektor war begeistert. Kurz darauf traf es den Beginn von einer Kurzgeschichte Elmars. Iny schrieb einen neuen Beginn. Der Lektor war vom Ergebnis erneut angetan, und wir begriffen, dass wir mehr Erfolg haben, wenn wir unsere Kräfte bündeln.

„Notwendige Recherchereisen unternehmen wir gemeinsam.“

Welche Arbeitsweise bewährt sich bei der Entstehung Ihrer Bestseller und wie haben Sie die Aufgaben verteilt?
Die Grundideen für die einzelnen Romane entwickeln wir in langen Gesprächen und überlegen, ob – und wenn ja – wie wir sie umsetzen können. So hatten wir das Grundkonzept für „Die Saga von Vinland“ bereits ad acta gelegt, als wir im Nationalmuseum von Island in Reykjavik auf die Informationen stießen, die diesen Roman möglich machten. Die notwendigen Recherchereisen unternehmen wir gemeinsam. Die Recherche in Fachbüchern macht zum größten Teil Elmar. Er schreibt auch den Roman im Rohtext. Anschließend überarbeitet Iny den Roman und schleift ihn solange, bis wir ihn dem Verlag übergeben können.

Ihre Produktivität ist legendär. Wie war denn bei der Arbeit an Ihrem neuen Buch Ihr durchschnittliches Tagespensum in Stunden und Seitenzahlen?
Unsere Produktivität ist angesichts der Tatsache, dass wir zu zweit sind und jeder von uns das macht, was er besten kann, gar nicht so spektakulär. Wir kennen Autorinnen und Kolleginnen, die allein die gleiche schöpferische Leistung erreichen wie wir. Elmar hat sich für die Rohschrift zehn bis elf Norm-Seiten pro Tag vorgenommen, mehr nicht. Iny überarbeitet die fertigen Rohschriften und braucht dafür etwa genauso lange wie Elmar. Was die Stundenanzahl pro Arbeitstag betrifft, so kommen zur reinen Schreibarbeit ja noch die ganzen Nebengeräusche wie Recherche, Lektorate, Druckfahnen etc. hinzu. Dadurch kann unser Arbeitstag von 8:30 Uhr inklusive der Pausen für Mittag- und Abendessen bis 19 Uhr, gelegentlich auch 20 Uhr gehen.

Ihre Romanreihe „Die Wanderhure“ ist seit dem Start 2004 ein sagenhafter Erfolg. Wie hat sich Ihr Leben und Schreiben dadurch verändert?
Unsere Art zu schreiben hat sich eigentlich gar nicht verändert. Der einzige Unterschied ist, dass wir zu Beginn unserer Karriere noch in Vollzeit berufstätig und dadurch um etwa ein Drittel weniger produktiv waren als jetzt. Auch unser Leben ist nicht viel anders als früher. Der bedeutendste Unterschied ist, dass wir bei der Planung von Recherchereisen ein etwas größeres Budget aufwenden können. Das ist allerdings auch notwendig, da wir mittlerweile nicht mehr den ganzen Tag von einer Stelle zur anderen hetzen können. Wir brauchen vor Ort mehr Zeit und können uns das jetzt auch leisten.

„… ein Spiegelbild der damaligen Zeit.“

Seit inzwischen neun Romanen schreiben Sie Ihre Saga nun schon fort. Was macht es für Sie immer wieder aufs Neue spannend, in das Mittelalter und die Erfahrungswelt Ihrer Titelheldin Marie einzutauchen?
Es war der Wunsch des Verlags, dass wir „Die junge Wanderhure“ schreiben. Hier konnten wir auf die Original-Wanderhure als Leitfaden und auf neues Recherchematerial zurückgreifen. Anders als bei den übrigen Bänden der Wanderhuren-Reihe waren unserer schöpferischen Freiheit doch recht enge Grenzen gesetzt. Dort konnten wir Marie stets in ein neues Abenteuer folgen. Aber wie bei den anderen Romanen war es uns auch bei „Die junge Wanderhure“ wichtig, den Leserinnen und Lesern ein Spiegelbild der damaligen Zeit und der örtlichen Gegebenheiten aufzuzeigen.

Wie hat sich in dieser langen Zeit Ihr Verhältnis zu Ihrer Titelheldin entwickelt?
Marie ist für uns wirklich so etwas wie eine Freundin geworden. Wir kennen fast ihr gesamtes Leben, wissen um ihre Stärken und um ihre kleinen Schwächen und begleiten sie auf ihren Abenteuern. Als Familienmitglied sieht sie uns wahrscheinlich nicht an. Dafür haben wir ihr doch zu viel angetan. Allerdings freut sie sie sich, weil sie gegen Ende jedes Romans wieder auf die Beine kommt.

„Die Rahmengeschichte mit der alten Marie war wichtig.“

Der aktuelle neunte Band ist nun in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit. Welcher Kernidee sind Sie gefolgt?
Dass wir diese Phase in Maries Leben erzählen sollen, war eine Anregung vom Verlag. Elmar verglich diese Aufgabe mit der, eine Kokosnuss mit blanken Zähnen zu knacken. Eines war uns von Anfang bewusst. Wir können keine 500 Seiten mit „Poppen im Zelt“ füllen. Wir brauchten eine Geschichte, die Hand und Fuß hat. Daher entwickelten wir nicht nur eine Kernidee, sondern insgesamt drei. Die Rahmengeschichte mit der alten Marie war wichtig, um den Roman als Band neun in die Reihe einordnen zu können. Dazu kam der zweite Strang um Linetta, und was vor allem wichtig war: Wir mussten die Entwicklung Maries vom verhätschelten Bürgerstöchterlein zu einer in sich gefestigten jungen Frau zeigen, die in der Lage ist, sich vor Fürsten und Königen zu behaupten.

Wo, wann, in welchem Alter und Status ist die ehemalige Wanderhure am Anfang des neuen Bandes?
In diesem Band ist Marie 73 Jahre alt und als Mutter des Reichsritters Falko Adler auf Kibitzstein eine immer noch einflussreiche Frau im Umland.

„Die junge Wanderhure“ ist ein außergewöhnliches Prequel. Was prägt die Erzählperspektive Ihrer Titelheldin Marie?
Marie ist eine alte Frau. Das prägt natürlich ihre Erzählperspektive. So muss sie darauf achten, sich nicht in Nebensächlichkeiten zu verlieren oder wichtige Stellen ihres Lebens zu unterschlagen. Ihre Vorgeschichte und wie es nach den drei Jahren, die in „Die junge Wanderhure“ den Kernteil bilden, weitergeht, erzählt sie so, wie sie diese empfindet. Ihre Zeit als Wanderhure hingegen berichtet sie wie eine Geschichte, die sie von anderen erfahren hat, um ihre eigenen Gefühle beherrschen zu können.

Warum beginnt Ihr neuer Roman ausgerechnet mit Maries Heimsuchung durch die furchtbarsten Alpträume?
Wir wollten einen starken Einstieg, der aber so unwahrscheinlich erscheinen sollte, dass er nicht real sein konnte. Unsere Leserinnen und Leser sollen neugierig auf das werden, was mit Marie tatsächlich passiert und ihr auf ihrem Weg folgen.

Beistand bekommt die gepeinigte Marie von Alika. Was macht diese Vertraute so bedeutsam und was schweißt die beiden Frauen zusammen?
Marie und Alika treffen in Band drei „Das Vermächtnis der Wanderhure“ zusammen. Beide werden als Sklavinnen nach Russland verschleppt. Dabei rettet Alika der schwerkranken Marie das Leben. Alika steht daher für Marie auf der gleichen Stufe wie die einstige Wanderhure Hiltrud, die ihr ebenfalls das Leben gerettet hat. Beide wurden ihre engsten Freundinnen.

„Alika kennt Marie besser als jede andere.“

Alika wirkt – auch wenn es diesen Beruf im 15. Jahrhundert noch nicht gab – wie die geborene Psychologin. Inwiefern kommt ihr eine Schlüsselrolle zu und womit spricht sie Ihnen aus dem Herzen?
Alika kennt Marie besser als jede andere und weiß auch mehr über deren Schicksal. Daher begreift sie, dass Marie von ihren „Dämonen der Vergangenheit“ gequält wird und schlägt ihr vor, sich das, was sie bedrückt, von der Seele zu reden. Für uns steht sie für Verständnis, Mitgefühl und Klugheit.

Was ist für Sie das Spannende und Aufschlussreiche daran, einen großen Lebensbogen zu spannen und Marie ihr Schicksal neu erzählen zu lassen?
Es war eine Herausforderung im Schreiben und Elmar geht selten einer Herausforderung aus dem Weg. Spannend war für uns, ob es uns gelingen würde, noch einmal in die Haut der jungen Marie zu schlüpfen und einen Roman zu schreiben, der sich nahtlos in die Gesamtgeschichte einfügt und gleichzeitig ebenso spannend und fesselnd ist wie unsere anderen Romane.

Was steht für Sie bei Maries Lebensrückblick und beim Ringen mit den Dämonen im Mittelpunkt?
Elmar hat einmal miterlebt, wie ein alter Mann von seinen „Dämonen der Vergangenheit“ gequält wurde. Es war keine angenehme Erfahrung. Bei Marie stand für uns im Vordergrund, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen muss, um die schlimmen Erinnerungen zu überwinden.

„Im Endeffekt ist es der Wunsch nach Vergeltung.“

Im Schicksalsjahr 1410 fasst Marie schweren Herzens den Entschluss, sich als „Wanderhure“ über Wasser zu halten. Wie ordnen Sie das ein zwischen Verzweiflung und Selbstbestimmung?
Die Verzweiflung Maries ist sicher groß, ihre Selbstbestimmung jedoch eingeschränkt. Ihr bleibt nur die Wahl zwischen Selbstmord, was ihrem Glauben zufolge die Höllenstrafe nach sich zieht, und einem Leben als Wanderhure. Die Hölle hätte bedeutet, dass sie ihre Peiniger vor Gott nicht mehr hätte anklagen können. Damit aber hätte Ruppertus endgültig über sie gesiegt. Im Endeffekt ist es der Wunsch nach Vergeltung, der Marie dieses Schicksal wählen lässt.

Die ahnungslose 17-jährige Marie wird als Schützling erfahrener Kolleginnen ins Gewerbe eingeführt. Aus welchen Quellen haben Sie Ihre genauen Kenntnisse geschöpft und worauf kommt es Ihnen bei Ihren Schilderungen aus dem Prostituiertenalltag mit hautnahen Einblicken an?
Bei der ‚„Wanderhure“ waren es einzelne Kapitel in verschiedenen Sachbüchern über das Mittelalter. Es war ein mühsames Sammeln von Daten, aber wir brauchten sie. Bei „Die junge Wanderhure“ mussten wir tiefer ins Detail gehen. Daher suchte Iny im Internet nach weiterer Literatur über „gefällige Mägde“, „Huren“, und „Frauenhäuser“, aber auch über Gaukler und Vaganten. Elmar durfte ein gutes halbes Dutzend Bücher durchackern und den Extrakt dann im Rohtext der „jungen Wanderhure“ umsetzen.

Marie kommt als Wanderhure und in ihrem späteren Leben weit herum. Wie haben Sie die Schicksalswege und -orte Ihrer Heldin ausgewählt?
Maries Heimatstadt Konstanz war von vorneherein klar, da der Roman durch das dortige Konzil angestoßen worden ist. Den Wegen, die sie gehen musste, sind wir auf mehreren Reisen gefolgt. Bei der „Wanderhure“ waren es Touren nördlich das Bodensees, im Schwarzwald und in Straßburg. Bei der „jungen Wanderhure“ kamen noch die Gegenden um Ulm und Eichstätt hinzu. Das Münchner Umland kennen wir, weil wir hier leben.

„In Konstanz … haben wir die Stelle mit dem Aufstand der Huren entdeckt.“

Wie Ihre Heldin sind auch Sie selbst bei Ihren Recherchen viel unterwegs. Wo haben Sie die interessantesten Entdeckungen gemacht?
Interessant war natürlich die Recherche in Konstanz. Hier auf engstem Raum Marias Wege nachzuvollziehen, war sehr inspirierend. Der schönste Augenblick in Konstanz war aber, als wir in einem Buchladen die Chronik von Konstanz kaufen konnten und Elmar noch auf dieser Reise die Stelle mit dem Aufstand der Huren entdeckte. Viele Leser glauben, wir hätten diesen erfunden. Dabei steht er so, wie wir ihn geschrieben haben, in der Konstanzer Chronik. Wir haben ihn nur um die Szenen mit Marie erweitert.

In welcher Situation haben Sie am meisten mit Marie gelitten und was war der glücklichste Moment?
Am meisten haben wir mit Marie in Band eins „Die Wanderhure“ und Band drei „Das Vermächtnis der Wanderhure“ gelitten. Da haben wir schon überlegt, ob wir den Hebel nicht etwas zurückziehen sollten. Elmar war jedoch der Meinung, dass wir die Härte in diesen Romanen zeigen oder sie besser gar nicht schreiben sollten. Eine weich gespülte Wanderhure wäre im Meer der übrigen historischen Romane untergegangen. Bei „Die junge Wanderhure“ war uns Maries Geschichte bereits bekannt. Hier galt unser Mitleid mehr Linetta, auch wenn Marie die eine oder andere üble Begegnung erdulden muss.

Was sind die drei wichtigsten Eigenschaften der jungen Marie und welche Stärken entwickelt sie?
Marie wurde als Tochter eines wohlhabenden Bürgers erzogen. Als solche sollte sie einen größeren Haushalt führen und einen späteren Ehemann bei seinen Geschäften unterstützen können. Ein Teil dieser Stärke zeigt sie recht bald bei Einkäufen, bei denen sie ihre Freundin Hiltrud verblüfft. Andererseits wurde ihr eine gewisse Prüderie beigebracht, aber auch ein fester Glaube. Ihre Abscheu vor dem Geschlechtsverkehr hätte sie zum Selbstmord treiben können. Das aber wurde von ihrem Glauben verhindert, da Selbstmörder nach damaliger Anschauung unweigerlich in die Hölle kamen. Aus diesem Zwiespalt heraus entwickelt sie eine gewisse Härte und eine Verachtung für die Männer, die nicht Gottes Gebot befolgen, sondern Huren aufsuchen.

„Eigentlich ist jeder unserer Romane die Geschichte einer Emanzipation.“

Sehen Sie Ihre Wanderhuren-Saga als Geschichte einer Emanzipation?
Eigentlich ist jeder unserer Romane die Geschichte einer Emanzipation. Dabei gehen wir oft genug bis an die Grenzen des damals noch gerade Möglichen. Bei Marie geht ihre Entwicklung so weit, dass sie nach dem Tod ihres Mannes das von Kaiser Sigismund erhaltene Lehen Kibitzstein mit fester Hand führen und gegen die Begehrlichkeiten der Nachbarschaft bewahren kann, damit ihr Sohn es später ungeschmälert übernehmen kann.

Worin kann uns Marie mit ihrer Selbstbehauptung heute Ermutigung und Vorbild sein?
Die Essenz von Maries Schicksal ist, niemals aufzugeben. Gleichgültig, wie schlimm das Leben auch sein mag. Man muss sich ihm stellen und es bewältigen.