So unberechenbar die Weltlage von morgen auch ist – eines steht so gut wie fest: Wenn Fiktion Realität wird, macht Marc Elsberg Mega-Bestseller daraus. Der Meister des Science-Thrillers hat es als Erster gleich zweimal zur Auszeichnung „Wissensbuch des Jahres“ im Bereich Unterhaltung gebracht: 2012 mit „Blackout“, 2014 mit „Zero“. In seinem neuen Thriller „°C – Celsius“ geht es um nicht weniger als das Schicksal der Welt: Künftig herrscht, wer es schafft, das Klima unter Kontrolle zu bringen – oder zu manipulieren.

In Ihren Thrillern packen Sie ein heißes Eisen nach dem anderen an. Was ist Ihr Antrieb oder Ihre Mission?
Ich möchte spannende Thriller schreiben, die einen im besten Fall auch nach der Lektüre noch beschäftigen.

Ist es Ihnen nicht langsam unheimlich, wie oft die Realität Ihre Fiktionen einholt?
Unheimlicher fände ich, wenn ich weit daneben läge. Am beunruhigendsten finde ich, dass meine positiven Fiktionen – die wohlstandmehrenden Konzepte aus „Gier“ oder die Verhaftung eines Ex-Präsidenten im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs wie im „Fall des Präsidenten“ – noch nicht von der Realität eingeholt wurden.

Wie realistisch ist das monströse Szenario, das Sie in Ihrem neuen Buch „°C – Celsius“ entwerfen?
Ich versuche fast immer Szenarien zu entwerfen, die bereits heute umsetzbar sind. Das habe ich auch in „°C – Celsius“ getan.

Was ist für Sie das wichtigste Thema in „°C – Celsius“?
Natürlich das Klima – und wie man das Thema komplett auf den Kopf stellt. Eigentlich will ja niemand mehr etwas über das Thema hören, aber ich habe da einige Überraschungen bereit.

Was war das interessanteste Neuland für Sie?
Das Thema Geo-Engineering – dazu erscheinen auch laufend neue Veröffentlichungen und wissenschaftliche Papiere.

In Ihrem Roman spitzen sich die Ereignisse zu durch Chinas Pläne mit Geo-Engineering. Was hat es damit auf sich?
Die Definitionen gehen auseinander, aber als eine der wesentlichen Instanzen bezeichnet etwa der Weltklimarat in seinem fünften Sachstandsbericht von 2013 Geo-Engineering als „eine breite Gruppe von Methoden und Technologien, die darauf zielen, vorsätzlich das Klimasystem zu ändern, um die Folgen des Klimawandels abzumildern.“ Wobei niemand ahnt, dass Chinas Initiative der Beginn einer viel dramatischeren Entwicklung ist.

Das Bundesumweltamt stellt in einer Infoschrift die Frage: „Geo-Engineering: wirksamer Klimaschutz oder Größenwahn?“ Wie lautet Ihre persönliche Antwort?
In „°C – Celsius“ gibt es diese Diskussionen natürlich auch. Ich persönlich denke, dass wir noch zu wenig wissen, bevor wir solche Pro- und Contra-Diskussionen führen können. Zuerst bräuchten wir ausgedehnte theoretische und praktische Forschung.

„Ein Thriller muss spektakulär starten!“

Die Auftaktszene würde einem James-Bond-Film alle Ehre machen. Was veranlasste Sie ausgerechnet zum Paukenschlag mit monströsen Flugobjekten?
Ein Thriller muss spektakulär starten. Und dann noch spektakulärer werden. Die Flugobjekte ergaben sich aus der Thematik.

Warum sollte man China generell auf keinen Fall unterschätzen?
Weil es eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt ist und einen antidemokratischen, anti-freiheitlichen Wertekanon vertritt, der dem des Westens diametral entgegensteht. Weil Diktaturen langfristig immer scheitern, davor aber gern brutal um sich schlagen, um von ihrem inneren Verfall abzulenken – wie wir gerade am Beispiel Russland sehen.

Chinas apokalyptisch anmutende Flugmanöver zeigen sofort Wirkung. Was interessiert Sie an den weltweiten Reaktionen?
Die Vielfalt der Meinungen und die Dramatik, die dadurch entsteht: Einige Staaten sind dagegen, in den meisten davon gibt es aber auch Stimmen dafür, andere Länder unterstützen Chinas Initiative. Sei es aus echter Sorge um das Klima oder aus politischen Gründen, wieder andere warten ab. Das eröffnet eine Vielzahl verschiedener Konflikte – was für einen Thriller natürlich beste Voraussetzungen sind!

Sie wechseln nicht nur die Schauplätze, sondern auch die Perspektiven. Worauf legen Sie dabei Wert?
Eben darauf, verschiedene Perspektiven auf ein Thema zu eröffnen. Unterschiedliche Menschen haben verschiedene Blickwinkel auf dieselbe Sache. Die will ich zeigen. Und die Konflikte, die dadurch entstehen.

Wie haben Sie Ihre Hauptakteure ausgewählt?
Danach, wie sie die spannendsten Konflikte sichtbar machen und die Handlung bestmöglich vorantreiben.

Was macht die USA – genauer gesagt: das Weiße Haus und den Krisenstab von Präsident Gil Howard – für Sie zum besonders spannenden Fall?
Als Regierung bzw. Präsident der nach wie vor wichtigsten globalen Supermacht spielen sie in globalen Szenarien zwangsläufig eine wichtige Rolle – dort laufen alle Konflikte zusammen.

„Der dritte Pol – Asiens wichtigster Wasserspeicher.“

Als weiteren Hotspot haben Sie den Himalaya gewählt. Was macht ihn – ob geopolitisch oder ökologisch – zum Schlüsselort?
Der Himalaya wird manchmal auch als der „dritte Pol“ bezeichnet, und er ist Asiens wichtigster Wasserspeicher. Beim Thema Klima macht ihn das entsprechend wichtig. Zudem hat mich diese Landschaft immer fasziniert – ich konnte die Region schon von der indischen und der chinesischen Seite bereisen.

Ganz unterschiedliche Charaktere werden ins Geschehen hineingezogen, z.B. der ehemalige US-Starreporter Pat Welzer. Was sehen Sie in ihm?
Ich habe durchaus eine Schwäche für klassische Genrecharakter – ein solcher ist Pat: das desillusionierte Raubein mit weichem Kern. Seine Lebensgeister werden am Himalaya wiedererweckt durch die Spannung zwischen einzigartiger Natur einerseits und dem ungeheuerlichen Vorhaben der chinesischen Regierung andererseits.

Den Mount Everest machen Sie zum Schauplatz für perfektes Klima-Infotainment – als Augmented Reality-Inszenierung. Was inspirierte Sie dazu?
Augmented Reality bietet sich für solche Formate an – sie erlaubt eine weitaus bildhaftere und involvierendere Dramatisierung, als es eine klassische Präsentation oder pure Worte könnten.

Eine Protestveranstaltung bahnt sich auch in Berlin am Kanzleramt an – initiiert und angeführt von Sienna, einer Klimaaktivistin mit Millionen FollowerInnen. Hat sie Vorbilder im wirklichen Leben? Kann sie wirklich etwas bewegen?
Sie hat keine Vorbilder im wirklichen Leben, aber natürlich gibt es zwangsläufig Parallelen zu realen Aktivistinnen. Ob sie etwas bewegen kann, erfährt man, wenn man das Buch liest.

Was finden Sie an Initiativen wie der Berliner Klimaaktion von Sienna, Martin, Khalil & Co. am sympathischsten? Den Gemeinschaftsgeist und die Spontanität?
Weder noch – am sympathischsten finde ich, dass sie überhaupt etwas versuchen. Und mit der Zeit auch begreifen, welche Aktionsformen sinnvoll sind und welche kontraproduktiv.

Würden Sie selbst mitmachen bei so einer gruppendynamischen Klima-Aktion?
Bei Gruppendynamik werde ich immer ganz schnell sehr skeptisch. Also wahrscheinlich eher erst mal nicht. Hinge wohl aber letztlich von der Aktion ab.

„Fay kennt die Auswirkungen der Klimakrise aus verschiedenen Perspektiven.“

Völlig unverhofft ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerät die UNO-Klimaexpertin Dr. Fayola Oyetunde-Rabelt. Wer ist sie und was zeichnet sie aus?
Fay ist auch eine klassische Genrefigur: Thriller mit wissenschaftlichem Hintergrund brauchen einen Charakter, der zur Sache etwas weiß und zu sagen hat. Bei Fay wird es umso spannender, da sie in Nigeria geboren wurde und aufwuchs, später aber in die USA zog und nun in Deutschland lebt. Dadurch kennt sie die Auswirkungen der Klimakrise aus verschiedenen Perspektiven. Und steht womöglich vor einem noch größeren Konflikt als viele andere Figuren im Roman.

Mit der Stimme einer ausgewiesenen Expertin wie Dr. Fayola Oyetunde-Rabelt zu sprechen, verlangt einem als Autor einiges ab. Wie kamen Sie zu Ihrem Wissen?
Das Thema beschäftigt mich schon lang, mit der Materialsammlung habe ich schon vor über zehn Jahren begonnen. In den vergangenen Jahren wurde wohl über kein anderes Thema so viel veröffentlicht wie über das Klima. Ich konnte also aus dem Vollen schöpfen: Es beginnt mit Publikationen bekannter Institutionen wie etwa dem Weltklimarat IPCC oder dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, hinzu kommen zahllose Artikel in verschiedenen Medien, etwa „Losing Earth“ im „New York Times Magazine“ und wissenschaftliche Papiere.

Nicht zuletzt bringen Sie den Glauben ins Wanken, dass alles unter Kontrolle zu bekommen ist. Was wollten Sie bewusst machen?
Die klassische Zauberlehrling-Erzählung, dass also der Mensch nicht Gott spielen soll und technologische Eingriffe in die Natur zwangsläufig in die Katastrophe führen, halte ich für ebenso langweilig wie falsch. Ich bin im Gegenteil ein großer Freund des technischen Fortschritts und seiner Vorteile, freue mich etwa sehr über Medikamente, Impfungen, Betäubungsmittel bei Operationen, Herzschrittmacher, Telefone, Heizungen, Waschmaschine, moderne Wasserversorgung und all die anderen tollen Dinge, die unser Leben in vielerlei Hinsicht angenehmer machen. Wir müssen dabei bloß immer überlegen, wie wir diese Mittel zum Nutzen aller und nachhaltig einsetzen können.

Welchen Stellenwert hat in „°C – Celsius“ die alte Weisheit „Geld regiert die Welt“?
In der Ankündigung für das Buch heißt es ja: „Wer das Klima beherrscht, regiert die Welt.“

Welches Phänomen birgt Ihrer Meinung nach die größte Gefahr einer Eskalation?
Da gibt es viele. Etwa Nahrungsmittelknappheiten und Unbewohnbarkeiten in verschiedenen Regionen, in deren Folge es zu Kämpfen um Ressourcen und großen Wanderungsbewegungen kommt.

„Dutopie? Ustopie?“

Wo ordnen Sie „°C – Celsius“ ein zwischen Dystopie und Utopie? Oder hat es für Sie Züge von beidem?
Das kommt wohl ganz auf die Perspektive an. Vielleicht schafft „°C – Celsius“ auch ein neues Genre: Dutopie? Ustopie?

Wenn Sie – wie einst Alfred Hitchcock in seinen Filmen – einen Auftritt in „°C – Celsius“ hätten, welches Setting und welche Rolle würden Sie wählen?
In einer der Schlussszenen – ohne zu spoilern kann ich daher nicht genauer werden.

Welche Ihrer Romanfiguren ist Ihnen und Ihrer Sicht am nächsten und spricht Ihnen am meisten aus dem Herzen?
Da gibt es mehrere: die Klimaforscherin Fay mit ihrer rationalen Besonnenheit, die Klimaaktivistin Sienna mit ihrer sisyphosartigen Beharrlichkeit, der Unternehmer Manu mit seinen verrückten Ideen.

Wie hat die Arbeit an „°C – Celsius“ Ihre Überzeugungen zum Klimaschutz und Ihr Verhalten im Alltag beeinflusst?
Sie hat mir die Dringlichkeit des Themas noch deutlicher gemacht.