Der Silberstreifen am Horizont ist sicher – und der Weg dorthin ein Abenteuer voller berührender Erlebnisse und Erkenntnisse. Typisch für Dr. Biyon Kattilathu! Als Motivationspsychologe hat er seine Berufung gefunden, ob als Social-Media-Star mit mehr als 900.000 Followern oder auf der Bühne. Zugleich ist er als Autor erfolgreich – seit seinem Debütbestseller „Der Rikschafahrer, der das Glück verschenkt“. Dieselbe Mission hat auch Biyon, der 1964 als Sohn indischstämmiger Eltern im nordrhein-westfälischen Hagen geboren wurde: Menschen glücklich machen. Jetzt erst recht. Ob globale Verunsicherung oder persönliche Sorgen und Zweifel: Biyon Kattilathus neues Buch „Spaziergang zu dir selbst“ ist ein behutsamer Wegweiser zu mehr Achtsamkeit, Selbstliebe und Halt – in uns selbst.

Seit Ihrem Bestsellerdebüt verbinden wir Sie mit dem „Rikschafahrer, der das Glück verschenkt“. Warum laden Sie uns nun ausgerechnet zum Spazierengehen ein?
Ich glaube, dass ein Spaziergang genau das ist, was wir alle gerade brauchen. Etwas, was unmittelbar erlebbar ist und etwas, das uns erdet. Etwas, das uns zum Ursprung dessen führt, was wirklich wichtig ist. Außerdem liebe ich einfach Spaziergänge!

Wann und wie haben Sie Ihre Liebe zur Natur entdeckt?
Ich war schon immer ein Naturbursche. Vielleicht ist das auch teilweise in meinen Genen verankert. Meine Großeltern waren indische Bauern. Die Liebe zur Natur ist in mir mit den Jahren immer größer geworden. Wo machen viele Menschen immer Urlaub? An genau den Orten, wo die Natur noch am ursprünglichsten ist.

„Die Natur ist für mich zu einem Zuhause geworden.“

In welchen Situationen und Stimmungen zieht es Sie besonders in den Wald?
Früher war ich dort, wenn es mir nicht gut ging. Heute ist es unabhängig von meiner Stimmung. Die Natur ist für mich zu einem Zuhause geworden, in das ich immer eintreten darf und möchte. Ich möchte auch nicht nur zu Gott beten, wenn ich Sorgen habe, sondern mich auch jeden Tag bedanken für all das Schöne, das mich umgibt.

Die Pandemie hat auch Ihre Pläne komplett durchkreuzt. Welche persönlichen Höhen und Tiefen haben Sie seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 erlebt?
Wie bei vielen anderen hat die Pandemie auch meine Pläne komplett durcheinandergewirbelt. Mein ganzer Jahresplan bestand aus der Tour, die 2020 und 2021 stattfinden sollte. Alle Termine standen. Alle Hallen waren gebucht. Das musste ich zunächst beruflich verkraften. Zudem hatte ich natürlich auch mit Sorgen und Ängsten zu tun, die vor allem meine Eltern betrafen. Ich habe nach kurzem Durchschnaufen meinen Podcast ins Leben gerufen, um weiterhin für die Menschen da zu sein und ihnen etwas durch diese Zeit helfen zu können. In dieser Zeit habe ich viele berührende Nachrichten bekommen. Auch haben sehr viele Menschen einen Bewusstseinssprung erlebt, denn in den Momenten, wo sie nicht rausgehen konnten, mussten sie „nach innen gehen“ und sich Dingen stellen, die sie vielleicht lange Zeit ignoriert hatten.

Wie sind Sie mit Verzweiflungsmomenten umgegangen und was hat Ihnen am meisten geholfen?
Als Erstes habe ich diese Momente angenommen. Ich habe ihnen also erlaubt, zu sein. Dann habe ich mir immer wieder bewusst gemacht: „Auch das geht vorbei.“ Und natürlich habe ich versucht, die Chance oder die neuen Möglichkeiten in der Situation zu erkennen.

Um Verunsicherung beziehungsweise die Suche nach Halt geht es auch in ihrem neuen Buch. Was ist das Hauptthema?
Das Hauptthema ist die Reise zu uns selbst. Wenn wir von „Halt“ sprechen, dann werden die Leserinnen und Leser schnell erkennen, dass dieser Halt immer zuerst von uns selbst ausgeht. Dieser Spaziergang soll natürlich glücklich machen. Und dieses Glück soll „ent-deckt“ werden, das heißt, dass es manchmal von gewissen Dingen wie Zweifeln oder Ängsten zugedeckt ist …

Sie versprechen einen Spaziergang, wie wir ihn noch nicht erlebt haben. Was ist das Einzigartige daran?
Es sind die Gefühle, die erlebt werden, die diesen Spaziergang so einzigartig machen. Außerdem warten zum Beispiel geheimnisvolle Begegnungen in einer alten Hütte auf die Leserin und den Lesern. Dieser Spaziergang wird uns lachen, weinen und schweigen lassen. Und am Ende … das wollen wir noch nicht verraten.

Was ist Ihre Mission als Motivations-Coach?
Das steckt in dem Wort selbst: Motivation erhalten wir, wenn wir uns unseres Motivs bewusst werden. Ich möchte jedem Menschen, der mir begegnet, dabei helfen, sein Motiv, also sein Warum, zu erkennen.

„Ich bin ein Reisebegleiter. Ein guter Freund.“

Wie verstehen Sie Ihre Rolle oder Aufgabe speziell auf diesem besonderen Spaziergang?
Ich bin ein Reisebegleiter. Ein guter Freund. Ich bin einfach Biyon. Wenn man mit mir durch den Wald gehen würde, wäre ich genauso wie in dem Buch beschrieben. Ich spiele keine Rolle.

Sie und die meisten von uns haben einen vollen Terminkalender und viele Punkte auf der To-do-Liste. Sind Sie sicher, dass wir unseren Spaziergang nicht besser verschieben, sondern jetzt aufbrechen sollten?
Wenn wir die wichtigen Dinge immer verschieben, dann bleibt am Ende ein Leben von dringenden Dingen übrig. Das erleben viele Menschen Tag für Tag. Und wenn wir wichtige Dinge stets verschieben, dann werden sie irgendwann dringend. Wichtige Dinge sollten daher immer einen Platz in unserem Terminkalender finden. Außerdem wird diese Reise helfen, unsere alltäglichen Dinge noch besser zu bewältigen. Das heißt: Wir verlieren keine Zeit, sondern gewinnen sie.

Weit und breit keine Markierung einer Wanderroute und auch kein Waldlehrpfad zu sehen. Welchem Kompass folgen wir eigentlich bei diesem Spaziergang?
Die Antwort „dem inneren Kompass“ lag jetzt natürlich sehr nahe. Aber genauso ist es auch. Manchmal ist es ja auch schön, einen neuen Pfad zu entdecken oder sogar einen neuen Pfad zu kreieren, dem andere dann folgen können.

Was hat Ihnen selbst bewusst gemacht, dass Sie Ihr Leben zu sehr nach den Erwartungen anderer ausrichten?
Das spüren wir alle. Es ist eine innere Stimme, die ständig mit uns spricht. Aber manchmal sind die Stimmen im Außen lauter als die Stimme in unserem Inneren. Wir wissen oft, was zu tun ist, aber tun nicht, was wir eigentlich wissen. Dazu benötigt es manchmal einen kleinen Anstoß, den ich bieten möchte …

Was sind die ersten heilsamen Schritte, um sich selbst wieder näherzukommen?
Der erste Schritt ist die Frage an sich. Viele Menschen stellen sich diese Frage erst gar nicht. Der nächste Schritt ist Akzeptanz. Selbstakzeptanz, Akzeptanz dessen, was gerade ist und auch Akzeptanz dessen, was war. Das ist schon die erste kleine Umarmung, die man sich selbst damit schenkt.

„Veränderung ist ständig und natürlich.“

Ob Waldweg oder Lebensweg: Immer wieder merken wir, dass wir ziemlich viel mit uns herumschleppen. Was können wir von der Natur lernen, um wieder mit leichterem Gepäck unterwegs zu sein?
Wir können erkennen, dass Veränderung ständig und natürlich ist. Es fällt keinem Baum schwer, seine Blätter loszulassen, weil er weiß, dass neue Blätter blühen werden.

Auch unerfüllten Wünschen oder gescheiterten Plänen trauern viele nach. Sie nicht mehr. Wie haben Sie sich davon befreit?
Was passiert, nachdem ein Wunsch sich erfüllt hat? Es herrscht eine gewisse Leere. Was passiert, wenn ein Wunsch sich noch nicht erfüllt hat? Wir tun ziemlich viel, damit sich dieser Wunsch erfüllt. Dann erfüllt er sich vielleicht sogar … und dann kommt sie wieder, diese Leere … Das heißt wir können nur „wunsch-los“ glücklich sein. Es geht nicht ums Ankommen, sondern darum, sich in den Weg zu verlieben.

An welchem persönlichen Beispiel lässt sich die Transformation von Träumen gut veranschaulichen? Wie kommen Sie denn damit klar, kein zweiter Michael Jackson geworden zu sein?
Na ja, noch lebe ich ja. Ich bin sehr froh, ein „erster Biyon“ zu sein. Die Frage ist immer: Welches Gefühl verbinden wir mit dem Erreichen eines Traums? Dieses Gefühl lässt sich auf viele Arten und Weisen spüren. Wenn wir das verstehen, dann erkennen wir, dass ein Traum in ganz verschiedenen Lebensbereichen gelebt werden kann.

Ihre Kapitelüberschriften kündigen nicht etwa große Sprünge an, sondern kleine Schritte. Warum?
Manchmal ist ein kleiner Schritt auch ein großer Sprung. Oftmals laufen wir aber nicht los, weil uns der Weg so lang vorkommt. Wenn wir uns aber nur auf den nächsten kleinen Schritt konzentrieren, dann merken wir, dass dieser Weg „machbar“ ist. Und wir merken, dass er dadurch entsteht, dass wir ihn einfach gehen.

„… dass Liebe immer die Antwort ist.“

Wer hat Sie auf Ihrem Lebensweg am nachhaltigsten inspiriert?
Meine Mutter. Sie kam mit 17 Jahren alleine nach Deutschland, hat mir bedingungslose Liebe beigebracht und gezeigt, dass Liebe immer die Antwort ist.

Wie definieren Sie Glück?
Das Streben nach dem eigenen Potenzial. Dabei ein gesunder Körper und ein klarer Geist.

Auf der Bühne und in Ihren Büchern erzählen Sie gern Glücksgeschichten, z.B. die Ihrer Eltern, die sich in Kerala, ihrer alten südindischen Heimat, kennenlernten: Liebe auf den ersten Blick, die allerdings verboten war … Was ist für Sie das Besondere und Bewegende an dieser Geschichte?
Ich habe das große Glück, in Deutschland geboren zu sein. Ob es Zufall oder Schicksal ist, darf jeder für sich entscheiden. Dass es aber dazu gekommen ist, hängt natürlich auch vor allem damit zusammen, dass meine Eltern sich nicht an bestimmte „Regeln“ gehalten haben, die damals noch gegolten haben. Es war sehr untypisch zu jener Zeit, seinem Herzen zu folgen und nicht dem Ratschlag der Eltern.

„Dankbarkeit macht mich immer glücklich.“

Was hat Sie selbst zuletzt glücklich gemacht?
Der jetzige Moment. Ganz ehrlich … Es gibt so viele tolle Menschen und Dinge, die mich gerade jetzt umgeben. Diese Dankbarkeit macht mich immer glücklich. Manche Menschen denken ja, dass sie erst glücklich sein müssten, um Dankbarkeit zu verspüren. Aber es ist genau umgekehrt.

Ob der Weg – beim Waldspaziergang oder im Leben – zum Nebeneinander oder Miteinander wird, hängt stark davon ab, wie wir kommunizieren. Was macht das manchmal so kompliziert und wie gelingen echte Begegnungen und Nähe?
Kommunikation bedeutet auch: Wie kommunizieren wir mit uns selbst? Sehr oft zu kritisch. Wir sollten mit uns sprechen wie mit einem Menschen, den wir über alles lieben. Eine Begegnung zweier Menschen, die gut zu sich sind, wird immer fruchtbar sein.

Sie erzählen auf diesem Spaziergang sehr persönliche Geschichten. Was ermutigt Sie dazu und wozu möchten Sie ermutigen?
Für mich ist es auch wichtig zu zeigen, dass ich mein Wissen und meine Energie nicht theoretisch, sondern auch ganz praktisch erfahren habe. Ich denke, dass es Zeit ist, auch meine persönlichen Seiten zu zeigen. Die richtigen Menschen werden mit meiner Seele umgehen, als wäre es ihre eigene. Daher habe ich keine Befürchtung, dass das eine falsche Entscheidung gewesen sein könnte. Ich möchte zu mehr Verletzlichkeit ermutigen, denn Verletzlichkeit ist die Basis für ganz tolle, wunderbare Erfahrungen.

Obwohl Sie mit Leichtigkeit ein ganzes Buch mit Ihren Erfolgen füllen könnten, teilen Sie stattdessen eher die schwierigen und auch schmerzvolleren Erfahrungen oder Enttäuschungen. Was macht sie wertvoll und wichtig?
Es gibt nicht das eine ohne das andere. In dem Buch wird auch deutlich, dass bestimmte „negative“ Erfahrungen notwendig waren, um gewisse Erfolge zu erreichen. Wer das versteht, wird alles, was ihm widerfährt, ganz anders einordnen.

„Triff eine Entscheidung und stehe dazu.“

Eine herrliche Aussicht und ein tiefer Ast laden ein zur Rast. Eigentlich. Wer oder was macht die Sache kompliziert und was sehen wir daran?
In der Situation im Buch geht es darum, dass die Leserin bzw. der Leser und ich Platz auf einem Ast nehmen wollen. Entweder beide gemeinsam oder wir eben einzeln. Schnell wird klar, dass egal, welche Entscheidung wir treffen würden, es Menschen gäbe, die unsere Entscheidung kritisieren würden. Entweder würden sie uns vorwerfen, dem jeweils anderen nicht den Platz auf dem Ast gewährt zu haben oder sie würden eben den Ast bemitleiden, der die Last von uns beiden tragen müsste. Unsere Lektion daraus: Triff eine Entscheidung und stehe dazu – es wird immer Menschen geben, die diese Entscheidung nicht verstehen würden.

Inmitten unserer einheimischen Natur fallen Ihnen die Kautschukbäume ihrer indischen Großeltern ein. Was versinnbildlichen sie Sie?
Diese Bäume haben mich schon als Kind in meinen Indienurlauben fasziniert. Anhand dieser Bäume wird deutlich, dass der Kautschuk nur aus den Bäumen heraustreten kann, weil er in ihnen steckt. Genauso ist es bei uns Menschen – nur das, was in uns steckt, kann aus uns heraustreten. Im Guten wie im Schlechten.

Ihr Waldspaziergang führt irgendwann zu einer Weggabelung und – wie im wirklichen Leben – zu der Frage, wie es am besten weitergeht. Warum fallen uns Entscheidungen oft so schwer?
Wir haben oft Angst, die „falschen“ Entscheidungen zu treffen, um dann irgendwann zu merken, dass so genannte „falsche“ Entscheidungen zu „guten“ bzw. „richtigen“ Entscheidungen führen, wenn wir diese Erfahrungen speichern, aus ihnen lernen und sie beim nächsten Mal als Grundlage für eine etwas andere Entscheidung nutzen. Fehler sind in unserer Kultur etwas Negatives. Andere Völker und Kulturen sehen Fehler ganz anders – sie stehen für Mut. Sie stehen für Vertrauen. Sie stehen für Fortschritt. Wenn wir das verstehen, verstehen wir auch, warum die Menschen, die in einem bestimmten Bereich sehr erfahren sind, diejenigen sind, die in diesem Bereich die meisten Fehler gemacht haben.

Was sind für Sie die wichtigsten Dinge, die Sie von der Natur lernen konnten und mit uns teilen möchten?
Das ist schwer zusammenzufassen. Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben. Alle meine Erfahrungen und Lehren finden dort Platz. Vor allem aber huldige ich der Natur, denn sie ist ein großer Spiegel, in dem ich mich ganz klar sehen kann.

Was macht bei Ihrem Spaziergangsprojekt die kleine grüne Raupe zum wichtigen Symbol?
Die Raupe steht für Entwicklung. So wie wir manchmal auch eingewickelt sind und eben auch eine Ent-wicklung brauchen, um wieder „fliegen“ zu können. Außerdem muss der Schmetterling durch den Schmerz des Kokons, damit seine Flügel die Kraft entwickeln, die es zum Fliegen braucht. Diesen Schmerz kann man ihm nicht ersparen, ohne ihm gleichzeitig die Chance auf ein wunderbares Leben zu nehmen.

„Eine Situation, die wirklich magisch ist.“

Auf dem Spaziergang geht es auch um die Begegnung mit dem „inneren Kind“. Was hat es damit auf sich und was macht das so wichtig?
Wie viele bereits wissen, liegen viele Dinge, die uns heute hindern, unser bestes Leben zu leben, in der Kindheit. Daher musste ich auch eine ganz wunderbare Begegnung mit dem inneren Kind kreieren. Daher habe ich eine Situation erschaffen, die wirklich magisch ist. Ich bin mir sicher, dass bei dieser Begegnung kein Auge trocken bleiben wird.

Ihnen geht es nicht nur um das Unterwegssein, sondern auch um das Ankommen. Wo?
Der gesamte Spaziergang ist ein Abenteuer. Auf Englisch also ein „Adventure“. Und in dem Wort steckt der „Advent“, also das lateinische Wort für Ankunft. Natürlich wird man am Ende des Spaziergangs bei sich selbst ankommen, aber man wird ebenfalls spüren, dass im Abenteuer selbst die Ankunft steckt, was wiederum zeigt, dass der jetzige Moment bereits die Chance darauf bietet. Das lässt uns wieder die Magie des Moments achtsam erleben.

Welche Hauptbotschaft geben Sie uns und allen LeserInnen mit auf unsere eigenen Wege?
Du bist genug. Und alles, was Du Dir wünschst, ist bereits da. Es wird jetzt Zeit, genau das zu entdecken und zu fühlen.