Weltbekannt wurde Deutschlands berühmtester Förster Peter Wohlleben durch seinen Bestseller „Das geheime Leben der Bäume“. Sein Klassiker ist typisch für sein Talent, durch faszinierende Entdeckungen ein neues Bewusstsein zu wecken. Eine Stärke, die auch sein neues Buch „Unser wildes Erbe“ auszeichnet: Mit frischem Blick auf die Evolution spürt Wohlleben der wahren Natur von uns Menschen nach. Er zeigt, wie wir diese „Natur“ besser verstehen und wie sie zum Schlüssel für eine lebenswerte Zukunft werden kann.

Sie werden respektvoll als „Waldpapst“, „Rebell des Waldes“ oder „Baumflüsterer“ bezeichnet. Wie sehen Sie sich selbst?
Ich sehe mich eher als Waldhüter, als Ent (wie in „Herr der Ringe“), der sich um die Herde der Bäume kümmert.

Sie haben Ihren Aktionsradius beträchtlich erweitert. Was sind Ihre wichtigsten Projekte?
Neben den Büchern (bei denen ich so viele Menschen auf schriftliche Waldführungen mitnehmen kann) ist dies die Initiierung eines neuen Studiengangs „sozialökologisches Waldmanagement“. Unsere Wälder werden schlecht bewirtschaftet; das liegt auch an den aktuellen Studiengängen. Und der neue Studiengang startet wahrscheinlich schon im nächsten Jahr!

„Alte Bäume kühlen die Landschaft um 10 °C herunter.“

Welche Mission steht für Sie gerade im Zentrum?
Wir brauchen mehr Wald, gerade und auch in Deutschland. Und zwar echte Wildnis. Alte Bäume kühlen die Landschaft um 10°C herunter und sorgen für mehr Regen. Bäume sind also unsere wichtigsten Verbündeten im Klimawandel.

Naturschützer wollten Sie schon als kleiner Junge werden. Was hat schon so früh Ihr Bewusstsein geweckt?
Ich habe noch nie geglaubt, dass Pflanzen und Tiere nur dumme Bioroboter sind. Sie sind unsere Mitgeschöpfe, intelligent, lustig, ihre Beobachtung war spannender als jedes Spielzeug.

Welchen Auslöser hat Ihr aktuelles Buch?
Dieses Thema beschäftigt mich schon seit meiner Kindheit. Warum schaffen wir es nicht, die Umweltkrise rasch zu lösen? Sind wir nicht auch ganz normale Tiere? Und wenn ja, sollte man dann nicht die Lösungsstrategien entsprechend anpassen?

„Ich übersetze trockene Wissenschaft in verständliche Sprache.“

An welchen Kernfragen schreiben Sie entlang?
Meine Kernfrage ist: Wie sollen wir die Umwelt, unsere Mitgeschöpfe schützen, wenn wir sie nicht richtig verstehen? Deshalb übersetze ich trockene Wissenschaft in verständliche Sprache.

Ihr Buchtitel „Unser wildes Erbe“ klingt abenteuerlich archaisch. Welchen Phänomenen spüren Sie da hauptsächlich nach?
Ich spüre der Frage nach, ob wir uns nicht grundsätzlich wie Tiere verhalten und auch denselben Regeln unterworfen sind. Da tauchen einige wissenschaftliche Überraschungen auf, auch zur Populationsdynamik – ein heißes Eisen, das kaum jemand anpackt.

Wo macht sich dieses wilde Erbe heute für Sie am deutlichsten bemerkbar (wo bricht es am stärksten durch)?
Das Erbe bricht am stärksten bei den Instinkten durch. Wir denken vielfach, es sei unser freier Wille, mit dem wir uns über diese Instinkte hinwegsetzen können. Es ist in den allermeisten, vielleicht sogar allen Fällen nicht so. Das sieht man in der Lobbypolitik, aber auch immer dann, wenn man abnehmen möchte, aber trotzdem isst.

Wie kommen Sie zur Überzeugung, dass wir Menschen immer noch Tiere sind?
Ich würde umgekehrt fragen: Wie kommt man darauf, dass es nicht so ist? Die Natur hat uns nach denselben Regeln erschaffen wie jede andere Art mit dem Unterschied, dass wir wahrscheinlich die einzigen sind, die denkt, sie sei einzigartig.

„Sowohl Wildtiere als auch Menschen verteidigen ihre Territorien.“

Ihr Zuhause gleicht einer kleinen Farm. Welche persönlichen Erfahrungen mit Tieren sind in Ihr Buch eingeflossen?
Jede Menge. Schon als Schüler hielt ich Spinnen in Gläsern, heute sind es Pferde auf der Weide. Auch die Wildtiere rund ums Forsthaus tragen ihren Teil dazu bei. Und dann sieht man, dass sowohl Rehböcke als auch Menschen Territorien haben, die sie verteidigen – bei uns ist es der Gartenzaun. Dieser innerartliche Stress wirkt sich zum Beispiel auf die Zeugungsfähigkeit aus, worin uns Wildkaninchen besonders ähnlich sind.

Etwas provokant fragen Sie: „Was zum Teufel ist Natur?“ Wie lautet Ihre Kompaktdefinition? Was ist für Sie die Essenz?
Gegenfrage: Wozu brauchen wir den Begriff überhaupt? Sind wir nicht auch Natur? Das könnte man sagen, aber dann bräuchten wir keinen Naturschutz. Genau hierfür müssen wir Natur definieren als etwas, was ohne aktive Manipulation durch den Menschen existiert.

„Auf und in uns leben Tausende von Arten.“

Was macht die Natur des Menschen aus?
Hier würde ich jetzt nicht, wie vielleicht erwartet, auf die Instinkte schauen, sondern auf unsere Eigenschaft als „Planet“. Auf und in uns leben Tausende von Arten – lassen Sie sich überraschen, welche, und was die dort treiben …

Die Sehnsucht vieler Menschen nach Natur ist größer denn je. Wie erklären Sie sich das?
Das ist etwas völlig Normales. Die Natur, bei uns der Wald, ist unser ursprüngliches Ökosystem mit vielfältigsten Reizen. Die verliert man zum Beispiel im Büro oder auf der Wohnzimmercouch, und deshalb muss man sich ab und zu mal erden.

Ihr 2. Kapitel widmen Sie der „Krone der Schöpfung“, aber Sie polieren sie nicht etwa. Was möchten Sie hauptsächlich zurechtrücken und bewusst machen?
Hier zeige ich auf, dass wir keinesfalls am Ende einer Entwicklung sind, was die Krone suggeriert. Nein, wir stecken mitten in der Evolution, auch wenn wir das kaum wahrnehmen.

Sind Instinkt und Intellekt oder Bauch und Kopf unvereinbare Gegensätze oder sehen Sie Chancen, beides konstruktiv zu verbinden?
Das ist bereits fest verbunden. Doch während wir denken, dass wir unsere Instinkte beherrschen, ist es genau umgekehrt: Unser Verstand ist ein Diener der Instinkte. Er denkt sich allerlei von Köstlichkeiten über Autos bis zu Handys aus, um die instinktive Gier nach Kalorien, nach Bequemlichkeit und nach Informationen zu befriedigen.

„Wir sollten endlich die Instinkte in den Dienst des Verstands stellen.“

Ihr 3. Kapitel steht unter der Devise „Den Spieß umdrehen“. In welche Richtung? Worum geht es Ihnen beim Umdenken im Kern?
Wir sollten endlich die Instinkte in den Dienst des Verstands stellen. Notwendige Veränderungen sollten an unseren Spieltrieb oder an unsere Gier appellieren. Ein Beispiel: Würde beim Anschluss von Solarzellen der Zähler rückwärts laufen, dann wäre das viel befriedigender als eine Bonuszahlung des Netzwerkbetreibers.

Sie sind überzeugt, dass Bäume die Welt verändern könn(t)en, Wälder erst recht. Was macht Sie da so sicher?
Die aktuelle Forschung! Wälder können aktiv Wetter machen, kühlen die Landschaft und sorgen für Regen. Das wusste auch schon Alexander von Humboldt. Das funktioniert sogar sehr lokal, selbst einzelne Straßenzüge in der Stadt lassen sich kühler machen.

Was waren bei Ihren Erbe-Recherchen die ergiebigsten Quellen?
Meine Lebenserfahrung. Dass Thema begleitet mich schon seit 50 Jahren, da sind unheimlich viele Beobachtungen und Gespräche zusammengekommen. Neuerdings ist es die Waldakademie, wo wir uns täglich über neueste Studien unterhalten.

„Ich bin mehr als zuversichtlich, weil …“

Was überwiegt nach Ihren Recherchen? Skepsis? Oder Zuversicht, was die Lernfähigkeit von uns Menschen anbelangt?
Ich bin mehr als zuversichtlich, weil es so viele Optionen gibt, die Lage zu verbessern. Noch sitzen in der Politik zu viele rein instinktgesteuerte Personen, aber auch hierzu mache ich Vorschläge, wie man das einhegen kann.

Was ist die Essenz Ihrer Erkenntnisse zu unserem wilden Erbe?
Die Essenz ist: Wir müssen unsere wahre Natur erkennen, um zu einem harmonischen Umgang mit der Umwelt zu kommen.

Ihr Welterfolg „Das geheime Leben der Bäume“ ist nun in einer neuen Ausgabe erschienen: als Graphic Novel. Was zeichnet den französischen Künstlers Benjamin Flao aus und warum ist er für dieses Projekt genau der Richtige?
Das muss man gesehen haben (und das habe ich in Paris): Er lässt zum Beispiel die Bäume mit einer speziellen Technik auf nassem Papier wachsen – schon die Entstehung ist also Kunst. Über 200 Seiten mit Hunderten Kunstwerken eine spannende Geschichte erzählen – das kann Benjamin perfekt.