UND ES GIBT SIE DOCH, die buchhändlerische Erfolgs­geschichte. Petra Dittrich, 1973 auf Rügen geboren und in Samtens aufgewachsen, musste die Insel erst verlassen, ein Stadtleben führen … bevor sie 2009 nicht nur nach Gingst zurückkehrte, sondern sich gleichzeitig in die Selbst­ständigkeit stürzte. Mit viel Engagement und rüganer Beharr­lichkeit – manche würden von Sturheit sprechen – hat sie einigen Stürmen stand­gehalten und eine ganz besondere Buch­handlung etabliert. Sehr zur Freude der Insulaner sowie vieler Touristen, auch aus weiterer Ferne.

Was schätzen Sie an Rügen, was an den Bewohnern besonders?
An meiner Insel schätze ich besonders die Abgeschiedenheit, die Weite und Ruhe. Und das Meer natürlich – am liebsten, wenn es tobt. Und den Wind – ich liebe Sturm am Meer. An den gebürtigen Rüganern schätze ich besonders ihre Klarheit und Bodenständigkeit. Sie sind unverstellt und echt. Dadurch wirken wir manchmal etwas rauer – genau das mag ich.

Wie würden Sie Ihr heutiges Heimatgefühl beschreiben?
Angekommen sein. Etwas gefunden zu haben, ohne zu wissen, wonach ich eigentlich gesucht habe. Und zu schätzen, was immer schon vor „meiner Nase“ war.

Gewissermaßen durch Zufall sind Sie zum Buchhandel gekommen. Inwiefern war es eine Art Berufung?
Keine Berufung – eine Offenbarung!

Man gewinnt den Eindruck, dass Sie einen ausgeprägten siebten Sinn haben und Ihrer Intuition auch ohne Zögern folgen. Woher kommt dieses Urvertrauen?
Das weiß ich nicht. Diese Impulsivität war auch nicht immer nur positiv in meinem Leben. Aber dadurch ergaben sich Dinge, an die ich vorher nie gedacht habe. Ich mache einfach – entweder es klappt oder eben nicht.

Als Filialleiterin bei der Buchhandlung Heymann in Hamburg haben Sie ausgiebig Erfahrungen in der Praxis gesammelt. Wovon profitierten Sie am meisten?
Wahrscheinlich ist es das Kaufmännische.

2009 haben Sie den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und Ihren „BuchLaden“ in Gingst auf Rügen eröffnet. Woher nahmen Sie den Mut?
Interessanterweise habe ich es nicht als Wagnis empfunden, sondern als Freiheit. Als Angestellte kann ich mich nicht so verwirklichen. Unterordnen mag ich mich auch nicht so gern.

Selbstständig sein bedeutet Freiheit, aber auch Verantwortung und vor allem Machen.
Genau!

Neben den wirtschaftlichen Aspekten, der Sortimentsarbeit, also dem Auswählen der Titel, die Sie verkaufen wollen, bis hin zur Dekoration – alles kommt aus einer Hand. Klingt verlockend – wenn man die Kehrseite mit dem enormen persönlichen Einsatz und dem finanziellen Balanceakt außen vorlässt. Woraus ziehen Sie Ihre Kraft?
Kunden können heute eigentlich alles mit einem Klick bequem vom Sofa aus machen. Aber ich habe Kundinnen und Kunden, auch noch in großer Anzahl, die extra sehr weite Wege fahren, nur um zu MIR zu kommen – ein größeres Kompliment gibt es nicht. Die Leute kommen nicht nur von der Insel, sondern auch aus Stralsund, Rostock, Greifswald. Und natürlich haben wir viele Stammkunden aus der Ferne, die ihren Urlaub hier verbringen. Manchmal staune ich selber darüber! Das gibt mir viel Kraft. Und natürlich meine Lebensgefährtin Beate, die mich in allem unterstützt und mir den Rücken freihält.

Welcher Anspruch leitet Sie bei der Auswahl der Titel, die Sie für Ihre Kunden einkaufen?
Zunächst einmal kaufe ich ein, was mir gefällt. Denn nur das kann ich verkaufen. Selbst einen Nummer-1-Bestseller gibt es bei mir nicht an exponierter Stelle, wenn ich das Buch nicht mag. Auf Bestellung zum nächsten Tag selbstverständlich schon. Es gibt so viele kleinere Verlage, unbekanntere Autoren, die es nie auf Bestsellerlisten schaffen – die machen mein Sortiment aus. Würde ich am Ende des Jahres eigene Listen erstellen, würde die Schere sehr weit auseinander gehen. Natürlich gehe ich auch Kompromisse ein – aber nur in der Belletristik, nicht im Sachbuch! Denn auch wir brauchen natürlich einige „Brot-und-Butter-Titel“, die uns dieses Changieren erlauben. Zu wenig Platz in der Buchhandlung gibt es immer. Jeden Tag wird der Laden neu sortiert, jeden Tag kommen neue Bücher, andere Formate … Dass ein ständiges Verändern des Sortiments möglich ist, liegt vor allem an der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft eBuch mit „anabel“. Dank dieses Einkaufsmodells kann ich mein Sortiment so gestalten, wie ich will. Ein großer Vorteil ist es natürlich auch, wenn ich meine Kunden genau kenne. Schon beim Einkauf der Novitäten habe ich im Kopf, welches Buch für wen bestimmt ist oder für wen es etwas sein könnte.

Aufgrund des Umzugs im Frühjahr 2019 hat sich Ihre Verkaufsfläche noch einmal reduziert. Wie konnten Sie das kompensieren?
Die Lauffläche ist erst einmal um 30 qm kleiner – das war eine Herausforderung. Wir sind im neuen Laden deshalb einfach in die Höhe gegangen und haben Regale von beiden Seiten bestückt. Deshalb findet sich jetzt auch die gute alte Buchleiter wieder bei uns, was ich persönlich sehr schön finde. Dadurch haben wir fast keinen Verlust, was die schlichte Buchanzahl betrifft.

Sie sind mehrfach mit wichtigen Preisen geehrt worden. Darunter der „Förderpreis der Kulturstiftung Rügen“ und sogar zweimal der „Deutsche Buchhandlungspreis“. Welche Bedeutung haben diese Auszeichnungen für Sie?
Von der Kulturstiftung Rügen ausgezeichnet zu werden, hat mir persönlich viel bedeutet. Sind es doch „die eigenen Leute“, die mich persönlich kennen, die mich hier öffentlich würdigen und meine Arbeit für die Insel und darüber hinaus wertschätzen. Vor einer Fachjury Beachtung zu finden und den „Deutschen Buchhandlungspreis“ 2016 und 2018 erhalten zu haben, bestärkt mich in meiner Arbeit als Buchhändlerin und in meiner Fachkompetenz. Diese Preise waren mit großer Aufregung und Genugtuung verbunden.

Für Ihr Buch unterstützte Sie Rainer Moritz als Co-Autor. Wie war diese besondere Zusammenarbeit?
Ausgesprochen schön und sehr professionell! Er kennt mich seit vielen Jahren sehr gut. Bei und von ihm habe ich viel gelernt.

Sie sind überzeugt, dass es „eine Art Buchhändler-Gen“ gibt. Was enthält diese DNA?
Für mich ist „Buchhändlerin“ kein Beruf, die Buchhandlung kein Arbeitsplatz. Ich gehe nicht zur Arbeit. Ich lebe mit und in den Büchern, in meiner Buchhandlung. Das ist ein großes Privileg.

„Nur Kinder wissen, was Kinder lesen möchten!“

In Ihrem „BuchLaden“ hatten Kinder vom ersten Tag an eine besondere Stellung. Was tun Sie, um Kinder fürs Lesen zu gewinnen?
Kinder sind die Kunden von morgen, und vielleicht bin ich oft selbst noch ein bisschen Kind. Die besten Berater beim Einkauf von Kinderbüchern sind Kinder. Nur Kinder wissen, was Kinder lesen möchten. In der Kinderabteilung dürfen sie bei uns alles anfassen, in alles reinlesen. Fast nie geht etwas kaputt!! Unter uns: Am meisten kaputt machen Erwachsene. Deshalb sage ich immer zu Kindern: „Schön auf die Eltern aufpassen!“ Damit sind wir schon Verbündete. Wir lesen zusammen und ich frage die Kinder (nicht die Eltern!), wofür sie sich interessieren. Große Kinderfeste mit Kirsten Boie, Susanne Lütje oder Paul Maar und mit hunderten Kindern waren alljährliche Höhepunkte. Puppentheater in der Adventszeit ein weiterer.

Und was hat es mit den „Zaubersteinen“ auf sich?
Dieses Geheimnis ist nur für die Kinder!

In den vergangenen 10 Jahren haben Sie in Gingst ein vielbeachtetes Lesungsprogramm auf die Beine gestellt: mehr als 200 Veranstaltungen sind es bis heute. Wie kriegen Sie auch das noch unter einen Hut?
Das frag ich mich manchmal auch. Nein, ernsthaft – das geht nur mit der Hilfe von Familie und engen Freunden! Wir sind sozusagen ein Familienbetrieb.

Ihr Programm für 2020 steht auch schon fest und der Kartenvorverkauf ist im Gang. Wie schaffen Sie es, auf einer Insel mit ca. 77.000 Einwohnern so eine gefragte Veranstaltungsreihe zu etablieren?
Es freut mich wirklich sehr, dass unsere Veranstaltungsreihe von den Einheimischen so angenommen wird. Wenn der Vorverkauf losgeht, wird unser Laden regelrecht bestürmt. Vielleicht liegt es daran, dass wir von Anfang an darauf geachtet haben, keinen elitären Lesezirkel zu etablieren. Von ganz leicht bis ganz schwer – da ist für jeden etwas dabei. Die Gäste fühlen sich wohl bei uns. Wir sind ganz normal und jeder kann auch so sein. Das schätzen wohl auch die Autoren. Das schönste Kompliment jedoch ist, dass unsere beständige Qualität dazu geführt hat, dass die Lesungsgäste uns vertrauen. Dadurch trauen wir uns auch Autorinnen und Autoren einzuladen, die vielleicht im Norden nicht so bekannt sind – und trotzdem wird das Haus voll.

Lesern Ihres Buches präsentieren Sie ein vielseitiges Rügen, das offenbar eine Sanddorn-Hochburg ist – mit unterschiedlichsten Produkten aus den Beeren, etwa Likör. Wie genießen Sie Sanddorn am liebsten?
Als Sanddorngeist.

Für „Meine Inselbuchhandlung“ gibt es unterschiedliche Lesarten: Reiseführer, Literaturführer, Erfolgsgeschichte einer Unternehmerin, Marketingfibel für das Lesen, Entscheidungshilfe für den Buchhändlerberuf, Tourismusempfehlung für Rügen … Welcher Aspekt ist Ihnen besonders wichtig?
Erfolgsgeschichte einer Unternehmerin. Sich trauen, auch wenn alle sagen „Lass es“.

Sie wirken erfrischend optimistisch – auch hinsichtlich der Zukunft des Lesens bzw. des Buches. Was macht Sie so frohen Mutes?
Das Buch muss sich heute mit vielen Dingen die Aufmerksamkeit der Menschen teilen. Auch ich habe mit großem Vergnügen „Downton Abbey“ geschaut und dann nicht gelesen … Vielleicht wird es nicht einfach, aber das Buch wird nie aussterben, ebenso wenig wie das Theater. Es ist etwas völlig anderes, in ein Buch abzutauchen, nur mit sich sein zu sein, keine Ablenkung von außen zu haben. Nur Stille und Lesen – was für ein Vergnügen! Vielleicht noch ein Gläschen Wein dazu. Und eben eine gute Buchhandlung.