Psychotherapeutin aus Berufung, Schriftstellerin aus Leidenschaft: In ihren beiden Traumrollen hat die Wahl-Nürnbergerin Heike Duken ihr Glück gefunden. Ob in der Praxis oder am Schreibtisch, das Seelenleben erforscht sie mit großer Genauigkeit und Sensibilität – eine der Stärken ihrer Romane, zuletzt „Wenn das Leben dir eine Schildkröte schenkt“ und nun „Denn Familie sind wir trotzdem“. Inspiriert ist ihr mutiges neues Buch durch ihre eigene Familiengeschichte – und durch offene Fragen, die endlich Antworten verlangten.

Sie bezeichnen sich als „Psychotherapeutin mit ganzer Seele“. Wie haben Sie Ihre Berufung gefunden?
Der Wunsch, die seltsame Gattung Mensch zu begreifen, begleitet mich schon lange. Für mich gibt es keinen schöneren Beruf, als Menschen zur Seite zu stehen, indem wir gemeinsam etwas verstehen: eine Geschichte, ein Leben, alte und neue Gefühle, die Rettungsversuche und auch die Abgründe. Gelingt damit ein Stück Besserung, macht mich das sehr zufrieden.

Und was liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ach, es gibt doch noch etwas Schöneres als die Psychotherapie: das Schreiben! Aber ich möchte mich wirklich nicht entscheiden müssen.

In Ihrer Biografie spielen zwei Väter eine Rolle: Ihr Stiefvater wohl nicht zuletzt, was das Schreiben betraf. Wie hat er Sie als allererstes Publikum oder Mentor beflügelt? Was haben Sie positiv in Erinnerung behalten?
Ich durfte meinem Stiefvater meine ersten Geschichten vorlesen. Er zündete eine Kerze an und nannte es Dichterlesung. Das war wunderbar!

Sie haben Höhen und Tiefen erlebt und immer wieder Mut zu Neuanfängen gefunden. Wer oder was hat Ihnen dabei am meisten geholfen?
Ein ganz gutes seelisches Grundgerüst, das mir meine Mutter mitgegeben hat, ein unbändiger Lebenshunger, meine Familie und natürlich Psychotherapie.

Macht die Psychotherapeutin in Ihnen Feierabend, wenn Sie als Autorin an den Schreibtisch wechseln? Oder hat die professionelle Seelenexpertin da immer ein Wörtchen mitzureden?
Wenn ich wie besessen schreibe und im Flow bin, dann hat die Psychotherapeutin Pause und darf sich ausruhen. Beim Überarbeiten brauche ich sie wieder, um die Figuren auf ihre Glaubwürdigkeit abzuklopfen.

„Die eigene Geschichte ist viel älter als man selbst.“

Anscheinend haben Sie ein Faible für Familienporträts über mehrere Generationen. Was beschäftigt Sie daran so intensiv? Welche Fragen und Aspekte interessieren Sie am meisten?
Die eigene Geschichte ist viel älter als man selbst. Sie beginnt mit der Geschichte der Eltern und deren Eltern, und etwas von den Zusammenhängen zu begreifen, kann ungemein hilfreich und sehr spannend sein.

Vorzugsweise spüren Sie genau dem nach, was in Familien verschwiegen und verdrängt wird. Was macht es ihnen so wichtig, Verschwiegenes und Verdrängtes ans Licht und zur Sprache zu bringen?
Was in Worte gefasst werden kann, das kann vielleicht auch heilen. Denn das Verschwiegene ist ja leider nicht weg, es ist da und treibt sein Unwesen.

Nicht wenige Autoren halten sich bedeckt, was autobiografische Kommentare zu ihren literarischen Werken anbelangt. Sie nicht. Was hat Ihnen die Einblicke in eigener Sache wichtig erscheinen lassen?
Das war mir für dieses Buch wichtig. Ich wollte meinem verstorbenen Vater und seinem Bruder, der nur ein Name für mich war, einen Platz in der Welt geben.

„Vom Weltenbummeln bin ich selbst auch infiziert.“

Die Seefahrer- und Weltenbummler-Tradition der Romanfamilie Fux haben Sie Ihrer eigenen Familiengeschichte entliehen. Was ist für Sie das Romanreife daran?
Ich dachte schon immer: In meiner Familie ist aber einiges mehr los als bei anderen! Ein Schatz an Geschichten, den ich noch lange nicht ganz geborgen habe. Vom Weltenbummeln bin ich selbst auch infiziert – und ich leide in Pandemiezeiten daran.

Was hat beim Schreiben Ihre Haltung zu Ihrem leiblichen Vater beeinflusst? Wie hat sie sich entwickelt?
Ich bin ihm näher gekommen.

Was waren beim Recherchieren die wichtigsten Quellen für Sie?
Meine Mutter war eine wichtige Quelle, das Bundesarchiv in Berlin, die Ausstellung „Im Gedenken der Kinder“ und etliche Bücher wie z.B. „Soldaten“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer, hier bekam ich Einblick in originale Stimmen von deutschen Kriegsgefangenen, die abgehört worden waren.

Studiert haben Sie dieses Mal nicht die Akten über irgendeine historische Persönlichkeit, sondern die von Ihrem Großonkel und von Ihrem eigenen Vater. Wie erging es ihnen dabei?
Oft genug hatte ich Herzklopfen, es war sehr bewegend. Und manchmal so spannend, als wäre ich die Detektivin in meinem eigenen Psychothriller.

„Und dann fand ich die Bewerbung meines Vaters …“

Was hat Sie bei den Recherchen am meisten erschüttert?
In der Ausstellung „Im Gedenken an die Kinder“, die das sogenannte Euthanasieprogramm der Nazis dokumentiert, stand ich vor dem Foto meines Großonkels, Dr. Johann Duken. Er war als Kinderarzt an der Ermordung von Kindern beteiligt, die ihm anvertraut waren. Als ich entdeckte, dass mein Vater bei diesem Onkel aufgewachsen war, fügte sich eins zum anderen. Und dann fand ich die Bewerbung meines Vaters bei der SS.

Auch im Roman hat der ehemalige Waffen-SS-Mann Paul später eine Tochter: Ina. Sie geht nach Israel. Mit welcher Sehnsucht oder Hoffnung?
Erst einmal ist sie jung und will weg von zuhause. Ina sagt im Roman, sie habe in Israel etwas wiedergutmachen wollen. So kann das Unbewusste, das überlieferte Schuldgefühl auf die Kinder und Enkel wirken. Doch Ina muss erkennen, dass Wiedergutmachung unmöglich ist.

Der Israelaufenthalt hat für Ina schicksalhafte Folgen: Was sprach dafür, sie unter so dramatischen Umständen Mutter werden zu lassen?
Zwei Familiengeschichten sind durch Inas Schwangerschaft auf dramatische und auch sehr traurige Weise miteinander verknüpft. So wie die israelische und die deutsche Geschichte es wahrscheinlich immer sein wird.

Inas Tochter Floh gilt als schwieriges Kind. Was sagen Sie als ihre Schöpferin und als Fachfrau für Psychologie?
Dass Floh gar nicht so schwierig ist, sondern ein sehr kluges, selbstbewusstes Mädchen mit einem eigenen Willen. Ich liebe sie einfach!

„Das Unbewusste schreibt eben mit.“

Floh bekommt mit 7 ein Tagebuch. Was macht das so wichtig?
Floh erschafft sich in ihrem Tagebuch einen unsichtbaren Vater, der ihr zuhört und für sie da ist. Erst viel später ist mir aufgefallen, dass ich ja selbst als kleines Mädchen so eine Vatersehnsucht hatte, bevor mein Stiefvater in die Familie kam. Das Unbewusste schreibt eben mit.

Ein enorm wichtiges Thema in Ihrem Roman ist Erziehung. Was wollten Sie bewusst machen?
Gewalt, Demütigung und Erziehung zum Gehorsam beschädigen Kinder, anstatt sie auf ein selbständiges, erfülltes Leben vorzubereiten.

Die Situation der Kinder beleuchten Sie von Anfang an, also schon ab Mitte der 1920er Jahre, als die Brüder Paul und Gerd Kinder sind. Welchen Phänomenen wollten Sie nachspüren?
Wie kann es sein, dass mein Vater Nationalsozialist wurde? Ich wollte das verstehen, nicht etwa entschuldigen. Diese Ideologie dockt immer an das Schlechteste im Menschen an, bis heute.

Die Schatten der Vergangenheit reichen bis in die Gegenwart. Welcher Umgang bewährt sich aus Ihrer Erfahrung? Wie würde Ihre Ermutigung lauten?
Bohrende Fragen zur eigenen Familiengeschichte nicht mit sich herumzutragen, sondern sie zu stellen. Sich mit tradierten Legenden und künstlichen Schlussstrichen nicht zufrieden zu geben. Wahrheit tut gut, oder besser: die Annäherung an die Wahrheit.

„Viel Aufarbeitung und Erinnerung – anders geht es nicht.“

Neben den individuellen Erfahrungen wirkt das das kollektive Gedächtnis. Welche Bedeutung hatte das für Sie bei der Verortung Ihres Romans? Wie betrachten Sie die Geschichte Ihres Wohnorts Nürnberg, auch in Relation zu Israel?
Vielleicht ist es ein Vorteil, dass Nürnberg seine Geschichte nicht so gut verdrängen kann, die Bauten sind einfach zu gewaltig. Die Stadt der Rassegesetze, des „Stürmers“ und der Reichsparteitage sollte für immer sichtbar und im Gedächtnis bleiben, das ist meine Meinung. Ich bin ein bisschen stolz auf meine Stadt, weil sie immer wieder um den richtigen Umgang mit diesem Erbe ringt. Es gibt viel Aufarbeitung und Erinnerung – anders geht es nicht. Ich freue mich sehr, wenn jüdische Besucher aus aller Welt kommen, um die Spuren ihrer Vorfahren und ihrer Kultur zu erkunden. Zugleich erfüllt es mich mit großer Trauer, wenn wieder einmal deutlich wird, wer und was alles vernichtet und verloren ist.

Natürlich ohne zu viel verraten: Würden sie sagen, Ihr Roman hat ein Happy End? Welche Bedeutung haben dabei Myanmar und die Müllsäcke? Und was ist noch wichtig?
Ich glaube, das Ende des Romans ist voller Hoffnung auf die nächste, junge Generation, also ist es irgendwie ein Happy End, oder? Myanmar steht für die Weltenbummler-Tradition, die in meiner Familie wohl weiterleben wird. Und in den Müllsäcken, da darf ruhig einiges drin verschwinden, was eine Familie als Ballast mit sich herumschleppt, aber vielleicht erst, wenn man es eine Weile in der Hand gehalten, hin- und hergedreht und genau angeschaut hat.