Wo Schweden am schönsten ist, verbringt Viveca Sten nicht nur ihre Ferien, sondern sie siedelt an ihren Lieblingsorten auch ihre Kriminalromane an: Sandhamn im Stockholmer Schärengarten, wo ihre Familie seit 1917 ein Sommerhaus besitzt, wurde zum Zentrum ihrer internationalen Bestseller. Nun fesselt sie mit dem Startband ihrer Polarkreis-Reihe. Åre, Viveca Stens Skiparadies, ist das Revier ihrer neuen ErmittlerInnen um Hanna Ahlander und Daniel Lindskog.

Seit Ihrem Krimidebüt 2008 reihen Sie einen Erfolg an den anderen. Sind Sie eine sehr disziplinierte Autorin?
Dies Frage kann ich wohl mit ja beantworten. Es hat sicherlich Spuren hinterlassen, dass ich mehr als 20 Jahre als Wirtschaftsjuristin tätig war. Weiterhin braucht man ein gewisses Maß an Disziplin, um jedes Jahr ein Buch zu schreiben. Andererseits versuche ich durch Yoga und Skifahren einen Ausgleich zu meinem Arbeitspensum zu finden. Manchmal gönne ich mir auch eine Auszeit und dann verbringe ich einige Tage in unserem Sommerhaus in Sandhamm.

Und kennen Sie den geheimen Schlüssel, der aus jedem Buch einen Bestseller macht?
Ich weiß nicht, ob es sich um ein Geheimnis handelt – aber ich versuche, interessante Geschichten über Personen zu schreiben, zu denen die Leser eine Beziehung aufbauen können. Und dann versuche ich natürlich jedesmal, eine mitreißende Handlung zu erstellen.

Schwedenkrimi-Fans kommen nicht an Ihren zehn Schärengarten-Bestsellern vorbei. Wie hat sich durch Ihre Krimierfolge Ihr Leben verändert?
Ich habe bis 2011 als Wirtschaftsjuristin gearbeitet und mein Leben hat sich natürlich dramatisch verändert, als ich Vollzeit-Autorin wurde. Ich werde auch häufig von Fremden erkannt, was mich zuweilen erschreckt.

„Ich hatte die Vision einer Leiche im Liftsessel.“

Nun überraschen Sie mit Ihrem ersten Polarkreis-Krimi. Was hat Sie zu diesem Ortswechsel bewogen?
Ich hielt mich gerade in unserer Berghütte im Skigebiet Åre auf, als Corona zuschlug. Es war ein surreales Erlebnis, die herrliche Bergwelt und die fesselnde Landschaft zu genießen, während eine todbringende Pandemie um die Welt fegte. Es war sehr apokalyptisch, doch für mich als Verfasserin von Kriminalromanen auch inspirierend. Eines Tages waren wir sehr früh mit unseren Skiern unterwegs und als wir zum Skilift kamen, hatte ich die Vision einer Leiche auf einem der Liftsessel.

Ihr neuer Krimi führt in den Norden Schwedens. Was macht für Sie den Reiz der Provinz Jämtland aus?
Åre hat einen besonderen Platz in meinem Herzen – es ist einer der Orte, an denen ich mich zu Hause fühle.

Ihre Heimatstadt Stockholm ist ein Krimi-Hotspot. Sie aber haben Åre in der Provinz als Hauptschauplatz vorgezogen. Warum?
Ich wollte die grandiose Landschaft um Åre mit starken Persönlichkeiten in Verbindung bringen, um so eine mitreißende Mordgeschichte zu erhalten.

Die Widmung im Buch lässt darauf schließen, dass Sie eine persönliche Geschichte mit Ihrem Schauplatz verbindet. Wann und wie haben Sie den Ort Åre für sich entdeckt?
Ich bin von jeher eine begeisterte Skifahrerin und fing bereits mit 4 Jahren an, diesen Sport zu betreiben. Åre ist das bekannteste Skigebiet in den nordischen Ländern und wir besitzen seit geraumer Zeit eine Berghütte in diesem Gebiet.

„Hanna ist eine komplizierte Persönlichkeit.“

Ihre neue Protagonistin heißt Hanna Ahlander. Wer ist sie? Wie würden Sie sie beschreiben?
Hanna ist eine komplizierte Persönlichkeit, die es sich in den Kopf gesetzt hat, wehrlosen Frauen zu helfen. Mit kaum 20 Jahren wurde sie selbst zum Opfer sexuellen Missbrauchs. Dieses Erlebnis veranlasste sie, Polizistin zu werden. Es fällt ihr nicht leicht, eine professionelle Distanz zu bewahren, da sie von ihren Emotionen beherrscht wird. Doch gleichzeitig ist sie eine ausgezeichnete Polizeibeamtin, die über einen scharfen Instinkt verfügt. Durch ihr schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern, und besonders ihrer Mutter, fühlt sie sich mit ihrem Kollegen Daniel Lindskog verbunden, der der Vater eines kleinen Mädchens ist und der damit zu kämpfen hat, dass sein eigener Vater ihn verließ, als er ein kleiner Junge war.

Was macht Hanna als Hauptfigur einer ganzen Reihe interessant?
Sie hat eine Menge interessanter Charakterzüge und eine Vergangenheit, die voller Ereignisse ist, von denen wir im Laufe der Serie mehr erfahren werden. Ich möchte betonen, dass Daniel eine weitere Hauptperson ist. Ihn werden wir im Lauf der Serie noch besser kennenlernen.

Warum lassen Sie am Anfang Ihres Kriminalromans „Kalt und still“ erst einmal Hannas Welt zusammenbrechen?
Es war notwendig, ihr einen Grund zu geben, in Åre Zuflucht zu suchen. Ich brauchte ja jemanden, der von außen kommt und alles im Polizeirevier durcheinanderbringt.

In „Kalt und still“ kümmert sich die große Schwester Lydia um Soforthilfe für Hanna. Was ist daran typisch für die beiden und wie prägt es das Verhältnis?
Lydia ist ein Musterbeispiel für eine große Schwester, da ich eine Beziehung voller Zuneigung zwischen Hanna und einem anderen Familienmitglied darstellen wollte. Da sie mit ihrer Mutter nicht klarkommt, hat Lydia schon früh die emotionale Verantwortung für Hanna übernommen. Sie ist die einzige Person, auf die Hanna immer zählen kann, gerade auch, wenn ihre Welt zusammenfällt.

Stichwort Familie: Ihre älteste Tochter Camilla ist inzwischen selbst Autorin. Wie intensiv tauschen Sie sich über Ihre aktuellen Schreibprojekte aus und was erweist sich dabei als besonders produktiv und hilfreich?
Wir dienen einander als Resonanzboden, wenn wir beim Sammeln von Ideen sind oder Fragen zur Entwicklung von Charakteren haben. Es ist der blanke Luxus, eine Vertrauensperson zu haben, die 100 % ehrlich mit einem ist.

Camilla bewundert Stephen King. Und Sie? Welche Autorenkollegen schätzen Sie besonders?
Ich war, wie so viele andere, fasziniert von Astrid Lindgrens Pippi 
Langstrumpf. Im Alter von 12 Jahren tauchte ich völlig in die Welt von Tolkien ein. Ich habe den Herr der Ringe mindestens ein Dutzend Mal gelesen, sowohl auf Schwedisch als auch auf Englisch.

Hannas Schwester Lydia hat Karriere als Anwältin gemacht – wie Sie selbst. Wie hilfreich ist Ihr früherer Arbeitsalltag für Sie als Autorin?
Nachdem ich lange Zeit nur Sachbücher geschrieben hatte, war es ein großer Unterschied für mich, plötzlich Romane zu schreiben. So gibt es zum Beispiel im Sachbuch keine Dialoge. Was ich jedoch sehr schnell lernte, war die nötige Disziplin beim Schreibprozess und die Notwendigkeit, gründliche Forschungsarbeit zu leisten.

Um strukturiert zu schreiben, haben Sie ein bestimmtes Vorgehen entwickelt. Wie funktioniert es und wie lautet in „Kalt und still“ Ihr Schlüsselwort?
In der Regel stehe ich sehr früh auf und schreibe den ganzen Tag. Ich bin eine sehr disziplinierte Autorin. Ich erstelle auf Spotify auch eine Musikliste, und die Titel darauf spiele ich während des Arbeitsprozesses immer wieder ab. Wenn ich in Åre bin, mache ich zwischen 12 und 14 Uhr eine Pause, um Ski zu fahren und außerhalb des Hauses etwas frische Luft zu schnappen.

„Ihr einziger Hinweis: ein Schal im Schnee.“

Worum geht es bei Hannas ersten Fall in Åre?
Das ganze Dorf von Are ist erschüttert von dem plötzlichen Verschwinden eines einheimischen Mädchens im Teenageralter. Hanna fühlt sich berufen, Untersuchungen anzustellen, und bei der Suche nach der vermissten Person kommt sie unverhofft zu einem Job in der Polizeistation des Dorfes. Sie tut sich mit Polizeikommissar Daniel Lindskog zusammen, dessen Auftrag es ist, das Mädchen zu finden. Ihr einziger Hinweis: ein Schal im Schnee. Die Temperatur fällt unter Null und ein verheerender Blizzard nähert sich dem Dorf. Hannas und Daniels Nachforschungen werden immer verzweifelter, da ihnen die Zeit davonläuft, ganz egal ob das vermisste Mädchen sich nun verlaufen hat, oder ob es entführt worden ist. Jeder neue Anhaltspunkt weist auf etwas hin, das noch viel unheilvoller ist, als Hanna und Daniel es sich hätten vorstellen können.

Offiziell ist für den Vermisstenfall die örtliche Polizei zuständig. Wie ist das Verhältnis zwischen Hanna und ihren einheimischen Kollegen?
Hanna und Daniel werden völlig von den Nachforschungen bezüglich des erfrorenen Opfers im Skilift in Beschlag genommen. Dabei macht Hanna auch die Bekanntschaft von zwei weiteren Polizisten, Anton und Raffe.

Das Geschehen schildern Sie nicht nur aus Hannas Sicht, sondern aus unterschiedlichen Perspektiven. Wie haben Sie die ausgewählt und worauf kommt es Ihnen dabei an?
Ich wollte ein Buch schreiben, das ich selbst gerne lesen würde und ich mag es, wenn man eine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt bekommt. Wir alle wissen, dass es bei jeder Handlung unterschiedliche Blickwinkel gibt.

„Ich treffe mich mit Polizisten und spreche mit Experten.“

Bekannt sind Sie nicht zuletzt für Ihre intensiven Recherchen. Wie gehen Sie vor und was bewährt sich dabei?
Es fängt in der Regel damit an, dass ich einen Ort, einen Artikel oder etwas anderes sehe, das meine Aufmerksamkeit erregt. Danach entsteht eine Geschichte in meinem Kopf. Ich lese mich ausführlich ein, treffe mich mit Polizisten und spreche mit Experten, die sich mit den Themen auskennen, über die ich schreibe. Die meisten Leute sind überaus nett und bieten gerne ihre Hilfe an.

Sie beschreiben Åre in der Vorweihnachtszeit. Was waren für Sie die intensivsten Eindrücke vor Ort?
Vor Weihnachten trifft man nicht auf so viele Touristen wie zum Höhepunkt der Skisaison – der Ort präsentiert sich also anders und weniger intensiv – aber äußerst hübsch mit all dem Weihnachtsschmuck, den Lichtern und einer Überfülle an Schnee und Raureif an den Bäumen. Man wird an einen Weihnachtsfilm von Disney erinnert.

In „Kalt und still“ geht es am Luciafest hoch her. Welche Traditionen schätzen Sie an diesem Lichterfest am meisten?
Die herrlichen Lieder, die der Chor singt, und natürlich die schwedischen Lussebullar, das traditionelle Safran-Gebäck.

Welche Zukunftspläne haben Sie für Hanna Ahlander?
Sie durchläuft eine enorme Persönlichkeitsentwicklung im Lauf der Reihe. In „Kalt und Still“ hat sie Liebeskummer und ist arbeitslos. Hanna beweist aber viel Durchhaltevermögen und diese Eigenschaft hilft ihr weiterzumachen, wenn auch nicht immer auf glückliche Art und Weise. Im weiteren Verlauf dürfen wir miterleben, wie sie reifer wird und sich den Umständen anpasst. Freilich nicht immer so, wie man es erwarten würde.

Steckbrief Hanna Ahlander

Heldin oder Anti-Heldin?
Heldin

Berufung?
Polizistin: Ihr größtes Ziel ist es, häusliche Gewalt zu verhindern.

Aktueller Status?
Single

Größte Herausforderung?
Dass sie ihre Emotionen unter Kontrolle bringt.

Besondere Stärke?
Sie hat einen untrüglichen Instinkt als Polizistin.

Verhängnisvollste Schwäche?
Siehe oben!

Trauma?
Als sie jünger war, wurde sie von einem Mann sexuell missbraucht.

Beziehungstauglichkeit?
Wenn es die richtige Person ist.

Lifestyle?
Sie ist Single und geht in ihrem Beruf auf, das heißt: Sie arbeitet unermüdlich, manchmal auf Kosten ihres Wohlbefindens.