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JE WEITER DIE REISE, desto größer das Staunen? Um in entlegenen oder exotischen Gegenden die spannendsten Eindrücke zu gewinnen, kann es statt Australien oder Asien auch Sachsen-Anhalt oder das Allgäu sein. Deutschland hat an ungeahnten Ecken und Enden reichlich Verblüffendes zu bieten, wie Pia Volk herausgefunden hat. Bekannt durch ihre Reportagen als Globetrotterin, war die Geografin und Journalistin nun zwischen Bodensee und Rügen unterwegs. Für ihr neues Buch hat sie die 54 ungewöhnlichsten Orte und deren Geschichte(n) aufgespürt.
Als Globetrotterin gab es für Sie bisher kein Halten. Was fasziniert Sie so am Reisen?
Ich war so viel unterwegs, weil ich einfach neugierig bin. Allerdings bin ich nicht so der theoretische Lerntyp. Am liebsten lerne ich von Leuten vor Ort und lasse mir von ihnen Dinge ganz praktisch zeigen und erklären.
Was war Ihr bisher fernstes Ziel?
Flugmeilen habe ich mir nie notiert. Da könnte ich jetzt viel anführen auf der anderen Seite des Globus. Hawaii zum Beispiel.
Und ihr gewagtestes Ziel?
Schwer zu sagen. Vermutlich ein Wald bei Dresden. Ich hatte Angst vor Nazis, aber dann sind nur Wildschweine gekommen. Das fand ich beruhigend.
Wohin führte Ihre längste Reise?
Nach Australien. Dort war ich mehrmals, einmal sogar ein Jahr lang. In Adelaide habe ich studiert und beim Radio gearbeitet. Und ich bin mit meinem Sohn durch das Outback gereist, anschließend sind wir durch den Südpazifik getingelt.
Ihr neues Buch führt ausnahmsweise mal nicht ans andere Ende der Welt. Was hat Sie an Deutschland am meisten ins Staunen versetzt?
Was mich überrascht hat, waren nicht per se die Orte, sondern vielmehr die Menschen, die ich getroffen habe. Durch die Pandemie musste man öfter umdisponieren und spontaner sein, was hervorragend geklappt hat. Alle Menschen waren viel netter und flexibler, als der Ruf der Deutschen es vermuten lässt.
„Flexibler als vermutet.“
Ursprung von „Deutschlands schrägste Orte“ ist eine Art Gemeinschaftsprojekt. Wie kam es dazu?
Ein Gemeinschaftsprojekt war es in dem Sinn, dass ich unglaublich viele Leute gefragt habe. Angeschrieben und angesprochen habe ich alle, die mit Raum zu tun haben, also etwa Experten für Architektur, Tourismus und Geowissenschaften. Und ich habe Freunden und Freunden von Freunden von meinem Projekt erzählt. Ich bekam unverhofft viel Echo. Aus dieser großen Zahl von Vorschlägen habe ich die 80 herausgefischt, die ich am spannendsten fand.
Welche Kriterien musste ein Ort erfüllen, um in Ihr Buch aufgenommen zu werden?
Ganz einfach: Wenn man davon erzählt bekam, musste man sofort denken: „Wow, das ist ja superschräg!“ Das war das einzige Kriterium.
Worauf kam es Ihnen bei der Bandbreite der Orte an?
Mir war es wichtig, dass die Orte überall in Deutschland verteilt sind, so dass jeder mindestens eine Entdeckung in der eigenen Umgebung hat.
„Eine einzige, riesige Exkursion.“
Was war das Besondere bei den Begegnungen vor Ort?
Ich habe jede noch so dumme Frage gestellt – und festgestellt, dass die meisten Experten total Lust hatten, sich über ihr Gebiet auszutauschen. Sie haben sich sehr bemüht, mir die Besonderheiten verständlich beizubringen, und waren super geduldig und total nett. Einige haben mir auch gleich noch von weiteren Orten erzählt, die ich mir auch mal angucken sollte. Das war praktisches Lernen, wie ich es mir wünsche. Für mich war es eine einzige riesige Exkursion!
Sie haben sogar das Navigieren anhand von Leuchttürmen erklärt bekommen …
Das war Zufall. Das Schiff lag da ewig, sonst hätte der Kapitän keine Zeit dafür gehabt. Leider wird das anderen Leuten nicht passieren.
„Die Geschichte macht den Ort seltsam.“
Worauf kam es ihnen neben Kuriosität und Originalität an?
Mir ging es darum, dass etwas hinter diesen Seltsamkeiten steckt, dass es einen Kontext gab, der erzählenswert war. Megalithgräber gibt es überall. Seltsam wird es erst, wenn sie mitten auf einem Truppenübungsplatz stehen. Ähnlich ist es bei Bergbaustollen. Es ist die Geschichte, die den Ort ungewöhnlich macht. Deshalb ist mein Buch im Prinzip auch kein Reisebuch, sondern ein Geschichtsbuch. Wenn man es gelesen hat, hat man sehr viel über die Geschichte Deutschlands erfahren.
Ihr Buch beginnt mit dem Kapitel „Obskure Objekte“, an erster Stelle steht die „Bräutigamseiche“. Was macht das knorrige Exemplar zu etwas Besonderem, vielleicht sogar Einzigartigen?
Im Grunde ist die Geschichte der Eiche ein modernes Märchen. Die Leute haben einander früher erzählt, dass sich an der Eiche ein Liebespaar Briefe in einem Astloch hinterlegt hat – was sich meiner Recherche nach als falsch herausgestellt hast. Aber die Leute wurden durch diese Geschichte angehalten, damit weiterzumachen. Dadurch haben Leute zueinandergefunden und sogar Paare geheiratet. Sozusagen eine sich selbsterfüllende Prophezeiung! Wenn man da heute hingeht, findet man immer noch Briefe von Leuten, die Partner suchen.
Sie schrecken auch vor berühmten Sehenswürdigkeiten nicht zurück. Was macht für Sie die Walhalla zum schrägen Ort?
Es ist ja schon mal superabsurd, ein Denkmal für alle Deutschen bauen zu wollen. Wer soll das denn sein? Da wurden ja auch Schweizer und Österreicher eingeschlossen. Aber was ist eigentlich mit den Deutschsprachigen, die es damals noch auf Papua-Neuguinea gegeben hat? Und wodurch zählt man da als Deutscher? Und dann bedient man sich bei griechischer Architektur, nordischer Mythologie und englischem Gartenbau. Im Prinzip ist es dann in seiner Absurdität nur konsequent.
„Hinschauen, neugierig werden, nachfragen!“
Wollen Sie allgemein anregen zu einem wacheren Blick auf berühmte Kulturdenkmäler?
Ich möchte überhaupt, dass die Leute hinschauen, neugierig werden und nachfragen: Was ist das eigentlich und was macht das hier? Und was hat das vielleicht mit mir zu tun? Darum geht es mir nicht nur bei berühmten Denkmälern, sondern auch bei dem, was vor der eigenen Haustür passiert.
Sogar ein bisschen verliebt haben Sie sich. Warum ausgerechnet in das Wendland?
Ich habe mich tatsächlich ins Wendland verliebt, weil ich es landschaftlich wunderschön finde. In einer ähnlichen Gegend bin ich aufgewachsen. Ich mag einfach das flache Land mit diesen kleinen Dörfern, wo man immer den Horizont sieht. Berge finde ich furchtbar – da ist einem ständig was vor der Nase. Man kann überhaupt nicht weit gucken. Im Wendland kann man superweit gucken. Und man kann auch Rad fahren ohne viel Energie. Im Buch taucht es allerdings aus einem anderen Grund auf. Man hatte Teile des Wendlands als Atommüllendlager auserkoren. Das hat sicher auch ein bisschen damit zu tun, dass es so wenig besiedelt ist. Der Protest dagegen war bemerkenswert – auch weil die Menschen in der Region relativ solidarisch miteinander waren. Die Protestierenden haben ein Dorf aufgebaut, in dem zeitweise 30.000 Leute lebten. Sie nannten es Republik Freies Wendland, das beschreibe ich im Buch. Mit Produkten versorgt wurden sie auch von den Bauern aus der Gegend. Es war ein Gemeinschaftsprojekt von relativ unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, von denen man heute denken würde, dass sie nie zusammenarbeiten. Davon könnte man sich ein Stück abschneiden!
Zu den rätselhaften Orten gehört z.B. die Entmagnetisierungsstelle. Was hat es damit auf sich?
Die Entmagnetisierungsstelle ist ein Betonklotz vor Rügen im Meer, den man von der Küste aus sieht. Der Klotz wirkt wie ein Widerspruch, wie er in der schönen Natur prangt. Man fragt sich natürlich, was das ist. Entmagnetisiert werden Schiffe oder Schiffskörper, weil durch ihr Magnetfeld Seeminen ausgelöst werden könnten und davon nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch relativ viele im Meer lagen. Meine interviewten Experten haben mir im kleinsten Detail erklärt, wie Seeminen funktionieren und wie man die auslösen kann. Das fand ich schon sehr spannend.
Welche Entdeckungen bietet das Deutsche Zusatzstoffmuseum in Hamburg?
Es ist ein Museum, das aussieht wie eine Apotheke, mit vielen Röhrchen und Gläsern. Darin sind die Zusatzstoffe, die auch bei uns im Essen sind. Lustig daran fand ich, dass es das als Museum gibt. Im Grund sieht man dasselbe wie im Supermarkt – nur dass es in der Abteilung für Fertigprodukte eben in einer anderen Verpackung ist, bevor es bei uns im Magen landet. Es macht deutlich, was wir alles zu uns nehmen und worauf wir normalerweise gar nicht achten.
„Hauptsächlich macht man neue Erfahrungen.“
Hatten Sie mitunter doch mal Fernweh?
Die Frage ist: Was macht man im Urlaub? Was macht man unterwegs? Ich finde, hauptsächlich macht man da neue Erfahrungen. Das habe ich ja auch bei dieser Recherche quer durchs Land gemacht. Wenn ich zuhause beim Schreiben Fernweh bekomme, dann mache ich einen Ausflug in eine Gegend der Stadt, die ich nicht kenne und stelle mir vor, ich wäre im Ausland. Also zum Beispiel habe ich vor Kurzem bei einer Radtour einen Stopp bei „Burger King“ neben einer Tanke eingelegt und mir vorgestellt, ich wäre auf einem Roadtrip durch die USA. Da sehen nämlich diese gesichtslosen Stops entlang des Highways genau so aus.
Welche Empfehlung würden Sie Ihren Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?
Neugierde ist etwas, was man nach der Kindheit leicht verliert. Als Erwachsener denkt man viel zu oft: Weiß ich schon. Man sollte mit offenen Augen und offener Haltung durch die Welt laufen. Neugierig sein! Fragen stellen!