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Ein begnadeter Erzähler, der uns unter zwei Namen in den Bann zieht: Sein Pseudonym Jean-Luc Bannalec ist durch inzwischen elf Bestseller um Commissaire Dupin der Inbegriff für Frankreich-Krimikultur. Nun widmet sich der vielseitige Büchermensch unter seinem bürgerlichen Namen Jörg Bong seinem Lebensthema: „Die Flamme der Freiheit“ ist der furiose Auftakt seiner Trilogie über den Beginn der Demokratie in Deutschland vor 175 Jahren – packend wie ein historischer Thriller und aktueller denn je.
Schlagen zwei Autorenseelen in Ihrer Brust? Oder sind Jean-Luc Bannalec und Jörg Bong gar nicht so weit voneinander entfernt?
Ich unterscheide sie eigentlich nicht. Nur sind es unterschiedliche Unternehmungen. Und es sind sicher mehr als zwei …
Sie haben anhaltend großen Erfolg mit Ihren Krimis. Warum ist Ihnen nun dennoch so wichtig geworden, sich als Historiker zu Wort zu melden und Ihre Revolutionsgeschichte zu schreiben?
Das Thema treibt mich seit mehr als 30 Jahren um, schon während meiner universitären Arbeit. Aber ich sehe mich mit dem Buch nicht als Historiker, sondern als gesellschaftlich-politisch engagierten Kopf unserer Gegenwart … Dieses Engagement war mir immer wichtig, auch zuvor als Verleger von S. Fischer. Für die Demokratie und eine noch deutlich enger vereinte Europäische Union, Sujets, mit denen ich mich ebenfalls seit meinem Studium beschäftige.
Ob Bannalecs Krimis oder nun Jörg Bongs Revolutionsgeschichte: Bei Ihnen muss alles bis ins kleinste Detail stimmen. Sehen Sie sonst noch Gemeinsamkeiten?
Mein Enthusiasmus, die sich entgrenzende Leidenschaft, wenn ich etwas liebe … Ein reflektierter Enthusiasmus gleichsam, hoffe ich.
„Der heroische und tragische Anfang unserer heutigen Demokratie.“
Ihr eben erschienenes Buch „Die Flamme der Freiheit“ ist der erste Band einer Trilogie. Was ist Ihr großes Thema und was die Quintessenz oder der Kern für Sie?
Es geht um den heroischen wie tragischen Anfang unserer heutigen Demokratie, Nation. 1848/1849 flammt alles ein erstes Mal hell auf … Es ist eine Hommage an die außerordentlich mutigen, aber völlig vergessenen großartigen Frauen und Männer, die 1848 unter Einsatz ihres Lebens gegen die deutschen Militär- und Polizeidespotien aufstanden und nicht bloß vage „Freiheit und Einheit“ forderten, sondern eine – bereits umfassend ausgearbeitete – lupenreine demokratische Bundesrepublik.
Woran und wie wurde Ihnen die Aktualität der Revolution von 1848/49 klar und worin besteht sie?
Demokratie ist, das ist den frühen Demokratinnen und Demokraten selbstredend drastisch bewusst, kein natürlicher, selbstverständlicher Zustand – sondern das genaue Gegenteil davon: blutig erkämpft, errungen gegen die Tyrannei und Barbarei. Eine Ausnahme in der Geschichte. Nie ein Geschenk und nie ein sicher erreichter Zustand, was bedeutet: andauernder Kampf. So steht die Wehrhaftigkeit der Demokratie von Beginn an im Zentrum.
Was ist die Herausforderung dabei?
Wie verhält sich ein Demokrat dem gegenüber, der ihn und die Demokratie vernichten will, egal, ob offen oder verdeckt? Wie weit geht die Toleranz? Ethische, politische Skrupel, politische Aufrichtigkeit, die Suche nach der Wahrheit, die kritische Selbstreflexion sind den damaligen Demokraten hohe demokratische Tugenden. Wie aber wird daraus keine Schwäche gegenüber denen, die sie mit Füßen treten und uns aufs Messer bekämpfen? Denn es wäre ja absurd und grausam, würden wir durch unsere Tugenden und Stärken den Kampf verlieren! Und auch dieser Punkt ist zentral: Die Demokratie, die Freiheit, muss die mächtigste aller Armeen haben – nicht ihre Gegner. Auch diese Wehrhaftigkeit ist gemeint. Und das ist nur einer von vielen Aspekten, warum 1848 so aktuell ist …
„LeserInnen sollen 1848 in Momenten selbst erleben.“
Nicht nur die Auftaktszene, in der Sie die Flucht eines gewissen Mister Smith schildern, würde einem Politthriller alle Ehre machen. Welcher Anspruch hat Sie beim Schreiben geleitet?
Ich würde die Leserinnen und Leser gerne unmittelbar mitnehmen in das verrückte Geschehen von 1848/1849. Nicht darüber und davon schreiben, sondern aus dem Geschehen heraus berichten … Die Leserinnen und Leser sollen 1848 in Momenten selbst erleben. Freilich immer auch mit Momenten der Reflexion.
Der fliehende Mann war eben noch einer der mächtigsten Männer Europas, Frankreichs König, der am 24. Februar zum Abdanken gezwungen wurde. Worin waren die Franzosen den Deutschen damals als Revolutionäre voraus?
Herwegh und Heine, die beiden berühmtesten deutschen Literaten damals, verzweifeln – wie schon Goethe und Schiller – an der Mehrheit der damaligen Deutschen, denen der Untertanengeist und nicht die Freiheit das Wichtigste war. „Echt deutsch“, nennen sie das. In Frankreich war das anders. Im Februar 1848 schaffen die Franzosen nicht nur den einen König ab, sondern gleich die ganze Regierungsform der konstitutionellen Monarchie und rufen stante pede die Republik aus. Das Ganze in rasanten drei Tagen. In Deutschland dauert die revolutionäre Bewegung 17 Monate – und scheitert katastrophal. Frankreich war den Demokraten 1848 die Inspiration.
Warum war Europa damals reif für Revolution?
Weil beinahe allenthalben Unfreiheit, Gewalt, Willkür und Elend herrschten – harscher Despotismus, Restauration. Zudem kommt eine sehr kleine neue wirtschaftliche Elite auf, denen alle Anderen vorwiegend Ressourcen und Material sind, eine völlig neue Armut entsteht. Menschen werden einfache Produktionsmittel, Futter für die Fabriken oder den Abbau von Bodenschätzen.
In Frankreich nannte man es Misère, in England Pauperismus und auf Deutsch „soziale Frage“. Welche Alltagsverhältnisse und Lebensbedingungen waren dafür beispielhaft?
Fast zwei Drittel der Menschen in den größeren Städten lebten in Armut: Handwerker, Gesellen, Arbeiter, Fabrikarbeiter … Ohne Rechte, ohne Mitsprache, viele Hunger leidend und gar an Hunger sterbend. Männer, Frauen, auch Kinder werden in 16-Stunden-Arbeitstagen „vernutzt“, wie es hieß, in Berlin, Wien, Hamburg, München, Köln, Königsberg … Auf dem Land leiden ganze Regionen Hungersnot, Männer, Frauen, Kinder fallen auf der Straße einfach tot um und werden liegen gelassen, Mütter stillen Säuglinge mit Blut, einzige Nahrung sind oft Suppen aus gekochten Maikäfern. Dem gegenüber steht ein enormer Reichtum weniger, die von dem begonnenen gigantischen Projekt der Industrialisierung profitieren und schnell reicher werden als die Könige. Es klingt plakativ – aber exakt so war es.
„Es herrschte der sogenannte ‚Partikularismus’ …“
Das, was wir heute Deutschland nennen, hieß damals „Deutscher Bund“. Was war das für ein Zusammenschluss?
Fast ausschließlich eine repressive Militär-, Polizei- und Geheimdienst-Kooperation der deutschen Fürsten, in dieser Hinsicht gab es seit seiner Gründung 1815 eine funktionierende deutsche Einheit, aber nur in dieser … Ansonsten herrschte der sogenannte „Partikularismus“, die 34 Fürsten setzten ihre Interessen durch, wobei der Bund und alle anderen Länder von den besonders reaktionären Militärmonarchien Preußen und Österreich dominiert wurden. Alle deutschen Länder waren eigene Staaten. Ein Kaiserreich, K.-u.-k.-Österreich, vier Königreiche, dann Großherzogtümer, Herzogtümer etc. Nur die Repressionsgesetze des Deutschen Bundes griffen in deren Souveränität ein.
Wie lebte es sich in dieser zersplitterten politischen Landschaft, die spöttisch „38 Vaterländchen“ genannt wurde?
Für die Oppositionellen – Liberale und Demokraten gleichermaßen – hieß es dies: Unterdrückung, Überwachung, Bespitzelung durch geheime Informanten, Zensur, Versammlungsverbote, Verfolgung, Schikanen, Vertreibung, Heimatverlust – siehe Heine, Herwegh, Ruge, Marx – Berufsverbote, absichtlich verschleppte Prozesse, Verhaftungen, Gefängnis und Kerker, teils lebenslang, Folter und zuweilen auch politischer Mord.
Als Chiffre der Zeit bezeichnen Sie in Frankreich die Barrikade. Was war für Deutschland symbolisch?
Sie spielte auch in Wien und Berlin eine große Rolle, faktisch wie als freiheitliches Symbol. Aber allgemein war es in den deutschen Landen viel eher die „Petition“ als die Barrikade, der heute bizarr anmutende Versuch, die Revolution als gesetzeskonforme Reform zu bewerkstelligen. Gesetzeskonform ganz im Sinne der herrschenden Monarchien und Repressionsgesetze.
„62.000 Deutsche sind nach Paris ins Exil getrieben worden.“
Sie schreiben: „1848 war Paris die achtgrößte deutsche Stadt.“ Wie kam es dazu und was machte die Seine-Metropole zum Anziehungspunkt für deutsche Exilanten?
62.000 Deutsche sind nach Paris in Exil getrieben worden, aus existentiell wirtschaftlichen und aus politischen Gründen. Sie wurden in den deutschen Staaten verfolgt, Frankreich und Paris boten ihnen Aufenthalt.
Der wohl Prominenteste unter den Pariser Exilliteraten war Heinrich Heine. Was imponiert Ihnen am meisten an ihm?
Für mich ein „Gott“, ja. In vielerlei Hinsicht. Literarisch natürlich, aber auch intellektuell, philosophisch. Der Vollender und Bewahrer der frühromantischen Idee, eine der radikalsten, produktivsten, schönsten Haltungen gegenüber der Welt, den Dingen, den Menschen, der Sprache … Eine der permanent revolutionärsten eben auch.
An welchen seiner Zeitdiagnosen zeigt sich für Sie am schönsten, was für ein genialer Polemiker Heinrich Heine war?
Als Ethnograph und Psychologe der Deutschen und des „Deutschen“. Hier zeigt Heine eine politische Hellsicht, die bis heute kaum zu fassen ist. Er hatte vor wenig so viel Angst wie vor den Deutschen und ihrer Hinwendung zum „Nationalen“ und sah alle deutschen Katastrophen kommen, bis hin zur deutschen Apokalypse.
Sie schreiben, Lyrik war das beliebteste Genre. Wie erklären Sie sich das?
Im Kern war sie den Leserinnen und Lesern unmittelbare, pure Emotion, höchster Affekt – und das in einer Zeit, in der die Affekte, gemessen an heute, schon im Grundzustand äußerst erhöht waren und man von der quasi magischen Kraft der Worte ausging: Kräftig gesagt war schon halb getan. Lesen Sie einmal Georg Herweghs „Gedichte eines Lebendigen“. So unmittelbar vermittelt es vielleicht keine andere Lyrik der Zeit, schon der Titel. Ein Superbestseller damals.
Wie sehen Sie den Stellenwert von Lyrik heute?
Vielleicht so: ein Raum der radikalen Spracharbeit gegen alle vereinnahmenden Identifikationen – aber gesellschaftlich und kulturell völlig an den Rand gedrängt, entsetzlich!
„Frauen besaßen keinerlei Rechte.“
Die revolutionäre Bewegung ist nicht allein Männersache …
Frauen besaßen keinerlei Rechte, am politischen Leben teilzunehmen. Sie hatten weder ein aktives noch passives Wahlrecht. Deswegen kommen Frauen in den offiziellen politischen Prozessen der Epoche und auch der Revolution nicht vor, nicht in den Kammerparlamenten, nicht im Vorparlament, nicht in der Konstituierenden Nationalversammlung. Dennoch gibt es bereits vor der Revolution eine Reihe politischer Frauen, die sich einfach selbst zu allem ermächtigen.
Welche Frauen spielten in der Revolution eine bedeutende Rolle?
Beispielsweise die famose Emma Herwegh oder Amalie Struve, aber auch die Schriftstellerinnen Louise Aston und Franziska Anneke. Mit dem Ausbruch der Revolution werden es dann Tag für Tag in allen deutschen Ländern mehr, vor allem im Südwesten, dem Hotspot der revolutionären Bewegung. Und fast alle sind sie dezidierte Demokratinnen. Sie gründen Vereine, Zeitungen, organisieren politische Aktionen, werben für die Demokratie, beteiligen sich an den Volksversammlungen. Auch am Kampf. Sie streiten für die Demokratie und die Emanzipation der Frauen gleichermaßen. Sie und die Bedeutung dieses Engagements sind für die revolutionären Jahre 48/49 gar nicht stark genug herauszustellen. Tut man es nicht, wiederholt man die Auslöschung der Frauen, die in der damaligen Gesellschaft stattfand.
Was sind für Sie die wichtigsten Errungenschaften der Revolution von 1848/49?
Die Revolutionäre und Revolutionärinnen haben die Ideen der Freiheit, Demokratie und allgemeinen „Wohlfahrt“ 1848 mit solcher Kraft aufgebracht, dass sie von da an auch in Deutschland nicht mehr totzukriegen waren, auch wenn es noch 69 Jahre dauern wird, bis in Deutschland eine Demokratie entsteht, dies nach einer gigantischen historischen Katastrophe und auch nur für eine kurze Zeit, 15 Jahre, um dann einer Barbarei Platz zu machen, die einzig ist in der Menschheitsgeschichte. Bevor es zu einer stabilen, selbstständigen – zunächst ja auch erst einmal von den Alliierten geschenkten – deutschen Demokratie kommt, werden durch Deutsche noch Abermillionen Menschen gemordet …
1848/49 ging es nicht zuletzt um die Hoffnung auf „alle Emanzipationen aller Benachteiligten“. Was können wir daraus für unsere Zeit lernen?
Emphatisch an diesem universalen Ziel festzuhalten, von dem wir – national, aber vor allem international – noch weit, weit entfernt sind …
Was macht den großen Traum der Revolutionäre bis heute so faszinierend?
Weil mit ihm alles begann – und weil er teilweise noch unerfüllt ist … Gefährlich unerfüllt …
Sie haben einen Wohnsitz in Frankfurt und ihre Wahlheimat in Frankreich, genauer gesagt: im südlichen Finistère. Was macht den Wechsel für Sie reizvoll?
Ich liebe beides: das Urbane, die Verdichtung, das Soziale, all die Möglichkeiten der Stadt – wie die raue Natur, das Ganz-fern-sein, am Ende der Welt, nur noch 6000 Kilometer wilder Atlantik bis Nordamerika und Kanada … Ich bin begeisterter Frankfurter und begeisterter Concarnois, beides eine „Confession“ …