Auch als Hörbuch auf Hugendubel.de erhältlich
WER IN DEUTSCHLAND den Namen Ulrich Wickert hört, denkt an „Eine geruhsame Nacht“ und die Tagesschau, an zahlreiche Sachbücher über Frankreich, vielleicht an Krimis oder „Das Wetter“. Seit Jahren engagiert sich Ulrich Wickert aber auch für Kinder, für ihre Rechte. Gemeinsam mit seinen 7-jährigen Zwillingen hat er nun ein besonderes Vorlesebuch veröffentlicht, in dem es phantasievoll und spannend zugeht. Die einzige Regel der Familie Wickert: „Am Ende muss es immer gut ausgehen!“ Womit sich der Kreis schließt und es nach dem Vorlesen wieder heißt: „Wir wünschen eine geruhsame Nacht.“
„Ritter Otto …“ ist Ihr erstes Vorlesebuch. Wie ist es entstanden?
Das Buch ist ganz zufällig und spielerisch aus den Geschichten entstanden, die ich meinen inzwischen 7-jährigen Zwillingen – eine Tochter und ein Sohn – erzählte, die sie durch Zwischenrufe immer wieder beeinflussten. Wichtig etwa die ständig wiederkehrende Forderung: „Es muss aber was Gefährliches passieren.“ Da musste ich manchmal schon arg nachdenken und den Erzählstrang verändern. Deshalb ist es tatsächlich ein Buch von Rose und Curt, das unter meiner Feder dann Buchform gefunden hat.
„Uli, erzähl mal eine Geschichte.“
Dem Ritter sind noch weitere Protagonisten an die Seite gestellt. Aus welchem Hut wurden die gezaubert?
Die Kinder sagten irgendwann einmal: „Uli, erzähl mal eine Geschichte.“ Natürlich sollte sie selbst erfunden sein. Und dann habe ich gefragt, wovon sie denn handeln solle. Also haben die Kinder Personen erfunden. Zuerst Ritter Otto, dann aber auch die Prinzessin, die Hexe und allerhand andere Figuren. Es ist abenteuerlich, was dort alles geschieht und wer auftritt: Siegfried, der Drachentöter, die Medusa etc. Und ganz durch Zufall begegnen wir auch Gedichten wie Goethes Zauberlehrling, Fontanes Herrn von Ribbeck oder Rilkes Karussell. Da die Kinder immer wieder aktiv in das Geschehen eingegriffen haben, sorgten sie schon dafür, dass auch Spannung entstand. Noch bevor Langeweile eintreten konnte, wurde mir erklärt, welche plötzliche Wendung die Geschichte nun zu nehmen hatte.
Manche Menschen würden Kinder ja gerne vor aller Unbill schützen – und fürchten Geschichten, die zu aufregend sind. Wie stehen Sie dazu?
Der Phantasie der Kinder dürfen keine Grenzen gesetzt werden. Und bei den Abenteuern, die ihnen vorgelesen werden, kann es wild zugehen, etwa wenn Ritter miteinander kämpfen und einer Medusa der Kopf abgeschlagen wird. Es kann spannend sein, wenn ein Drache über brennende Wälder fliegt. Aber unabdingbar ist: Am Ende muss es immer gut ausgehen.
Ihre Kinder haben in der Geschichte so einiges an Spannung und Gefahr platziert. Was spricht dafür?
Eher müsste man fragen: Was spricht dagegen? In der gesamten Literatur, ob für Kinder oder nicht, geht es von Märchen über den Grüffelo bis zu der Sagenwelt der Griechen oder Germanen immer gefährlich oder gruselig zu.
„Neue Vorschläge fördern die Phantasie“
Die Entwicklung der Geschichte lässt sich im Buch dank zweier Textfarben nachvollziehen. Eine Herausforderung für einen Vorleser mit ebenfalls vorschlagsfreudigen Kindern?
Wir haben ja auch nur das reale Leben abbilden wollen. Natürlich wird es für den Vorleser gefährlich, wenn die zuhörenden Kinder dann auch noch Vorschläge machen. Aber das fördert ja die Phantasie. Besser könnte es nicht laufen.
Wäre es in Ihrem Sinne, wenn Vorleser sich nach der Lektüre von „Ritter Otto“ mit eigenen Ideen ans abendliche Werk machen?
Ja, dann wäre doch viel erreicht. Das Buch von Ritter Otto hätte die Phantasie angestachelt und nun können die Kinder mit dem Vorleser Geschichten erfinden, in denen Personen vorkommen, mit denen sie sich identifizieren.
Hand aufs Herz, lieber Herr Wickert: Was mache ich, wenn ich morgen ein und dieselbe Geschichte wiederholen soll und dabei leider ein Detail, wie den Namen des Pferdes, vergesse? Wie bringe ich mich aus der Bredouille?
Das passiert mir auch. Aber da kann man sicher sein, Kinder rufen sofort den richtigen Namen!
Rose und Curt steuern ihre Ideen unbefangen bei: Es geht nie um Mädchen- oder Jungen-Klischees. Wenn Curt an einen Ritter denkt – dann ist das eben so. Müssten wir – vor dem Hintergrund der Genderdiskussionen – unsere Kinder schon hier „anders“ erziehen?
Ach, du lieber Gott! Wir können ja damit anfangen, rosa und blau zu tauschen. Das Merkwürdige ist ja: Jungs wollen von Geburt an mit Kabeln rumfummeln, Mädchen mit Kuscheltieren.
An nicht wenigen Stellen im Buch schildern Sie Szenen aus dem täglichen Leben – und Ihren Umgang mit diesen Situationen, wie z.B. dem Trödeln oder Verzögern des Zu-Bett-gehens. Stichwort „Bestechung“. Wäre es vermessen, „Ritter Otto“ auch als einen kleinen Erziehungsunterstützer zu bezeichnen?
Nein, das ist überhaupt nicht die Idee gewesen. Das tägliche Leben ist eben so, wie das tägliche Leben hier geschildert wird. Bei anderen Familien mag es ganz anders zugehen. Manche Eltern finden die „kleinen Erziehungsunterstützer“, die hier geschildert werden, wie das Versprechen eines Stickerheftes, wahrscheinlich unangebracht. Pädagogisch unakzeptabel. Hier geht es nun einmal so zu wie geschildert – ohne irgendwelche Hintergedanken.
„Kindern darf man etwas zumuten“
In einem sehr lesenswerten Nachwort formulieren Sie eine Bitte: „Geben Sie Gedankenfreiheit.“ Beschränken wir uns so offensichtlich selbst?
Ich fürchte, so ist es. Wenn wir Angst haben, Kindern dies oder das „zuzumuten“, und ihnen deshalb eine heile Welt vorgaukeln. Selbst in Fontanes Ribbeck misstraut der Alte seinem Sohn, der geizig ist, weshalb der Senior eine Birne mit ins Grab nimmt.
Die Illustrationen für „Ritter Otto “ sind von Julie Völk. Wie wurden Sie beide zum Team?
Die Idee kam dem Verlag. Wir sind begeistert!
Wie haben Sie die Zusammenarbeit gestaltet? Hat Julie Völk Kapitel von Ihnen erhalten oder haben sie beide im Gespräch den groben Rahmen der Handlung vorab festgelegt?
Der Text entstand, lange bevor Julie Völk ihn zu lesen bekam.
„Missstände machen mich wütend“
Ihr Engagement für Kinder hat eine lange Tradition. Gemeinsam mit Ihrer Frau haben Sie 2011 die „Ulrich-Wickert-Stiftung für Kinderrechte“ gegründet. Was liegt Ihnen am Herzen? Sehen Sie uns hier auf einem guten Weg?
Die Stiftung für Kinderrechte im Rahmen des Kinderhilfswerks Plan zeichnet deutsche und internationale Journalistinnen und Journalisten dafür aus, dass sie auf Missstände hinweisen. Was dort häufig geschildert wird, macht mich wütend. Die „Erwachsenenpresse“ regt sich manchmal darüber auf, dass deutsche Politiker zu Besuch in Moskau oder Peking sich nicht genügend für die Menschenrechte eingesetzt hätten. Aber sie sehen nicht, dass die Menschenrechte – und das sind Kinderrechte ja auch – in Indien und anderen Ländern hunderttausendfach gebrochen werden, wenn Mädchen in Bordelle oder als Hausarbeiterinnen – ab sieben Jahren – verkauft werden, und da entsteht kein großes Geheule.
Auch in der Jugendpresse Deutschland, dem Bundesverband junger Medienmacher, sind Sie engagiert. Was macht dabei das Besondere für Sie aus?
Wer es in seinem Berufsleben zu einer gewissen Fertigkeit geschafft hat, sollte sein Wissen und Können jungen Menschen zur Verfügung stellen, sollte sie ebenbürtig behandeln und ihnen Respekt erweisen, indem er ihnen Anleitung anbietet.
Die Liste Ihrer Auszeichnungen ist lang – noch länger die Ihrer Ehrenämter. Wie finden Sie die Zeit für Ihr Engagement?
Ach, wissen Sie, andere Leute spielen Golf. Das kann ich nicht. Deshalb widme ich mich in meiner freien Zeit nebenbei auch diesen Ehrenämtern.