Typisch weiblich, sich zuständig zu fühlen, dass es allen gut geht? Sich um alles zu kümmern bis zur völligen Erschöpfung? Was bleibt auch anderes übrig? Mareike Fallwickl hat es bis zur letzten Konsequenz durchgespielt in ihrem neuen Roman über drei Frauen, für die es eben nicht mehr weitergeht wie bisher. „Die Wut, die bleibt“ ist radikal, emotional, sprachlich brillant, kurzum: charakteristisch für die Salzburger Autorin, Mutter zweier Kinder und leidenschaftliche Literaturvermittlerin, für die Lesen ein Lebenselixier ist. Schreiben ebenfalls.

Was hat es Ihnen wichtig gemacht, genau diesen Roman zu schreiben?
Anfang 2021, mitten im Lockdown, habe ich täglich Nachrichten von Freundinnen bekommen, die auch Mütter sind und mir schrieben: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich spring einfach vom Balkon.“ Und ich habe plötzlich gedacht: Was, wenn eine Mutter das wirklich tut? Wenn ich vom krassestmöglichen Punkt ausgehe und anfange zu erzählen, was geschieht dann, wo führt mich das hin?

„Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!“

Wie würden Sie Ihr Hauptthema auf den Punkt bringen?
Der Roman spielt mit den Erwartungen und Rollenbildern in Bezug auf Frausein und Mutterschaft. Indem die Mutter sich entzieht, kann ich aufzeigen, wie groß die Lücke, die sie hinterlässt, tatsächlich ist, und warum. Erzählt wird aus der Sicht ihrer besten Freundin Sarah, die keine Kinder hat, und aus der Sicht der Tochter Lola, die sich radikalisiert. Hier leuchtet vor allem die Frage heraus: Wohin mit der weiblichen Wut, die in unserer Gesellschaft keinen Platz hat?

Wie Helene in Ihrem Roman verbinden Sie Familie und Beruf. Was machen Sie und Ihre Familie anders?
So gut wie alles. Seit der Geburt unseres ersten Kindes teilen mein Mann und ich uns die gesamte Fürsorgearbeit 50:50. Einer verlässt das Haus, um zu arbeiten, der andere kümmert sich daheim um die Kinder, den Haushalt, das Essen, die Wäsche, die Hausaufgaben, den Musikunterricht, und am nächsten Tag tauschen wir.

„Wir teilen die gesamte Fürsorgearbeit 50:50.“

Im Zentrum Ihres Romans stehen grundverschiedene weibliche Charaktere. Worauf kam es Ihnen bei ihren Perspektiven an?
Ich wollte mit Sarah eine kinderlose Frau Ende dreißig, deren Zeitfenster sich schließt, in diese Extremsituation werfen, dass sie sich plötzlich um die Kinder ihrer besten Freundin kümmern muss, um das Aufopferungsvolle zu zeigen, das Frauen zu eigen ist bzw. das ihnen bereits in frühester Kindheit eingeprägt wird. Ihr gegenüber steht mit Lola eine sehr junge, informierte und emanzipierte Frau, die einerseits Sarah aufzeigt, wie patriarchatsgetrieben ihr Verhalten ist, andererseits ihre eigene Konfliktsituation erlebt, weil sie in ihrer Wut zu weit geht.

Welche Rollenmuster und -zuschreibungen hatten Sie hauptsächlich im Blick?
Der Roman beleuchtet in erster Linie die massive Last, die – nicht zuletzt in der Pandemie – auf den Schultern der Mütter liegt und als Selbstverständlichkeit betrachtet wird. Gleichzeitig geht es um den Druck, unter dem kinderlose Frauen stehen, weil sie sich permanent rechtfertigen müssen. Und nicht zuletzt kommt die weibliche Wut zur Sprache, die schon kleinen Mädchen ausgetrieben wird – ein sehr geschickter Schachzug. Denn wer nicht zornig sein darf, kann auch nicht aufbegehren.

 

„Ohne das Lesen hätte ich nicht angefangen zu schreiben.“

Helenes Tochter Lola ist leidenschaftliche Vielleserin. Und Sie?
Lesen bedeutet mir alles, es gibt mich nicht ohne Literatur. Und ohne das Lesen hätte ich nicht angefangen zu schreiben: Mit acht Jahren dachte ich bei Michal Endes Unendlicher Geschichte: Wenn man das mit Worten machen kann, ganze Welten erschaffen, dann will ich das auch. Heute stelle ich auf jedem verfügbaren Kanal Bücher vor, rege die Menschen zum Lesen an und lege den Fokus auf weibliche Erzählstimmen.

Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für Lola und Sarah?
Lola als Figur hat ein großes Sendungsbewusstsein, sie ist eine sehr junge Feministin, während Sarah für jene Frauengeneration steht, die gern denkt, „ist doch alles nicht so schlimm“ und „wir sind eh fast gleichberechtigt, mehr geht eben nicht“. Diese Frauen will ich erreichen. Ihnen möchte ich diesen Roman vor Augen halten und sagen: Bitte schaut mal ganz genau hin. Im Buch ist das deshalb die größte Herausforderung für Sarah: mit alten Glaubenssätzen aufzuräumen und die Wahrheit zu sehen. Während Lola einen Weg finden muss, ihren Zorn in die richtigen Bahnen zu lenken.

Die Aufschrift auf Ihrem T-Shirt könnte man als Anspielung auf einen alten Song von Cindy Lauper verstehen. Worauf kommt es Ihnen an?
Das Shirt sagt „Girls just wanna have fundamental rights“ und ist ebenso ein Wortspiel wie eine zutiefst tragische Aussage: An sehr vielen Orten auf dieser Welt haben Frauen nämlich keinerlei Rechte, werden nicht behandelt wie Männer – ja, nicht einmal wie Menschen.

Sie widmen Ihren Roman Ihrer Tochter. Was versuchen Sie ihr vorzuleben und mitzugeben?
Es ist interessant, dass mir diese Frage sehr oft gestellt wird. In Wahrheit ist derjenige, bei dem ich ansetze, mein Sohn. Ich zeige meiner Tochter, dass sie selbstbestimmt sein darf, und meinem Sohn, dass er Grenzen respektieren muss. Natürlich können wir unsere Töchter in Selbstverteidigungskurse schicken und ihnen erklären, wie sie sich schützen sollen, aber ich finde: Unsere Verantwortung liegt darin, unsere Söhne zu besseren Männern zu erziehen, für die Gleichberechtigung keine offene Frage, sondern eine Selbstverständlichkeit ist.

Unser Extra-Tipp:

Jeden ersten Donnerstag empfehlen Mareike Fallwickl und Florian Valerius neue Bücher im Livestream „Das Goscherl und der Nerd“ auf Instagram!