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Was macht Ihre Zusammenarbeit spannend und ertragreich?
KN: Die unterschiedlichen Perspektiven auf das jeweilige Thema aufgrund unserer verschiedenen Interessengebiete und akademischen Hintergründe. So viel ist sicher: Uns gehen die Themen für spannende Diskussionen so schnell nicht aus.
Wie hat Katharina Nocun Ihren Horizont erweitert, Frau Lamberty?
PL: Katharina Nocun arbeitet zu Bürgerrechten insbesondere im digitalen Raum, während ich Psychologin bin. Insofern schauen wir auf den gleichen Phänomenbereich aus unterschiedlichen Perspektiven. Das finde ich oft sehr spannend und ich konnte viel dazulernen.
Welche Perspektiven hat Pia Lamberty Ihnen eröffnet, Frau Nocun?
KN: Pia Lamberty hat an einer Studie mitgearbeitet, bei der es darum ging, den Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und esoterischen Behandlungsmethoden zu untersuchen. Die Zahlen deuteten auf eine äußerst starke Überlappung der beiden Phänomene hin. Diese Erkenntnis noch einmal durch Zahlen untermauert zu sehen, hat meinen Blick auf die Szene – gerade während der Debatte um Impfungen in der Pandemie – nachhaltig verändert.
Wie geriet die Esoterik als Problembereich in Ihren Fokus?
PL: Esoterik ist unglaublich weit verbreitet. Man findet sie in Jugendmagazinen und im Bioladen. Und schnell sieht man leider auch, welche gefährlichen Blüten sie treiben kann. Diese Gefahren in einem Buch aufzuzeigen, war unsere Hauptmotivation für das Buch „Gefährlicher Glaube“.
Wenn jemand seine Zukunft aus den Tarotkarten zu lesen versucht oder pendelt, könnte man das für Privatsache halten. Sie sehen das anders. Warum?
PL: Die meisten Menschen waren schon einmal in Kontakt mit Esoterik – sei es beim Gummibärchenorakel oder beim Horoskop. Wenn Menschen aber immer mehr in diese Welten abdriften, wird das scheinbar Harmlose irgendwann lebensbestimmend und ersetzt eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Problemlagen.
KN: Die Esoterik-Szene wird von Außenstehenden oftmals als politisch „links“ stehend eingeordnet. Schaut man sich aber viele Spielarten der Esoterik an, stößt man beispielsweise auf Konzepte von Weiblichkeit, die eher aus den 1950ern stammen. Einige Gruppen sind stark hierarchisch organisiert, der Guru oder das Medium dürfen nicht angezweifelt werden, Wissenschaft und Medien werden als „unerleuchtet“ oder gesteuert gebrandmarkt. Das trägt sehr antidemokratische Züge. Hinzu kommt natürlich die „braune Esoterik“, in der rassistische und antisemitische Narrative den Ton angeben.
„Verschwörungserzählungen spielen oft eine große Rolle.“
Das esoterische Spektrum kommt einem vor wie ein riesiger Supermarkt. Wie definieren Sie Esoterik?
PL: Es ist auch wissenschaftlich nicht leicht, Esoterik zu definieren. Ist Homöopathie esoterisch oder eine nicht wirksame Alternativtherapie? Wie sieht es mit Yoga aus? Wir haben uns dem Ganzen daher psychologisch genähert: Esoterische Glaubenswelten bestehen aus einer Überbetonung des Individuums, aus einer Überhöhung des Selbst, magischem Denken und der Idee, dass es in der Welt gerecht zugehen würde (Stichwort: Karma).
KN: Wer eine Esoterik-Messe besucht, hat schnell das Gefühl, in einer Art spirituellem Gemischtwarenhandel gelandet zu sein. Da werden Produkte mit Bezug zu diversen Weltreligionen angeboten, etwa Sprays, mit denen man angeblich Kontakt zu Engeln aufnehmen kann. Manch eine esoterische „Aura-Analyse“ bedient sich bei Konzepten der traditionellen chinesischen Medizin. Uns war es wichtig, in unserem Buch zu zeigen: Bei all den Unterschieden gibt es aber viele Gemeinsamkeiten. Gerade bei Gesundheitsthemen spielen etwa Verschwörungserzählungen oft eine große Rolle.
Wie funktioniert Esoterik psychologisch?
PL: Esoterik verspricht sehr häufig, die Lösung für alle Problemlagen zu sein. Gleichzeitig wird sich eines Tricks bedient: Funktioniert die Esoterik nicht, lag es daran, dass die Person noch nicht bereit war oder sich einfach nicht genug angestrengt hat. Esoterik kann also Kompensationsmechanismus sein. Gleichzeitig kann man sich über die Esoterik selbst überhöhen. Man verfügt in dieser Logik ja über eine Form von Geheimwissen, das anderen nicht zugänglich ist.
Wie virulent ist Esoterik bei uns in Deutschland und wo stehen wir im internationalen Vergleich?
KN: Das ist schwer zu sagen, da auch die Definition dessen, was alles zur Esoterik gehört, uneinheitlich ist. Zuverlässige Zahlen für den Gesamtbereich gibt es hier nicht. Während der Pandemie ist aber deutlich geworden, dass Mythen über Gesundheit und Medizin bei nicht wenigen Menschen eine Rolle bei der Impfentscheidung gespielt haben. In esoterischen Online-Gruppen wurden allerhand medizinische Falschinformationen verbreitet. Esoteriker sind auch auf einschlägigen Demonstrationen aufgetreten.
Unter welchen Rahmenbedingungen haben esoterische Konzepte und Weltanschauungen allgemein (Hoch)konjunktur?
PL: Es ist wenig verwunderlich, dass Krisenlagen Esoterik befeuern können. Wir zeigen im Buch auf, welche Rolle Esoterik bei verschiedenen Krisen, Kriegen oder Katastrophen spielte. Da sind uns wirklich die abenteuerlichsten Dinge untergekommen.
KN: Da gab es etwa eine Gruppe, die meinte Kinder, die unter den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe litten, per Handauflegen heilen zu können. Ein Esoteriker behauptete, wer eine positive Ausstrahlung hätte, dem könne Radioaktivität nichts anhaben. So etwas ist natürlich brandgefährlich.
Welche Auswirkungen der Pandemie auf die Neigung zu Esoterik stellen Sie fest?
PL: Leider ist Esoterik in Deutschland nicht sonderlich gut untersucht. Wir können also nicht sagen, ob es eine Zunahme gab oder nicht. Es wäre aber nicht verwunderlich. In der Pandemie zeigte eine Studienreihe beispielsweise, dass mit sozialer Isolation auch magisches Denken zugenommen hatte.
„Betroffene greifen nach jedem Strohhalm …“
Esoterik in den Bereichen Gesundheit und Ernährung nehmen Sie besonders ausführlich unter die Lupe. Was macht das nötig?
KN: Gerade beim Thema Gesundheit und Ernährung lässt sich viel Geld mit den Sorgen der Menschen verdienen. Wer glaubt, normales Trinkwasser wäre „spirituell beeinträchtigt“, kauft dann beispielsweise teurere Aufbereitungsanlagen, die angeblich „energetisierend“ wirken. Und angesichts niederschmetternder medizinischer Diagnosen greifen einige Betroffene nach jedem Strohhalm, der ein Quäntchen Hoffnung verspricht.
Welche Ihrer medizinischen Beispiele zeigen für Sie am deutlichsten die Risiken esoterischer Praktiken?
PL: Als Psychologin sorgt mich der psychische Leidensdruck und die Abhängigkeit, in die manche Menschen geführt werden. Es gibt wirklich Menschen, die alles verlieren, weil sie irgendwelchen Heilsverkündern gefolgt sind.
KN: Der Esoteriker Geerd Hamer hat Patienten beispielsweise eingeredet, sie könnten ihren Krebs durch Gesprächstherapie heilen. Zusätzlich riet er kategorisch von Opiaten und anderen Schmerzmitteln ab. Einige seiner Anhänger sind unter großen Qualen gestorben.
Bei vielen Menschen hat Homöopathie ein hervorragendes Image. Warum finden Sie bestimmte homöopathische Verfahren dennoch nicht unbedenklich für alle Geschöpfe?
KN: Der Grundgedanke der Homöopathie, dass sich nämlich durch Verdünnung und Schütteln „geistartige Stoffe“ aus Substanzen lösen würden, steht im Widerspruch zu modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Einige Menschen zählen die Homöopathie zu den Naturheilverfahren. Interessant hierbei ist aber, dass bei sehr hohen Potenzen, also Verdünnungen, keinerlei Wirkstoff mehr in den Präparaten nachweisbar ist. Viele Studien kamen zu dem Ergebnis, dass der Placeboeffekt bei der Homöopathie eine große Rolle spielt. Nun ist es natürlich eine Sache, wenn man bei Kopfschmerzen auf ein Placebo setzt – eine komplett andere Sache ist es, wenn Menschen meinen, dies würde bei schweren Erkrankungen eine normale medizinische Therapie ersetzen.
Welche konkreten Aspekte zeugen von einer „radikalen Gedankenwelt“, wie Sie es im Untertitel nennen?
KN: Bei vielen Spielarten der Esoterik wird den Leuten das Blaue vom Himmel versprochen. Mit uns wirst Du glücklicher, gesünder, schöner, erfolgreicher … Diese Idee von einem universellen Erfolgsrezept für jede Lebenslage halte ich für sehr radikal – und auch gefährlich. Vor allem, weil Kritik daran oftmals gar nicht gerne gesehen wird. Außenstehende werden als „unerleuchtet“ oder „unwissend“ abgetan. Kritik wird zum Teil einer Verschwörung umgedeutet. Immer wieder gibt es auch Gurus, die ihre Anhängerschaft in die totale Abhängigkeit treiben, finanziell und körperlich ausbeuten. Aufzuzeigen, bei welchen Frühwarnsignalen man hellhörig werden sollte, war uns sehr wichtig.
Was hat Sie bei den Recherchen zu Ihrem Buch am meisten alarmiert oder erschüttert?
PL: Es ist an sich schon furchtbar zu sehen, wie viel Leid Menschen sich antun, weil sie die Medizin ablehnen und stattdessen auf Scharlatane hereinfallen. Besonders nahe ging es mir immer dann, wenn Kinder oder Tiere betroffen waren. Die haben sich das ja nicht ausgesucht und leiden oft unter den Folgen.
KN: Die Recherche zu sektenähnlichen Gruppierungen lag mir schwer im Magen. Einige ehemalige Anhänger von Gurus standen nach dem Ausstieg vor den Trümmern ihres Lebens. Da gibt es Menschen, die Angehörige bei einem kollektiven Selbstmord verloren haben. Im Gespräch mit einer Beratungsstelle wurden uns Fälle von sexuellem Missbrauch geschildert, die einen einfach nur sprachlos machen.
„Uns ist wichtig, die fundierte Arbeit von Beratungsstellen sichtbarer zu machen.“
Wie könnte man esoterikgläubige Menschen für wissenschaftlich fundierte Erklärmodelle zurückgewinnen?
PL: Man muss natürlich unterscheiden, wie stark jemand esoterischen Glaubenssätzen verhaftet ist. Wenn jemand die Wissenschaft als Verschwörung abtut, wird es sicherlich schwierig, noch mit Argumenten zu kommen. Um hier ein wenig Unterstützung anzubieten, hatten wir uns damals auch entschlossen „True Facts“ zu schreiben.
KN: Uns war es wichtig, die fundierte Arbeit von Beratungsstellen wie der Sekten-Info NRW sichtbarer zu machen. Diese haben etwa umfassende Checklisten veröffentlicht, anhand derer man erkennen kann, ob man es mit problematischen Gruppierungen oder unseriösen Coaching-Angeboten zu tun hat. Wir stellen auch Tipps vor, wie man damit umgeht, wenn Angehörige in die Fänge eines Gurus oder Mediums geraten sind. Inhaltliche Debatten sind da oft weniger hilfreich im Vergleich zu emotionalen Strategien. Es gilt dem Ganzen sozusagen den Nährboden zu entziehen.
Welche Kernbotschaft würden Sie Ihren LeserInnen ans Herz legen?
KN: Was in einer Situation als „harmlose Spinnerei“ abgetan wird, kann sich schnell zu einer ernsten Gefahr entwickeln. Solange die Kartenlegerin nur zu Alltagsfragen konsultiert wird, findet das Umfeld dies meist unproblematisch. Was aber, wenn plötzlich Anlagestrategien für die Börse sich am Stand der Sterne orientieren und das Familienvermögen auf dem Spiel steht? Eine frühzeitige Intervention kann in einigen Situationen Schlimmeres abwenden. Wer zu lange wartet, riskiert irgendwann an den Mauern eines in sich geschlossenen Weltbilds abzuprallen.
Was sind Ihre SOS-Tipps, wenn man sich Sorgen um Freunde oder Kollegen macht, die für esoterische Weltsichten empfänglich sind? (Bei welchen Alarmzeichen sollte man aktiv werden und wie?)
KN: Wenn man sich konkret Sorgen um eine Person aus Freundeskreis oder Familie macht, etwa weil die Person sich plötzlich stark verändert oder aber medizinisch fragwürdige Behandlungsmethoden bei schweren Erkrankungen anwendet, lohnt es sich wirklich, professionelle Beratung hinzuzuziehen. Sektenberatungsstellen fungieren oft als eine Art Frühwarnsystem im Bereich Esoterik: Durch Meldungen von Freunden und Angehörigen von Betroffenen können sie die Situation in der Regel sehr gut einschätzen. Wer im Netz nichts über eine Gruppierung findet, sollte daraus keineswegs ableiten, dass diese unproblematisch wäre. Gerade kleine und lokal agierende sektenähnliche Gruppierungen sind oft besonders toxisch – weil der Guru oder das Medium eine viel stärkere Kontrolle über die einzelnen Mitglieder ausüben kann.