Über Rassismus sprechen lernen ist wie ein Muskel, den wir als Gesellschaft trainieren müssen!“ Das ist die feste Überzeugung von Tupoka Ogette. Ihr Status: Deutschlands profilierteste und bedeutendste Vermittlerin für Rassismuskritik, vielfach ausgezeichnet und 2021 zum „Idol Of The Year“ gewählt. Seit 2012 ist sie bundesweit im Einsatz als Beraterin und Trainerin, von Kitas bis zu Konzernen, in Workshops und nun auch per Podcast und in ihrer Online-Tupokademie. Nach ihrem Bestseller „Exit Racism“ holt sie uns nun mit ihrem neuen Buch ins Boot.

Beginnen wir mit einem Jahrhundert-Signal, Martin Luther Kings legendärer Ansprache „I Have a Dream“. Welchen Traum haben Sie?
Ich träume von einer rassismuskritischen Gesellschaft, in der wir zum Beispiel Rückmeldungen zu Rassismus als Chance sehen, anstatt mit Abwehr zu reagieren. 

Wie definieren Sie Rassismus?
Rassifizierung plus strukturelle, institutionelle oder gesellschaftliche Macht. 

Und wie erklären Sie sich, dass Rassismus viel zu oft nicht erkannt oder enttarnt wird?
Weil wir oft mit einer unvollständigen Definition von Rassismus in Gespräche über das Thema gehen. 

Dass nicht irgendwelche Anderen gemeint sind, signalisiert schon Ihr Buchtitel „Und jetzt du“. Welcher Ansatz erwartet LeserInnen?
Wir alle sind rassistisch sozialisiert. Wir alle können und sollten etwas dagegen tun. Im Großen, aber besonders auch im Kleinen. Mein Ansatz ist: Lasst uns an die Arbeit gehen. Zusammen. 

Sie verstehen Rassismuskritik als riesige Gemeinschaftsaufgabe. Wie sehen Sie dabei die Rollenverteilung zwischen Ihnen und den LeserInnen?
Ich sehe mich als Vermittlerin. Ich habe eine Kompetenz, vor allem weiße Menschen beim Thema Rassismus zu begleiten. Weil ich es hunderte Male in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft getan habe. Ich begleite die LeserInnen in ihrer Auseinandersetzung. Aber klar ist für mich ebenso, dass auch ich immer Lernende bin. Das sind wir alle.

Ein Dreh- und Angelpunkt Ihres Konzepts ist „Perspektivwechsel“. Was ist Ihnen wichtig, spürbar zu machen?
Niemand von uns schaut objektiv auf diese Welt. Wir alle haben eine subjektive Perspektive, die geprägt wird durch unsere gesellschaftlichen Positionen. Wir werden geprägt durch Erfahrungen, die wir machen und eben auch durch die Dinge, die wir nicht erleben.

„Sprache produziert Wirklichkeit und Sprache ist Macht!“

Welches Signal setzen Sie mit dem großen S am Anfang von z.B. „Schwarze Frau“? Und was macht es Ihnen so wichtig, es genau zu nehmen mit solchen Bezeichnungen beziehungsweise mit der Unterscheidung von Fremd- und Selbstbezeichnungen?
Sprache produziert Wirklichkeit und Sprache ist Macht. Sprache ist nicht neutral. Sprache kann Unterdrückung zementieren, Menschen unsichtbar machen. Sprache kann aber auch befähigen und stärken. Es spielt eine Rolle, wer über wen spricht und wer für sich selbst spricht. Schwarz mit großem S geschrieben signalisiert, dass dies eine politische Selbstbezeichnung ist. Es verbindet Menschen, die seit Jahrhunderten Rassismuserfahrungen machen. Und es verbindet sie in ihrem Widerstand.

Was hat für Sie im sensiblen Bereich der Sprache generell Priorität?
Sprache bietet einen Ansatz, um an einer gerechteren und weniger gewaltvollen Welt zu arbeiten. Ist das nicht großartig?

Ein wichtiges Stichwort ist „White Fragility“, also weiße Empfindlichkeit. Was hat es damit auf sich und welche Herausforderung verbindet sich damit?
In meinem Buch gibt es mehrere Kapitel dazu. Es ist unmöglich, dies in einem Satz zu beantworten. Weiße Zerbrechlichkeit ist die Grenzschutzpolizei von Happyland. Wer verstehen will, was es damit auf sich hat, muss wohl oder übel das Buch lesen.

Unter dem Motto „Und jetzt konkret“ bieten Sie Tools. Wie haben Sie die zusammengestellt und was ist die Leitlinie?
Ich sehe es eher als Impulse. Keine starren Tools oder Leitlinien. Das wäre fatal. Denn Starre verhindert gesellschaftliche Veränderung. Es sind Anregungen für einen rassismuskritischen Alltag. Nochmal: Der Prozess ist ein Marathon, das Buch die Wasserstation. Den Marathon laufen musst eben Du.

Welche Ermutigung geben Sie Ihren LeserInnen mit in die Alltagspraxis?
Ich glaube, ich bin es, die sich ein Zeichen der Hoffnung und vor allem mehr Mut wünscht. Mehr Mut zur Selbstreflexion. Mehr Mut, vor allem von weißen Menschen, sich gegen Rassismus zu positionieren.