Sternenfunkeln und Blitzlichtgewitter, Wildnis und roter Teppich: Für Benno Fürmann kein Entweder, sondern bereichernde Fülle. Der vielfach ausgezeichnete Schauspieler verbindet die unterschiedlichsten Facetten und Erfahrungen. 1972 in Berlin geboren, ist er weit auf der Welt herumgekommen. Überall sucht er die Nähe zur Natur. Wie sie ihm und uns zur Kraftquelle und Ermutigung für Herausforderungen wird, schildert er eindrucksvoll in seinem ersten, sehr persönlichen Buch „Unter Bäumen“ über seine bisherige Lebensreise.

Weltenbummler, Abenteurer, Naturbursche: Solche Einschätzungen fallen einem spontan ein, wenn man in Ihrem neuen Buch die Fotostrecke betrachtet. Wie sehen Sie sich selbst?
Die Natur war immer ein sehr wichtiger Bezugspunkt für mich, alle drei Typisierungen leiten sich aus diesem Verhältnis ab.

Die Fotos für Ihr Buch haben Sie aus Ihrem privaten Fundus ausgesucht. Wie war das Stöbern für Sie und inwiefern war damit auch ein Bilanzziehen rund um Ihren 50. Geburtstag verbunden?
Eine Fotokiste hat einen großen sentimentalen Wert. Es ist ja nicht nur das, was auf dem Foto zu sehen ist, sondern das Foto selbst. Das Gesicht auf dem Foto ist ewig jung, das Papier aber ist gealtert, mein Vater hielt es in den Händen … Das unterscheidet das Analoge vom Digitalen.

Ihr Buch hat etwas von einer Autobiografie, aber nicht im klassischen Sinn. Was hat Sie davon abgehalten, die Geschichte Ihrer großen Erfolge zu erzählen und was möchten Sie nun stattdessen in Ihrem Buch teilen?
Ich startete mit der Natur als Ausgangspunkt. Die Natur als Kraftort, den es unbedingt zu schützen gilt und der uns tiefer mit uns selbst verbindet. Meine Überforderung mit den klimatischen Veränderungen hat mich umgetrieben, die Fragen, die ich ans Leben habe, die die meisten von uns ans Leben haben. Und dann ging der Fächer immer weiter auf, es war eine logische Konsequenz, dass ich auch von mir, von dem, was mich geprägt hat, erzähle … und so ist es auch autobiografisch geworden.

Wie gut passt zu Ihrer Schreibperspektive und Ihrem Buch die Vorstellung einer Lebensreise?
Auf der befinden wir uns alle. Aber noch nie habe ich die akuten Fragen als so existenziell empfunden. Ich bin allerdings auch erst nach 1945 geboren.

Welchem inneren Kompass sind Sie bei der Arbeit an Ihrem Buch gefolgt?
Am Anfang war viel Starren gegen die Wand, aber nach ein paar Tagen floss die Tinte. Und ich ließ fließen. Ich hatte den großen Luxus, mit Philipp, meinem Koautor, jemanden im Hintergrund zu haben, der über 9 Monate mit meinen Gedanken in Resonanz ging, mir Rückmeldung gab und mir bei der letztendlichen Gliederung half.

Sie beschreiben Ihre Eltern als gegensätzliche Temperamente. Wurde das für Sie eher zur Zerreißprobe oder zur Bereicherung?
Ich denke beides. Das Problem in meiner Kindheit war das Entweder-oder. Meine Eltern haben sich früh getrennt, meine Mutter verstarb, als ich 7 Jahre alt war. Insofern haben sich die gegensätzlichen Pole selten befruchtet, sondern ich war entweder meiner Mutter oder meinem Vater, entweder der einen oder der anderen Meinung ausgesetzt.

„… halbwegs in Balance zu kommen, ist immer noch Lebensaufgabe für mich.“

Eines Ihrer häufigen Kindheitsgefühle war „allein im All“. Was verursachte diese Empfindung und welche Lebenslektion wurde für Sie daraus?
Ich habe mich wahrscheinlich oft nicht gesehen gefühlt, mein Wesen nicht grundsätzlich als willkommen seiend empfunden. Daraus resultierten Rückzug und Aufbegehren, je nach Stimmung. Diese unterschiedlichen Pole halbwegs in Balance zu bekommen, ist immer noch Lebensaufgabe für mich.

Welche Werte und Weltsichten Ihres Vaters wirken bis heute in Ihnen nach? Wofür sind Sie ihm sogar dankbar?
Ethik, Anstand und soziales Verhalten sind Grundwerte, die mir sehr wichtig sind. Und im Einfordern dergleichen war mein Vater kompromisslos und integer. Für dieses Vorbild bin ich ihm sehr dankbar.

Sie waren 7, als Ihre Mutter starb, und 15 beim Tod Ihres Vaters, kurz danach haben Sie Ihre Großmutter verloren. Wie haben Sie dieses Zuviel an Verlusten überlebt?
Ich weiß es nicht. Resilienz ist das Modewort der Stunde. Und wahrscheinlich besitze ich da eine ganz gute Grundausstattung – die ich mir aber nicht selber gegeben habe, da hatte ich Glück. Und ich habe immer wieder eine Kraft gespürt, die nicht von mir kam, die über mich hinausging, die mich getragen hat.

Zum Foto als skeptisch dreinblickender Schüler in Berlin-Kreuzberg am Hermann-Hesse-Gymnasium verraten Sie, dass Sie auch viel von Hesse gelesen haben. Welche seiner Bücher und was hat ihn für Sie bedeutsam gemacht?
Hesse war in seiner Einsamkeit, mit seiner Wut auf die harte Obrigkeit mein Seelenbruder, mein Schicksalsgenosse. Er war Zuflucht und Stimulanz und Hoffnungsschimmer, dass es weiter geht, immer weiter …

Was für ein Lesertyp sind Sie heute und welche Bücher haben für Sie einen besonderen Stellenwert gewonnen, ob als Rettungsanker oder Inspirationsquelle?
Raymond Carver kann ich immer wieder lesen, Richard Yates … Ich liebe Richard Ford, mit dem elternlosen Jungen in „Kanada“ konnte ich gut mitgehen, auch seine Kurzgeschichten sind toll, oder „Der Womanizer“. Ich erwähne in meinem Buch Cormack McCarthys „The road“, die Lektüre hat bei mir emotionale Spuren hinterlassen. Nahrung für meine Seele und Hilfe bei der inneren Ausrichtung ist immer wieder Lao-Tses „Dao De Jing“ in der Übersetzung von Steven Mitchell.

„Die Entscheidungs­findung fällt mir nicht immer leicht.“

Als Schauspieler lesen Sie auch viele Drehbücher, um über Rollenangebote zu entscheiden. Stimmt das Gerücht, dass Sie so lange um einen See laufen, bis Sie sicher sind, was sich für Sie richtig anfühlt?
Ja, die Entscheidungsfindung fällt mir nicht immer leicht. Darum geht es ja auch viel in meinem Buch: Was ist richtig, was ist falsch und basierend auf welchen Parametern. Ich höre halt nicht immer sofort eine klare Antwort in mir, also muss ich manchmal mit der Frage ein Stückchen gehen.

Wie sehen Sie heute Ihr Porträt als junger Born-to-be-wild-Typ auf der Harley Davidson?
Der hatte seine Zeit und ruht heute geliebt in meiner Brust.

Ihre Harley von damals haben Sie verkauft, um Ihre Schauspielausbildung an der Lee-Strasberg-Schule zu finanzieren. Was hat New York für Sie zum Versprechen gemacht und wie charakteristisch ist das für Sie?
NY war aufregend und international und cool und weit weg, das hatte Eros. Und ich bin begeisterungsfähig: Alles auf eine Karte zu setzen und ganz in ein Thema reinzugehen, damit kann ich immer noch was anfangen.

Wann und wie haben Sie Ihr Talent zur Schauspielerei und Ihre Lust daran entdeckt?
In der Schule habe ich immer wieder an Aufführungen in der Aula teilgenommen. Am eindringlichsten war da für mich, beim Tucholsky-Abend den Monolog „Ein älterer, aber leicht besoffener Herr“ zu geben. Ich hatte keine Ahnung, was ich mache, war voll mit Adrenalin und hatte Lust auf mehr.

Spielen Sie lieber Charaktere, die Ihnen ähnlich sind? Oder ziehen Sie Ihnen wesensfremde, rätselhafte Typen / Rollen vor?
Beides hat seinen Charme. Beim Ersteren kann ich fauler sein, es ist aber auch intimer …

Welche Funktion erfüllt das Schreiben für Sie? Trägt es auch dazu bei, Klarheit zu gewinnen?
Total. Mit mir selber in Resonanz zu gehen, in einen inneren Dialog, um rauszufinden, wie ist das denn für mich überhaupt, war sehr spannend. Und mir selber zu erlauben, nicht zu wissen, war toll. Forschen zu können, den Fragen zu lauschen, ohne auf Antworten stoßen zu müssen. Und es hat mir eine Struktur gegeben, das Schreiben wurde zwischen den Drehtagen zu meiner Routine, zu meinem Anker.

„Bäume ragen still und geheimnisvoll über uns empor!“

Ein Signal setzen Sie schon mit dem Buchtitel „Unter Bäumen“. Was macht Bäume zum Schlüsselsymbol Ihres Debüts und vielleicht auch Ihres Lebens?
Die Natur, insbesondere Bäume kommunizieren in einer Sprache, die wir erstmal nicht verstehen. Sie ragen still und geheimnisvoll über uns empor. Dennoch sind wir mit ihnen verbunden. Wir sind alle die eine Erde. Ich glaube, wenn wir uns als Natur der Natur hingeben, führt das zu einer Vertiefung des Lebens in uns. Und ich glaube, je demütiger wir werden, je verbundener, desto weniger werden wir die Brutalität gegenüber der Natur, gegenüber uns an den Tag legen können.

Im Prolog erwähnen Sie, dass Fragen Ihr Treibstoff sind. Welche Überzeugung oder Lebenshaltung steht dahinter?
Rilke hat das so schön geschrieben, dass wir nicht nach Antworten suchen sollten, die wir vielleicht noch gar nicht leben könnten, sondern uns den Fragen hingeben sollten, um vielleicht eines Tages der Antwort ein Stückchen näher gekommen zu sein … Ich glaube, jeder und jede von uns ist eine Frage ans Leben.

357 Fragezeichen haben Sie beziehungsweise Ihr Computer in Ihrem Buch gezählt. Wie lautet Ihre Kernfrage?
Wie geht das Leben? Und ich habe mehr Fragen als Antworten, aber da sind wir wieder beim Treibstoff …

Die meisten Fotos zeigen Sie mitten in der Natur, der Sie das erste große Kapitel in Ihrem Buch widmen. Was macht Ihnen Natur elementar wichtig und welche Naturerfahrungen bewegen Sie besonders?
Wenn wir uns den Elementen aussetzen, ruht danach der Kopf ruhiger auf den Schultern. Die Natur erdet uns, verbindet uns tiefer mit uns und mit der Welt. Ich empfinde unter einem Baum, vor einem Berg tiefe Demut. Und vielleicht hören in der Natur die Fragen auch ein Stück weit auf, weil wir einfach sind.

Sie beleuchten die Natur aus unterschiedlichen Perspektiven. Was möchten Sie bewusst machen?
Dass wir nur aus der Abspaltung, aus der Trennung so auf dem Planeten agieren können, wie wir es tun. Ich bin du und du bist ich. Wir sind der eine Mensch, der eine Planet. Je tiefer wir uns mit uns und mit der Welt verbinden, desto mehr folgen wir dem natürlichen Lauf der Dinge, sind angebunden an die Schöpfung, an den Fluss des Lebens. Die Natur macht mich glücklich, ich lade in ihr meine Akkus auf und gleichzeitig weiß ich, was ich schützen will, wenn ich von dem umgeben bin, um was es geht.

„Ich glaube nicht an Alles-richtig-machen …“

Natur- und Klimaschutz sind Ihnen große Anliegen. Wie würden Sie Ihre Ideale auf den Punkt bringen und was ist Ihnen im eigenen Alltagsleben am wichtigsten?
Ich glaube nicht an Alles-richtig-machen, aber an eine innere Ausrichtung, einen Kompass. Wer sich nie Ausnahmen erlaubt, kriegt hässliche Falten, wer keine Linie hat, eiert durchs Leben. Was heißt anständiges Leben, anständiges Verhalten im Jahre 2023? Wie können wir lustvoll und gleichzeitig verantwortungsbewusst durch die Welt navigieren? Darauf gibt es keine pauschale Antwort, sondern die Welt entsteht jeden Moment durch die Summe unserer Einzelentscheidungen.

Ihre Fotoauswahl führt ziemlich rund um den Globus. Was macht Reisen für Sie zum Grundbedürfnis?
Die Neugier auf die Welt, die Lust auf die immer neue Schönheit der Welt, fremde Gerüche, andere Farben, andere Kulturen … Nach einer guten Reise fühle ich tiefer, weiter, neu verbunden.

Wie suchen Sie die Ziele aus?
Da gibt es immer einen Schatz von Zielen in meinem Herzen. Orte von denen ich gehört, gelesen habe, an denen ich aber noch nie war.

Nach Patagonien möchten Sie unbedingt noch einmal reisen. Was fasziniert Sie an der südamerikanischen Region?
Unfassbare Schönheit, kolossale Weite und fast keine Menschen. Man hört nur den Wind.

Wo liegt Sokotra und was hat Sie da zu Luftsprüngen veranlasst? Was haben Sie von der Lebensstrategie des Drachenblut-Baums gelernt?
Sokotra gehört zum Jemen, liegt aber vor Somalia. Der Luftsprung war der Liebe zum Leben geschuldet. Wir hatten einen absurd anstrengenden Aufstieg durch Dorngestrüpp hinter uns, waren froh, endlich auf dem Plateau zu sein und wurden langsam vom Nebel eingehüllt. Die Drachenblutbäume versorgen sich durch ihn mit Feuchtigkeit. Bäume sind gleichmütig, verwurzelt und verbunden, da ist für mich immer eine stille Würde.

„In der Einfachheit ist der ganze Spaß enthalten.“

Auf Sokotra haben Sie nicht zuletzt Spaß am „Dosenwerfen auf Jemenitisch“ gefunden. Was ist für Sie das Tolle dabei?
In der Einfachheit der Dinge ist der ganze Spaß enthalten. Je weniger ist, desto mehr wirkt das Einzelne. Wir haben mit dem Dorfältesten und Jugendlichen Steine auf eine Plastikflasche geworfen und nicht anderes vermisst, sondern herzlich gelacht.

Sie animieren Ihre LeserInnen, Kraftorte in der Natur aufzusuchen. Was verstehen Sie darunter und welche Plätze zählen für Sie selbst dazu?
Vor Bergen werde ich demütig. In ihrer schweigenden Präsenz setzen sie sich ungerührt den Elementen aus. Sie waren vor mir und werden nach mir sein. Ein Gletscher ist nicht statisch, sondern in Bewegung. Da ist Energie. Pflanzen kommunizieren nicht durch Sprache, sondern schweigend. Alles lebt und ist Teil vom Mysterium des Lebens. Je mehr ich in der Natur bin, desto stiller werde ich.

Wie hat die Arbeit an Ihrem Buch Ihr eigenes Lebensgefühl beeinflusst? Was war für Sie selbst die wichtigste Entdeckung oder Erkenntnis?
Die Arbeit an dem Buch hat mir nochmal neu vor Augen geführt, wie komplex das Leben ist, wie wenig eine Brille für alle passt. Für mich war es spannend zu hören, wie Menschen im Angesicht der klimatischen Herausforderungen Hoffnung schöpfen.

Welche Ermutigung geben Sie Ihren LeserInnen mit auf den Weg?
Es gibt immer einen Weg! Der Standard ist da, wo man ihn selbst setzt. Und es ist stimulierend, nach zukunftsfähigen Antworten für eine lebenswerte Zukunft zu suchen. Und es fühlt sich gut an, sich mit sich selber zu vergleichen – bin ich besser oder schlechter geworden in meinen Umweltentscheidungen, wer will ich morgen sein?