Beeindruckend, was Verena Pausder unter einen Hut bringt: Sie ist Unternehmerin, Gründerin, preisgekrönte Vordenkerin, Expertin für digitale Bildung und Chancengleichheit, Co-Host des Top-Ten-Wirtschaftspodcasts „Fast & Curious“ über Business-Themen und Autorin von „Das neue Land“, prämiert als „Unternehmerbuch des Jahres“. Neben dem Frauen-Fußball-Team FC Victoria Berlin ihre große Leidenschaft: Lesen und Bücher. Ihre interessantesten Entdeckungen teilt sie auf Instagram in „Verena‘s Book Club“.

Wie hat Ihre eigene Begeisterung für das Lesen und Bücher begonnen?
Seitdem ich lesen kann, habe ich immer gerne und viel gelesen. In Bielefeld, wo ich aufgewachsen bin, war ich oft in der Stadtbibliothek. Ich erinnere mich gut daran, dass ich mein Glück kaum fassen konnte, dass man sich Bücher einfach ausleihen und mit nach Hause nehmen durfte. Auch im Urlaub war ich in Bibliotheken, obwohl ich sowieso schon einen Rucksack voller Bücher mit dabeihatte. Ja, schon als Kind und Jugendliche habe ich viel gelesen. Das Lesen war so ein bisschen meine Traumwelt, in die ich mich flüchten konnte.

Je älter man wird, desto mehr Ablenkungen gibt es und das Lesen gerät in den Hintergrund. Wie war das in Ihrer Jugend?
Ich komme noch aus einer Generation, die vollkommen ohne Smartphone aufgewachsen ist. Dadurch hatte ich automatisch mehr Zeit fürs Lesen – und auch weniger Ablenkung – als Kinder, die heutzutage aufwachsen. Später hatte ich Deutsch als Abiturfach und musste entsprechend viele Schullektüren lesen, wie die „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, den „Schimmelreiter“ von Theodor Storm usw..

„Die ,Buddenbrooks‘ haben mich hinsichtlich der Sprache fasziniert“.

Gibt es ein Buch, das Ihr Denken oder Ihre Perspektive als Jugendliche oder junge Erwachsene am stärksten verändert hat?
Wenn ich an Bücher denke, die einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen haben, kommen mir sofort die „Buddenbrooks“ in den Sinn. Was mich besonders an diesem Buch fasziniert hat, war die Sprache und die Geschichte von Aufstieg und Fall einer Unternehmerfamilie. Das berührte mich persönlich, da ich selbst aus einer solchen Familie komme. Mit jeder Generation verändert sich ein Familienunternehmen, und ich konnte Parallelen zu meinem eigenen Leben ziehen. Überraschenderweise hat mich ein anderes Buch, „Atlas Shrugged“ von Ayn Rand, ebenso beeindruckt. Trotz seiner Länge von 1200 Seiten war ich von der Geschichte des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus total fasziniert. Durch Rands plakative Darstellung habe ich zum ersten Mal darüber reflektiert, in welchem System wir leben, wie andere Systeme aussehen könnten und was die Schwächen jedes Systems sind. Es war dieses Buch, das mich erstmals mit den Themen Wirtschaft und Wirtschaftssysteme vertraut machte.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, „Verena´s Book Club“ auf Instagram zu starten?
Ich habe einen Podcast mit Lea-Sophie Cramer, der heißt „Fast & Curious“. Wir beginnen jede Folge mit einem Catch-up, wo wir uns gegenseitig kurz erzählen, was in der Woche so los war. Und da erzählte mir Lea fast heute vor einem Jahr: „Also ich habe mir gestern ein Buch gekauft, das habe ich bei Reese Witherspoons Book Cub gesehen. Da habe ich mich gefragt: Verena, wieso hast du eigentlich keinen Book Club?“ Irgendwie hatte Lea-Sophie recht, aber wann sollte ich das machen? Nach der Aufnahme vergehen immer zwei Tage, bis der Podcast veröffentlicht wird. In der Zeit habe ich dann vorsorglich den Instagram-Namen als Book Club gesichert. Gleich nach der Veröffentlichung hat sich eine meiner Kolleginnen bei mir gemeldet, und gesagt, sie hätte eine sehr gute Freundin, die wohl genauso leseverrückt sei wie ich. Und so hat sie mich mit Constanze Ulreich zusammengebracht. Und als ich Constanze als Unterstützerin hatte, dachte ich mir, dann trau ich mir auch einen Bookclub zu.

„… aber wann sollte ich das machen?“

War das bekannt im Freundes- und Bekanntenkreis, dass Sie viel lesen?
Das wusste man, weil ich permanent Buchempfehlungen gebe.

Inwiefern glauben Sie, dass das Teilen von Leseeindrücken in sozialen Medien die Lesekultur beeinflusst?
Ich sehe in den sozialen Medien wie TikTok und Instagram wirklich eine einzigartige Chance, das Interesse am Lesen neu zu entfachen, besonders bei denjenigen, die das Lesen schon fast aufgegeben haben. Diese Plattformen bieten mehr als nur die Möglichkeit, ein Buch-Cover zu präsentieren. Es geht darum, tiefer in die Geschichte einzutauchen, die Emotionen und Erfahrungen beim Lesen zu teilen und die Inhalte lebendig werden zu lassen. Man kann wirklich ausführlich beschreiben, wie ein Buch einen berührt hat und welche Gefühle es ausgelöst hat. Diese Art der Präsentation kann Menschen dazu inspirieren, ihr Smartphone beiseitezulegen und sich in die Welt eines Buches zu vertiefen. Das Interesse an meinem Book Club, der aktuell 16.000 Follower zählt, bestärkt mich in diesem Glauben. Es zeigt deutlich, dass Social Media eine Menge Leute mobilisieren kann, die durch das gemeinschaftliche Leseerlebnis ihre Begeisterung für Bücher wiederentdecken.

Wie wählen Sie die Bücher aus, die Sie in Ihrem Book Club vorstellen?
Vorrangig empfehlen wir Sachbücher. Wir gehen ausschließlich danach, welche Bücher Constanze und ich richtig gut und interessant finden. Und das ist auch ganz unabhängig vom Verlag. Es ist uns egal, welcher Autor oder welche Autorin das Buch geschrieben hat. Wenn wir das Buch faszinierend finden, dann hat es eine Chance, zu unserem #pickofthemonth – dem Buch des Monats – zu werden. Aber wir versuchen, einen guten Mix auszuwählen und so verschiedenste Themen vorzustellen. Beispielsweise haben wir im Book Club bereits „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüsay besprochen, wo es darum geht, wie Sprache in der Gesellschaft wirkt. Oder „Breath“ von James Nestor, das die Relevanz des richtigen Atmens zeigt und so ein gesundheitliches Thema betrifft. Und dann Sebastian Dettmers „Die große Arbeiterlosigkeit“. Wie können wir uns dem Hauptthema unserer Zeit widmen? Oder „How to Stand Up to a Dictator“, was machen wir, damit Demokratien nicht durch Fake News auseinanderfliegen?

„Ich bin der ,Das Glas ist halbvoll‘ -Typ.

Das erste Pick of the Month war „Im Grunde gut“ von Rutger Bregman. Was machte es zum perfekten Buch für den Start ihres Book Clubs?
Also, wenn ich über mein absolutes Lieblingsbuch spreche, muss ich vorab erwähnen, dass ich grundsätzlich der „Das Glas ist halbvoll“-Typ bin. Ich suche ständig nach positiven Aspekten, die mir bestätigen, dass am Ende alles gut werden wird. Genau aus diesem Grund fühle ich mich von Bregmans Grundannahme so angesprochen. Er nähert sich der Frage nach dem Wesen des Menschen auf eine unglaublich kluge, eloquente und historisch fesselnde Art. Schon der englische Titel „Humankind“ ist so treffend und inspirierend. Es ist faszinierend, dieses bekannte Wort unter einem neuen Licht zu betrachten und sich zu fragen: Wenn wir von Natur aus „menschlich freundlich“ (human-kind) sind, wie kamen wir dann zu dem Schluss, dass wir im Kern böse sind? Einfach genial!

Welche Bedeutung hatten Bücher in Ihrer persönlichen Entwicklung und Ihrem beruflichen Werdegang?
Lesen ist für mich eine kontinuierliche Form der Weiterbildung, besonders wenn es um Sachbücher und die eigene berufliche Entwicklung geht. Natürlich kann man nicht allein durch Bücher ein herausragender Leader oder eine erfolgreiche Gründerin werden. Aber in vielen guten Büchern teilen Autoren ihre Fehler, ihre erfolgreichen Entscheidungen und nehmen uns auf eine persönliche Reise mit. Ein Paradebeispiel dafür ist Howard Schultz‘ „Pour Your Heart Into It“. Schultz hat mit Starbucks nicht nur eine Marke, sondern eine ganze Erlebniskultur geschaffen. Obwohl dieses Buch bereits vor 24 Jahren veröffentlicht wurde, bietet es immer noch wertvolle Lektionen. Aber ich liebe es auch, Romane zu lesen, besonders wenn ich abschalten möchte. Lesen gibt mir die Möglichkeit, eine Pause von dem ständigen „Mehr ist besser“-Mantra zu nehmen. Für mich sind Bücher oft wie eine Pause-Taste, ein Moment, in dem es nicht um ständiges Wachstum geht, sondern darum, einen Schritt zurückzutreten und wieder zu sich selbst zu finden.

Als zweites haben Sie uns Benedict Wells´ „Hard Land“ mitgebracht. Was macht dieses Buch zu einem Lieblingsbuch?
Wenn ich an die Charaktere denke, die in seinen Büchern beschrieben werden, fühlt es sich an, als wären sie meine Nachbarn. Nach dem Lesen hat man das Gefühl, sie in- und auswendig zu kennen, ihre Persönlichkeit, ihre Emotionen. Die Art und Weise, wie er schreibt und die Analogien, die er verwendet, finde ich einfach beeindruckend. Ein besonderes Beispiel ist „Vom Ende der Einsamkeit“. Mir ist aufgefallen, dass er schon im ersten Satz offenbart, was passieren wird. Dennoch bleibt man als Leser am Ball, gespannt auf das, was sich entfaltet. Und obwohl man tief im Inneren schon ahnt, was geschehen wird, trifft es einen umso härter, wenn es tatsächlich passiert. Ich finde es beeindruckend, wie er all das offenlegt und es gleichzeitig schafft, seine Leser so tief emotional zu berühren.

Welchen Stellenwert haben Bücher und Lesen in der heutigen digitalen und schnelllebigen Welt?
Leider einen viel zu niedrigen. Wenn man sich anguckt, wie wenigen Kindern noch vorgelesen wird, so sind die Zahlen massiv rückläufig. Gleiches gilt für die Frage, wie viele Erwachsene noch zu einem Buch greifen. Es ist ja eine Sache, das Buch zu kaufen, aber eine andere, das Buch dann auch zu lesen.

„Lesen ist das Eingangstor zu allem.“

Seit Jahren beschäftigen Sie sich mit digitaler Bildung. Wie können Bücher und Lesen in diesen Kontext integriert werden, widerspricht sich das Digitale mit dem Lesen nicht?
Nein, gar nicht. Es ist eher so, dass digitale Bildung noch gar nicht richtig stattfindet. Noch unterschätzen wir die Chancen, die dadurch für unsere Kinder entstehen können. Angefangen bei den Kindern, die unsere Muttersprache nicht sprechen. Digitale Medien können individuell auf jedes Kind eingehen und beim Lesen helfen! Digitale Medien können uns, Eltern wie Lehrkräften, Tools an die Hand zu geben, um z.B. verbreitete Lernschwächen zu beheben. Integration beginnt mit Sprache und damit, dass man teilhaben kann. Aus dem Grund engagiere ich mich besonders für digitale Bildung. Dazu gehört neben dem Book Club vor allen Dingen die Book Club Stiftung, die wir gegründet haben, um Leseförderung zu forcieren. Die Formel ist relativ einfach: Kann ich lesen, entstehen Welten. Dann kann ich Dinge verstehen, hinterfragen, mir eine eigene Meinung bilden und bin mündig. Also sage ich: Lesen ist das Eingangstor zu allem.

Bildung spielt auch in Ihrem eigenen Buch „Das neue Land“ eine zentrale Rolle. Welche Botschaft oder welches übergeordnete Ziel verfolgen Sie damit?
Mit meinem Buch wollte ich tatsächlich ein neues Land in den Köpfen der Leser schaffen, und dabei spreche ich nicht von einer abstrakten Utopie. Vielmehr geht es darum, eine Welt zu visualisieren, die wir aktiv gestalten und beeinflussen können. Ich hatte den Anspruch, ein Buch zu schreiben, das die existierenden Probleme oder Missstände unserer Zeit nicht einfach übergeht, sondern konkrete Lösungsansätze präsentiert. Indem ich das Buch mit meinen eigenen Erlebnissen und autobiografischen Elementen anreichere, hebt es sich von einem reinen Sachbuch ab und bekommt eine persönliche Note.

Wie stehen die Chancen, dass Sie noch ein zweites Buch schreiben?
Die Chancen stehen tatsächlich nicht schlecht. Schreiben hat mir unglaublich viel Freude bereitet und ich spüre, dass das Buch eine Wirkung hatte. Selbst heute, drei Jahre später, werde ich noch zu Vorträgen eingeladen und die behandelten Themen sind immer noch aktuell. Ich kann mir definitiv vorstellen, erneut ein Buch zu verfassen. Allerdings möchte ich das erst tun, wenn ich wirklich originär etwas Neues zu sagen habe.

Das nächste Buch, das Sie mitgebracht haben, ist „Stay Away from Gretchen“ von Susanne Abel. Was hat Sie an dieser Geschichte begeistert?
Mir wurde das Buch empfohlen und ehrlicherweise muss ich sagen, dass mich die ersten 50 Seiten nicht wirklich überzeugt haben. Aber dann gab es eine Stelle, die eine persönliche Verbindung zu meiner eigenen Familie herstellte und das hat mich gefesselt. Besonders als es in die Retrospektive des Zweiten Weltkriegs ging, war ich völlig gefangen von der Geschichte. Ich war so bewegt, dass ich sogar weinen musste. Das Buch hat mich zutiefst berührt und ich kann es wirklich jedem ans Herz legen.

Inwiefern können Bücher dazu beitragen, insbesondere Frauen zu ermutigen, sich in der Wirtschaft zu engagieren und Führungspositionen anzustreben?
Es ist tatsächlich so, dass aufgrund der geringen Anzahl von Frauen in bestimmten Positionen in der Wirtschaft, oftmals ein Mysterium darum entsteht, welche Qualitäten und Fähigkeiten eine Frau mitbringen muss, um in solchen Positionen erfolgreich zu sein. In dieser Hinsicht können Bücher wirklich aufklären. Sie bieten nicht nur Geschichten von anderen weiblichen Vorbildern, sondern auch wertvolle Einblicke und Handwerkszeug. Sie können Frauen ermutigen, diesen oft weniger beschrittenen Weg mutig zu gehen.

Eine unglaublich inspirierende Frau ist Maria Ressa, Friedensnobelpreisträgerin und Autorin von „How to Stand Up to a Dictator“. Was haben Sie beim Lesen mitgenommen und was ist Ihr persönliches Fazit zum Buch?
Das ist ein fantastisches Buch. Es setzt die Messlatte genau richtig für eine beeindruckende Persönlichkeit wie Maria Ressa. Sowohl die Autorin als auch das zentrale Thema des Buches, nämlich ‚Wie man sich einem Diktator entgegenstellt‘, haben mich fasziniert. Und darüber hinaus, wie man sich den mächtigen Technologiekonzernen unserer Zeit widersetzt. Maria Ressa gibt dem Wort ‚Mut‘ eine neue Bedeutung. Ihre Geschichte ermutigt uns alle, mutiger zu sein und mehr von uns selbst zu erwarten. Was ich besonders an Ressa schätze, ist ihre stoische Ausdauer. Das Buch ist nicht nur faszinierend, es stammt auch von einer unglaublich inspirierenden Frau.

„… immer ein Buch dabeihaben.“

Was ist Ihre Strategie, um Zeit fürs Lesen in Ihren Alltag zu integrieren?
Es geht darum, sich Gelegenheiten zu schaffen. Ich finde, man sollte immer ein Buch bei sich haben – genauso wie wir immer unser Smartphone dabeihaben. Besonders wir Frauen tragen ja oft eine Tasche mit uns herum. Im Laufe des Tages ergeben sich tatsächlich mehr Lesegelegenheiten, als man vielleicht vermutet. Selbst wenn es nur 10 Seiten sind, die man liest – es bringt einen ins Rollen. Und wenn man diese 10 Seiten mehrmals am Tag liest und sich vielleicht abends noch eine halbe Stunde Zeit nimmt, kommt man richtig in den Flow. Mein Rat wäre also: Einfach aktiv Gelegenheiten schaffen und mal offline gehen. Das Buch brummt oder blinkt halt nicht.

Diese Funktion haben wir noch nicht erfunden.
Ne, bitte auch nicht erfinden.

Was ist Ihre bevorzugte Art zu lesen: gedruckte Bücher, eBooks oder Hörbücher?
Gedrucktes Buch – mit Abstand. Hörbuch gar nicht. Das eBook eigentlich nur, wenn ich Ärger mit meiner Familie kriege, weil ich zu viel Gewicht in den Koffer lade … Wenn ich selbst entscheiden darf, unbedingt das gedruckte Buch.