LANGZEIT-SINGLE! Diese Selbsterkenntnis war für Katja Kullmann kurz vor ihrem 50. Geburtstag ein kleiner Schock. Aber warum eigentlich? Die Bestsellerautorin („Generation Ally“), Journalistin und „taz“-Themenchefin vermisste doch gar nichts – erst recht keinen Mann an ihrer Seite. Fühlte sich ihr Leben etwa nicht gut an? Höchste Zeit für eine schonungslose Selbsterkundung und für die Spurensuche nach weiblichen Alleinstehenden in Geschichte und Gegenwart: „Die Singuläre Frau“ führt zu einer radikalen Neubewertung – und zur Befreiung!

Auf Ihrer Homepage verraten Sie Ihre Lebensmaxime: „Euphorie im Alltag“. Was versetzt Sie in Hochstimmung?
In der Pandemie fehlt mir natürlich einiges, z.B. das Ausgehen und das Reisen. Aber ich sorge auch für euphorische Momente. Ich genieße es, als Flaneurin die Umwelt ganz in Ruhe zu beobachten. Außerdem steckt eine leidenschaftliche Tänzerin in mir. Hochgefühle kann ich da jederzeit erleben – in meiner Wohnzimmerdisco: Jalousien runter, Licht dimmen, Sixties Soul, meine Lieblingsmusik, auflegen und einfach vor mich hintanzen – solo.

Heute haben wir mehr Lebensmodelle denn je zur Auswahl. Was macht es so kompliziert?
Die Botschaft, die ich mit meinem Buch verstärken will, ist vielmehr, dass es überhaupt nicht mehr sonderlich kompliziert“ ist. Die queere Bewegung macht gerade vor, wie befreiend es sein kann, sich aus Geschlechterklischees zu befreien. Eine der Erwartungen, die seit Jahrhunderten an Frauen herangetragen wird, besagt, dass das Kümmern und das Verführen zu ihren „natürlichen Bedürfnissen“ zählt – aber eine Menge Frauen fühlen nicht so – oder zumindest ist es nicht ihr wesentliche Eigenschaft.

„Alles ist möglich.“

Welches Spektrum von Frauenleben haben Sie entdeckt?
Frauenleben sind heute höchst vielfältig: Da ist die vergnügte, tapfere oder auch mal niedergeschlagene Solistin, die ordentlich Verheiratete, mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt, die Frau in der Patchwork-Familie, die Alleinerziehende. Alles ist möglich. Aktuell verbringen neuneinhalb Millionen Frauen in diesem Land ihren Alltag ohne Partner. Sie leiden keineswegs alle darunter. Im Gegenteil: Viele loten aktiv andere Möglichkeiten aus, wie Gemeinschaft, Intimität, Nähe gelebt werden können, gemeinsam mit Freundinnen und Freunden oder in Nachbarschaftszirkeln zum Beispiel. Oder eben auch ganz bewusst als Einzelgängerin. Nichts daran ist falsch. Außer, dass manche immer noch skeptisch die Augenbrauen darüber hochziehen, wenn eine Frau die ihr zugedachte Rolle als Kümmerin oder Verführerin nicht erfüllt.

Während viele Bücher von und für Frauen um die Suche nach Mr. Right kreisen, scheint Sie „das um einen Mann zentrierte Leben“ nicht zu locken …
Ich blicke weder auf Paare noch auf Männer per se herab. Bis heute bin ich mit den drei Lieben meines Lebens noch lose befreundet. Es ist nur leider so, dass ich in all meinen Beziehungen früher oder später an den Punkt kam, bestimmte Erwartungen nicht mehr erfüllen zu können oder wollen. Ich war früh schon unabhängig, vielleicht auch eigensinnig …

„Es war wie ein Coming out“

Welche Konsequenz haben Sie gezogen?
Mit Mitte dreißig nahm ich mir vor, erst einmal ein Päuschen von diesem Zirkus zu machen – für eine Übergangszeit. Zu meinem eigenen Erstaunen war das allerdings wie ein Coming-out für mich. Quasi aus Versehen stellte ich fest, dass ich mich als Einzelperson auf Dauer sehr viel wohler fühle – weniger allein oder unverstanden oder angegriffen als vorher. Ich war nun nicht mehr eine Frau an irgendjemandes Seite, sondern wurde nach und nach ein kompletter Mensch.

Eines der aktuellen Schlagworte ist „Self Care“. Was steht dahinter?
„Self Care“, die Selbstfürsorge, ist ursprünglich ein ernst zu nehmendes Konzept, es hat mit Feminismus und Antirassismus zu tun. Die Schwarze US-Aktivistin Audre Lorde prägte den Begriff in den späten 1980ern und wollte Frauen damit ermutigen, sich stärker um ihre eigenen Belange zu kümmern und sich damit auch gegen Angriffe zu schützen.

Wie beurteilen Sie den aktuellen „Self Care“-Trend?
Mittlerweile werden Badezusätze und Antifaltencremes damit verkauft. Rund um den „Single“-Begriff ist auch eine große grelle „Single-Industrie“ entstanden, die alleinlebende Frauen vor allem als Konsumentinnen begreift. Als dauershoppende Wesen, die sich ständig mit irgendetwas „trösten“ müssen, bei Carrie Bradshaw waren es die Schuhe, bei Bridget Jones war es die Eiscreme. Erstens verfügen viele alleinlebende Frauen aber über wenig Geld, vor allem im Alter. Zweitens haben gebundene Frauen etwas „Self Care“ womöglich sehr viel nötiger. Mit dem Vokabular und den Konsumtipps aus sogenannten Frauenzeitschriften kann ich jedenfalls nicht viel anfangen.

„Das Leben führen, das mir gefällt.“

Wie interpretieren Sie es für sich?
„Self Care“ besteht für mich schlicht darin, das Leben zu führen, das mir gefällt. Mir ist sehr wohl bewusst, dass das ein Privileg ist. In konservativeren Gesellschaften, aktuell Afghanistan zum Beispiel, ist es Frauen kaum oder gar nicht möglich. Meine Hautfarbe und meine Bildung machen es mir auch hierzulande leichter als vielen anderen – das schreibe ich so auch im Buch. Und plädiere für Solidarität mit denen, die es schwerer haben.

Was macht Ihnen die Ablösung der Single-Frau durch “Die Singuläre Frau“ wichtig?
„Single“ kam in den 1960er Jahren auf und hatte zum Milleniumswechsel noch einmal Hochkonjunktur: durch TV-Figuren wie Bridget Jones, Ally McBeal oder Carrie Bradsaw. Seither verbinden viele – auch Frauen – das „Single“-Wort mit einer irgendwie etwas kindischen, mehr oder minder verzweifelt nach „dem Richtigen“ suchenden Person. Das entspricht aber nicht unbedingt der Selbstauffassung von Solistinnen.

„Singulär klingt großspuriger, stolzer … einzigartig!“

Welches Lebensgefühl verbindet Singuläre Frauen?
Es gibt Studien darüber, wie allergisch viele Solo-Frauen auf das „Single“-Wort reagieren, denn sie suchen nichts, sondern sind ganz zufrieden mit ihrem Leben, wie es ist. „Singulär“ klingt etwas großspuriger, auch stolzer – es bedeutet so viel wie „einzigartig“: Jede bringt ja ihre ganz eigene Geschichte mit. Tatsächlich existiert eine große Masse von Einzelfällen – die Einzigartigkeit der Vielen.

Was inspirierte Sie besonders?
Mir fiel auf, da scheint etwas Größeres im Gange zu sein. Offensichtlich bin ich mit meinem kleinen krummen Leben ein Teil davon. Und das wollte ich untersuchen.

Was hat Sie bei der Recherche fasziniert?
Ich habe an die hundert Bücher über die Frau ohne Begleitung gelesen – so viel Verschiedenheit existiert da! Die erste Politikerin, die je im deutschen Parlament eine Rede hielt, war eine Alleinerziehende: Marie Juchacz. Die erste Frau im Vorstand eines Dax-Unternehmens, Ellen Schneider-Lenné, war solo. Auch die Obdachlose, die durch mein Viertel zieht, ist eine Solistin – lange hatte ich sie gar nicht so betrachtet. Meine geliebte Oma, früh verwitwet, war es ebenfalls: alleinstehend. Genau wie die Pop-Ikone Kylie Minogue.

„Neue Lebensweisen erschließen.“

Ihr Buch verstehen Sie als Neubewertung der alleinstehenden Frau. Was sind Ihre Hauptargumente?
Nicht alle alleinlebenden Frauen haben sich in ihrer Zeit als Revolutionärinnen oder Pionierinnen gesehen, auch nicht unbedingt als Feministinnen. Und doch waren sie immer ganz vorne dran mit ihrer Art zu leben. Ob aus Not oder Freigeist: Sie haben neue Lebensweisen erschlossen – nie nur für sich selbst. Sie haben das Spielfeld, die Möglichkeiten und Selbstverständlichkeiten für Frauen erweitert. Die singuläre Frau ist stets eine Agentin der Moderne gewesen, eine Vorreiterin einer letztlich freieren Gesellschaft.