Klar, im Ganovenmilieu gibt es einleuchtende Gründe, nicht unter dem eigenen Namen in Erscheinung zu treten. Aber bei einem Autor, der in der Spannungsliteratur alles andere als ein Unbekannter ist? Warum kommt der nun plötzlich unter dem Pseudonym Leo Born daher? Wir fragen die starke Frau, die hinter dem erfolgreichen Mann steht: Mara Billinsky, Heldin seiner neuen Krimireihe, Kommissarin mit ausgeprägtem Talent anzuecken und mit einer Vorliebe für Schwarz – vom Humor über den Kaffee, auf den sie als Nachtmensch nie verzichten könnte, bis zum Punk-Look inklusive Piercings. Manche Kollegen nennen sie Krähe und hoffen, dass sie bald den Abflug macht …

Klar, Sie sind die Hauptperson, Frau Billinsky. Aber trotzdem kommen wir nicht um den Autor herum, der Sie zurück nach Frankfurt versetzt hat und es Ihnen alles andere als leicht macht, da als Kommissarin wieder Fuß zu fassen …
Leo Born.

Kein Wunder, dass Sie ein bisschen einsilbig reagieren.
Okay, er heißt laut Personalausweis Oliver Becker.

Aber warum der Deckname, pardon, das Pseudonym?
Vielleicht hab ja ich Schuld daran. Wieder mal. Ich wollte nämlich einen Autor ganz für mich allein. Keinen, den ich mit anderen Protagonisten teilen muss.

Sie entsprechen nicht gerade der klassischen Vorstellung von einer Polizistin. Wie kamen Sie zu dem Job?
Obwohl ich sonst den direkten Weg bevorzuge – bei der Berufswahl ging es über viele Umwege. Ich wollte nicht einfach nur einen Job machen, sondern etwas bewirken. Ich hasse Langeweile und wollte im Brennpunkt des Geschehens sein. Und während ich als Jugendliche – ehrlich gesagt – eher die Verbrecherseite kennenlernte, hab ich als Erwachsene gerade noch die Kurve gekriegt und mich für die andere Seite entschieden.

Angenommen, Sie sollten einen Steckbrief von sich entwerfen: Welche drei Eigenschaften würden Sie nennen?
Drei Merkmale? Manche würden sagen: dickköpfig, dickköpfig und dickköpfig. Ich nenne es eher beharrlich. Und obwohl ich keine großen Fäuste habe, bin ich ziemlich schlagfertig. Na ja, ich finde, man darf auch mal verlieren – nur nicht den Humor. Ansonsten? Piercings, Tattoos und alles, was schwarz ist. Das bin ich.

„Seelenverwandte? Vielleicht Krähen …“

Es gibt Leute, die Sie mit Stieg Larssons Lisbeth Salander vergleichen. Wie zutreffend finden Sie das? Wen würden Sie als Seelenverwandte bezeichnen?
Ich kenne Lisbeth nicht persönlich, aber wie ich hörte, ist sie jemand, der im Untergrund arbeitet und nicht sehr nahbar ist. Ich bin nun auch nicht gerade der volkstümliche Typ, aber mir könnte man in Frankfurt schon über den Weg laufen. Beim Rotweinkaufen. In einer Äppelwoi-Kneipe. Oder an einer dunklen Ecke im Bahnhofsviertel. Und Seelenverwandte? Hm, schwer zu sagen. Da fällt mir niemand ein. Außer vielleicht Krähen …

Nach vier Jahren in Düsseldorf sind Sie in ihre alte Heimat Frankfurt zurückgekehrt. Warum?
Um wiederkommen zu wollen, muss man eben erst mal weggehen. Ich denke, ich habe nach einer Weile einfach kapiert, dass Frankfurt mein Revier ist. Ich habe es mir zurückerobert. Und jetzt bleibe ich.

Bei Frankfurt denken Leser erst einmal an die Buchmesse und Finanzmenschen an die Skyline aus Bankentürmen. Nicht Ihr Milieu, oder?
Ich kenne jede dunkle Ecke Frankfurts. Es ist eben das Düstere, das mich immer schon angezogen hat. Ich weiß, wie die Stadt tickt. Ich weiß, wie man sie anpacken muss. Sie ist ja ein bisschen wie ich: rau, ruppig, aber auch voller Widersprüche.

Es treibt Sie immer wieder auf den Eisernen Steg. Was macht diese Brücke über den Main so anziehend für Sie?
Ganz einfach: Sie ist mitten in Frankfurt. Hier ist man der Stadt ausgeliefert und hört ihren Herzschlag. Die dunklen Töne, aber auch die helleren. Hier wird mir immer klar, dass diese Stadt eine einzige Herausforderung ist. Und ich mag Herausforderungen.

„Ich habe keine Angst vor kaltem Wasser.“

Was liegt Ihnen eher? Ins kalte Wasser springen? Oder jemand hinein schubsen, die oder der es verdient hat?
Ich habe keine Angst vor kaltem Wasser. Und wenn doch mal, gebe ich’s nicht zu. Und die anderen schubs ich lieber hinter Gitter. Also die, die es verdient haben.

Wenn uns nicht alles täuscht, ist „Henrys Pinte“ ein beliebter Schauplatz in Kriminalromanen – für Businessmeetings in bestimmten Kreisen. Was prädestiniert diese offenbar traditionsreiche Frankfurter Bierkneipe dafür?
Auf ein paar Quadratmetern findet sich die ganze Welt Frankfurts. Erschreckend, einschüchternd. Aber auch irgendwie großartig.

Gibt es „Henrys Pinte“ überhaupt noch, so dass sich Herr Born alias Becker persönlich umsehen konnte? Oder wo treibt er sich sonst so herum?
„Henrys Pinte“ gibt es nicht mehr. Und Herrn Becker habe ich am liebsten dort, wo er hingehört – also am Schreibtisch.

Wo würden Sie normalerweise auf einen gepflegten Absacker hingehen?
Bornheim. Da wird Frankfurt plötzlich zu einem verrückten kleinen Dorf. Etwa im „Solzer“ oder im „Wein Dünker“. Und wenn Sie’s wilder möchten … aber finden Sie’s selbst heraus, es lohnt sich.

Bevor Sie an Ihrem ersten Arbeitstag bei der Frankfurter Mordkommission antreten, machen Sie die Nacht durch – und sich dann bei den Nachbarn unbeliebt, weil Sie die Morgendusche mit Metallica übertönen. Lassen Sie irgendeine Gelegenheit aus zu provozieren?
Klare Antwort: nein.

Im Präsidium schauen die meisten erst einmal ein bisschen erstaunt, als Sie ankommen. Sagt uns das mehr über Sie? Oder über Ihre Kollegen, denen ja als Polizisten eigentlich nichts Menschliches fremd sein dürfte?
Na ja, die Menschen müssen ja nicht alle gleich sein und gleich aussehen. Warum sollten also alle Polizisten genau so aussehen, wie man sie sich halt so vorstellt? Ich versuche nur, ein bisschen Farbe reinzubringen. Und wenn es eben Schwarz ist.

Was die Leute im Frankfurter Präsidium veranstalten, wirkt ein bisschen wie eine geschlossene Gesellschaft – off limits für Mara Billinsky. Was ist da los? Wie beurteilen Sie die Lage?
Ich will den Kollegen nur klarmachen, dass sie ein Urteil über mich fällen sollen. Und kein Vorurteil.

Jan Rosen, Ihr Schreibtisch-Gegenüber und Ermittlungspartner mit Faible für V-Ausschnitt-Pullover in blumigen Tönen von Flieder bis Brombeer – ein rotes Tuch für Sie?
Seine Pullover in jedem Fall. Der Rest an ihm? Nun ja, ein bisschen mehr Bulle könnte er schon sein. Vielleicht kann ich ihm ja auf die Sprünge helfen.

„Womöglich zeigt’s der Spatz noch allen.“

Jan wird von den Kollegen „Spätzchen“ genannt. Wie hat er sich das eingehandelt? Und sehen Sie eine Chance auf Rehabilitierung?
Das ist – indirekt – auch wieder meine Schuld. Weil ich die Krähe genannt werde. Der arme Kerl. Aus einem Spatz wird wohl nie ein Falke werden. Aber jetzt will ich nicht selber ein Vorurteil haben. Mal sehen, womöglich zeigt’s der Spatz noch allen.

Hinter Ihrem Rücken beginnen die anderen Kollegen wie Krähen zu krächzen. Was lässt sich aus diesen kleinen Ausfällen über die Hackordnung im Präsidium schließen?
Dass sich an der Hackordnung schnellstens was ändern muss.

Der namhafte Evolutionsbiologe Reichholf spricht im Zusammenhang von rabenschwarzer Intelligenz. Klingt schon besser, oder?
Ganz ehrlich, am Anfang ging es mir total auf die Nerven, als Krähe verschrien zu sein. Aber inzwischen … Irgendwie gefällt es mir sogar, das mit der Krähe. Wissen Sie was? Sollte ich hier in Frankfurt nicht untergehen, werde ich mir eine Krähe tätowieren lassen.

Ihr Autor scheint ja auch ein besonderes Verhältnis zu Krähen zu haben. Was fasziniert ihn?
Wahrscheinlich dasselbe wie mich. Das Düstere, Unheilvolle, das von diesen Tieren ausgeht. Sie sind schlaue zähe Kreaturen, die nicht so leicht aufgeben. Auch genau wie ich. Nur dass ich mehr Humor habe. Meistens jedenfalls.

Obwohl Sie eigentlich bei der Mordkommission sind, werden Sie mit Einbruchsfällen abgespeist – und landen bei Ihren Ermittlungen da, wo Sie einst als Jugendliche gestrandet sind: bei Hanno Linsenmeyer. Seine Rolle in Ihrem Leben?
Hanno war immer eine wichtige Stütze für mich – die einzige. Er ist nicht nur ein Mensch mit Idealen, sondern auch mit dem Mut, sich für sie einzusetzen. Jemanden wie ihn gibt’s selten.

„Kleine Gemeinheiten erhalten die Feindschaft.“

Irgendwann bekommen Sie dann doch einen Mordfall übertragen. Ein Vertrauensbeweis? Oder eine Gemeinheit, weil die anderen einfach nicht weiterkommen?
Kleine Gemeinheiten erhalten die Feindschaft, sage ich nur.

Ihr spontaner Eindruck angesichts des ersten Mordopfers und der Tatort-Fotos?
Gut, dass Jan Rosen sie nicht ansehen musste. Bei seinem empfindlichen Magen.

Es bleibt nicht bei einem Mord, sondern bald wird es eine Serie. Was macht Sie besonders wütend?
Ungerechtigkeit. Gewalt. Hinterhältigkeit. Zu viel Bürokratie. Leute, die sich wegducken. Man kann mir vielleicht einiges vorwerfen, aber nicht dass ich mich wegducke.

Je tiefer Sie eintauchen in Ihre Ermittlungen, desto unheimlicher wird das Ganze. Und desto fragwürdiger. Was fällt Ihnen da noch ein zu Recht und Gerechtigkeit?
Gar nichts. Aber ich gebe nicht auf und mache weiter. Und darauf kommt es doch an.

„Besessen sein und besessen bleiben.“

Dienstvorschriften sind nicht unbedingt Ihr Ding. Nach welchen Regeln leben Sie?
Manche sagen, dass die einzigen Regeln, die ich befolge, meine eigenen sind. Aber das stimmt nicht. Na ja, vielleicht ein bisschen. Mein Antrieb? Dass alles verdammt schnell vorbei sein kann. Jede Sekunde kann die letzte sein. Das darf man nicht vergessen. Man muss jeden Augenblick nutzen, besessen sein und besessen bleiben.

Sie verfolgen nachts in einer einsamen Gegend mutterseelenallein drei nicht eben vertrauenserweckende Typen. Lebensmüde?
Weder lebensmüde noch todesmutig. Manchmal muss man eben dahin gehen, wo es wehtun kann. Das ist der Job, das ist das Leben.

Eine etwas undurchsichtige Rolle spielt ein gewisser Carlos Borke. Welche?
Das wüsste ich auch gern. Ja, Borke. Ich glaube, ich hasse ihn. Jedenfalls manchmal. Und ich glaube, ich liebe ihn. Jedenfalls manchmal. Aber sagen Sie ihm das bloß nicht.

Sie wären nicht die Erste, die bei Carlos Borke schwach wird. Was macht seinen Charme aus? Was macht ihn für Sie persönlich unwiderstehlich? Und was spricht eigentlich dagegen, der Versuchung nachzugeben?
Borke ist unangepasst, eigensinnig. Ein Außenseiter und Einzelgänger. So wie ich. Deshalb passen wir zusammen – und deshalb passen wir nicht zusammen. Es ist zum Verrücktwerden. Der Versuchung nachgeben? Das Leben ist zu kurz, um ihr nicht nachzugeben. Aber trotzdem muss man immer hellwach bleiben, stimmt’s? Vor allem bei einem Mann wie Borke.

„Frankfurt ist mein Revier.“

Ihre Probleme als Kommissarin werden nicht weniger, sondern eher mehr. Ihr Chef Klimmt würde Sie am liebsten erwürgen. Warum sind Sie nach Ihrer eigenen Überzeugung trotzdem genau am richtigen Platz?
Wie ich schon sagte, Frankfurt ist mein Revier. Ich habe mir die Stadt nicht ausgesucht, sie hat sich mich ausgesucht. Das wird Klimmt schon noch lernen. Na ja, muss er ja wohl.

Nach einer Beförderung für Sie sieht es nicht gerade aus, aber so schnell wird Ihr Chef Klimmt Sie nicht los, oder? Ihre Zukunftspläne?
Einfach gesagt: Nicht nachgeben, sondern Gas geben!

Viele sagen ja, mit Ihnen sei nicht gut Kirschen essen. Trotzdem besteht am Schluss die Aussicht auf Schnitzel für drei – mit Frankfurter Soße. Ihr ultimativer Tipp, um dem Gericht das gewisse Etwas zu verleihen?
Mit Frankfurter Soße ist natürlich die Grie Soß’ gemeint. Noch ein Grund, in Frankfurt zu bleiben. Und dazu gehört unbedingt ein Mispelsche zum Runterspülen. Das ist ein Calvados mit einer eingelegten Mispel, einer kleinen Frucht, die es durch den Calvados ganz schön in sich hat. Auch genau wie ich.