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Ein Herzensprojekt! Rund 20 Jahre ist dieses Opus von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung gereift – „ein Backstein“, wie Michaela Beck ihren Roman liebevoll nennt. Nahezu 850 gehaltvoll-bewegende Seiten umfasst „Das Licht zwischen den Schatten“. Eine deutsche Familiengeschichte von 1919 bis 1989: drei Menschen aus drei Generationen, auseinandergerissen und doch tief verbunden. Der Schauplatz: Berlin, Heimatstadt der Autorin und Schicksalsort für die ProtagonistInnen.
Offenbar sind Sie Berlinerin mit Leib und Seele. Aus Ihrer Geburtsstadt sind Sie zwar für Ihr Architekturstudium vorübergehend nach Weimar gezogen, aber nach dem Diplom zurückgekehrt. Was macht Ihre starke Verbundenheit mit Berlin aus und was sind Ihre Lieblingsviertel?
Tja, wie erklärt man Heimat? Ich glaube, es ist der Geruch dieser Stadt, den ich aus den 1970er-Jahren erinnere und die schnoddrige Herzlichkeit, die Nichtberliner nicht verstehen, warum ich diese Stadt so mag. Mein Lieblingsbezirk ist immer noch der „Prenzelberg“, denn ich bin wie Konrad in der Schönhauser Allee und im Viertel zwischen ihr und der Prenzlauer Allee aufgewachsen.
Nun haben Sie Ihre Heimatstadt auch zum Hauptschauplatz Ihres Romans gemacht. Was prädestiniert Berlin als geschichtliches Zentrum und wie haben Sie Ihre historischen Akzente gesetzt?
Von Deutschland, Berlin, gingen zwei Weltkriege aus, Ostberlin war die Hauptstadt der DDR, hier stand die Mauer mitten in der Stadt und in Westberlin gründete sich die RAF. Ich konnte natürlich nicht alle politischen Ereignisse aufnehmen und deshalb musste ich auswählen, was für meinen Erzählbogen, für meine Prämisse, brauchbar war.
Wie erging es Ihnen beim Schreiben in vertrautem Terrain?
Es war erleichternd, sich einfach mal in die Öffis zu setzen und Beschriebenes vor Ort zu überprüfen. So war ich unter anderem in der Heilig-Kreuz-Kirche in der Zossener Straße oder in der Heilanstalt in Biesdorf, die heute eine Schule ist.
„… die durch die wechselnden politischen Verhältnisse in Deutschland einander entfremdet werden.“
Was war für Sie ausschlaggebend, den geschichtlichen Bogen von 1919 bis 1989 zu spannen?
Meine Prämisse war, von drei Generationen zu erzählen, die durch die wechselnden politischen Verhältnisse in Deutschland einander so entfremdet werden, dass sie sich nicht mal erkennen, wenn sie sich gegenüberstehen. Danach habe ich die Ereignisse ausgewählt, um das glaubhaft erzählen zu können.
Was ließ Ihnen „Eine deutsche Familiengeschichte“ literarisch vielversprechend erscheinen?
Eigentlich nur die oben bereits erwähnte Prämisse und dann auch, die deutsche Geschichte in einer einzigen Familie glaubhaft zu erzählen, in der es Kommunisten, Nazis, Arbeiter, Bourgeoise, Pfarrer, Juden, RAF, Stasi und Leistungssportler gibt.
Sie erzählen nicht einfach chronologisch, sondern auf außergewöhnliche Weise. Wie würden Sie Ihr Konzept oder Ihren literarischen Bauplan auf den Punkt bringen?
Ähm, das kann ich nicht auf einen Punkt bringen 😊. Da stecken verschiedene Absichten drin: Erstens wollte ich eine gewisse Vergleichbarkeit der Biografien zu unterschiedlichen Zeiten in ein und derselben Stadt, also in Berlin. Zweitens habe ich dadurch Fragen und Rätsel der Figuren nicht in ihren Kapiteln auflösen müssen, wie etwa Andrés Traum von der Wüste, der in einem Brigitte-Kapitel seine Auflösung findet, dort aber gar keine große Rolle für sie spielt. Und drittens erzeugt es hoffentlich einen guten Spannungsbogen, wenn die LeserInnen durch den Blick in die Zukunft, also in einem Kapitel von André, schon mehr wissen als Konrad, es aber noch nicht so recht einordnen können und also „angefixt“ sind. Es macht die LeserInnen zu KomplizInnen, hoffe ich.
Inwiefern war Ihnen Horizonterweiterung oder Perspektivenwechsel wichtig?
Der ständige Perspektivenwechsel von Kapitel zu Kapitel gab mir die Chance, jedes Mal auch den Ton bzw. Duktus zu wechseln und darauf habe ich mich tatsächlich jedes Mal gefreut, denn ich musste ja immer aus dem jeweiligen Charakter heraus schreiben, der nur zu einem geringen Teil meinem Charakter entspricht. In gewisser Weise musste ich mich also verstellen.
Sie blenden sich in die Lebensgeschichten Ihrer Hauptfiguren ein, als alle drei elf Jahre alt sind: Konrad 1919, Brigitte 1950 und André 1976. Warum ausgerechnet in diesem Alter?
Für mich ist es das Alter, in dem ich erste erwachsene Gedanken hatte und das deshalb für mich sehr prägend war.
„Ich kam wie André als Kunstspringerin auf die Kinder- und Jugendsportschule.“
Sie selbst dürften um 1970 elf Jahre alt gewesen sein. Was hat Sie damals am stärksten beschäftigt und Ihre Prenzlauer-Berg-Welt bewegt?
Ich kam wie André als Kunstspringerin auf die KJS, die Kinder- und Jugendsportschule, und war montags bis freitags von 7 Uhr früh bis 19 Uhr außer Haus beim Training, zwischendurch in der Schule und wieder beim Training. Ich sorgte mich hauptsächlich, die Trainingsziele zu schaffen, also darum, wie ich meine Sprungkraft verbessern und bei Wettkämpfen besser abschneiden konnte, denn ich war nicht das große Talent wie André.
Was war Ihnen bei der Erschaffung und Entwicklung Ihrer Hauptfiguren am wichtigsten und inwiefern haben Sie sie Vorbildern aus dem wirklichen Leben nachempfunden oder ihnen eigene Wesenszüge mitgegeben?
Ich wollte drei unterschiedliche Charaktere, die die deutsche Geschichte, so wie sie bisher verlaufen ist, in dieser Familienkonstellation möglich machte. Deshalb sollte Konrad eher wankel- und gutmütig sein, Brigitte eher spontan und rebellisch und André unsicher und introvertiert. Das alles bin auch ich zu geringen Teilen (und noch viel mehr) und deshalb kann ich mich in alle drei gut hineinversetzen.
„Was gibt es zu erzählen, wenn überall das Glück lauert?“
Wechselvolle Ereignisse wirbeln das Leben von Konrad, Brigitte und André durcheinander. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen und Zerreißproben?
Eigentlich in allen Ereignissen, die ich jeweils meinen Charakteren zugemutet habe. Wenn die sie nicht herausgefordert hätten, hätte ich sie nicht erzählt, denn was gibt es zu erzählen, wenn alles gut geht und überall das Glück lauert? 😊
Welche Fragen haben Sie beim Schreiben am meisten beschäftigt oder vielleicht sogar umgetrieben?
Konrad ist kein so einfacher Charakter. Er lebt nur für sein privates Glück mit Selma und macht sich später durch sein Nichthandeln schuldig. Trotzdem ist er einer meiner Protagonisten, mit dem die LeserInnen mitgehen und ihn verstehen sollen, der also auch meine Liebe und Sorgfalt verdient. Aber das genau war beim Schreiben eben ziemlich knifflig, ihn nicht wie eine Entschuldigung für die Gräueltaten der Deutschen im Zweiten Weltkrieg aussehen zu lassen.
André absolviert bei seinem Adoptivvater ein gnadenloses Sporttraining im Kunstspringen und hängt dabei kopfüber – fast so ohnmächtig wie ein Fisch an der Angel. Welchen Symbolgehalt hat diese Szene für die Situation von André und generell in bestimmten Machtkonstellationen?
Nun ja, er spürt geradezu bildlich, seinem Vater ohnmächtig ausgeliefert zu sein.
„Brigitte ist ein Stehaufmännchen.“
Unter Ihren drei Romanfiguren wirkt Brigitte am entschlossensten beim Ringen um Freiheit und Emanzipation. Was ist das Tragische und was das Ermutigende an ihrer Geschichte?
Sie ist ein Stehaufmännchen, doch für sie ist ein Kompromiss immer auch mit Selbstaufgabe verbunden.
Anpassung oder Auflehnung, Spielball sein oder Handlungsspielraum gewinnen? Leben oder gelebt werden? Welche Stichworte würden Sie wählen, um das Spannungsfeld in Ihrem Roman abzustecken?
Das finde ich von Ihnen sehr gut getroffen und ich denke, es ist tatsächlich das alles gleichzeitig.
Ihr Romantitel „Das Licht zwischen den Schatten“ weckt spontan die unterschiedlichsten Assoziationen: von Licht ins Dunkel bringen bis Hoffnungsschimmer. Wie verstehen Sie ihn?
😊 Genauso!
Beim Erzählstoff können Sie aus dem Vollen schöpfen – durch Ihre umfangreichen Recherchen. Welche Bandbreite haben sie abgedeckt und was waren die aufschlussreichsten Quellen?
Die Recherchen haben sehr viel Zeit beansprucht. Ich hatte zwar eine Konzeption, in der der Handlungsstrang für jedes Kapitel beschrieben war, aber wie ich den erzählerischen Bogen fasse, wusste ich jeweils noch nicht. Erst die Recherche brachte das Setting für die einzelnen Kapitel und dabei half mir zuallererst Wikipedia, deren treue Nutzerin und Unterstützerin ich seit Jahren bin. Von dort über viele weitere Links zu Artikeln, Büchern, Zeitzeugenberichten, zum Beispiel auf LEMO. Zur RAF habe ich ca. einen viertel Meter Bücher quer und manche genau und andere nochmal gelesen und auch Filme geschaut.
„… war nicht nur demütigend, sondern tat auch richtig weh.“
Sie sind 1959 geboren und haben somit 30 Jahre der erzählten Zeit selbst miterlebt. Wie sind denn Ihre eigenen Erfahrungen und Erlebnisse eingeflossen? Welche konkreten Erlebnisse haben Sie literarisch verarbeitet?
Meine Erfahrungen als Kunstspringerin sind natürlich bei André eingeflossen. Das Zappeln an der Angel war nicht nur demütigend, sondern tat auch richtig weh. Und die beschriebene Mangelwirtschaft der DDR. Mein Onkel musste wie Johann nach dem 17. Juni 1953 in den Westen fliehen und Bertha Sollmann ähnelt sehr meiner Oma, die auch Bertha hieß. Kleinere Witze um Brigittes Busen habe ich von meiner Mutter, die auch so heißt, allerdings nicht gemeint ist. Ich dachte eher an Brigitte Mohnhaupt.
Das Finale spielt in einer spektakulären Kulisse mit Gänsehautatmosphäre. Welche zeitgeschichtliche Bedeutung hat dieses Szenario für Sie und was macht es zum idealen Schlussakkord?
Es ist der Moment, in dem alle Anwesenden mit großer Hoffnung in die Zukunft schauen und es ist das unwiderrufliche Ende eines sehr traurigen Abschnittes der deutschen Geschichte, nämlich der Teilung.
Empfinden Sie das Ende Ihres Romans als Happy End? Oder welche Bezeichnung erscheint Ihnen angemessen?
Ach doch, schon. Alle finden zueinander, erkennen sich endlich. Mehr wollte ich nicht. 😊