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DREI OSCARS, drei Golden Globes, der Palm Dog Award bei der Uraufführung 2019 in Cannes, weitere 130 Auszeichnungen und 360 Nominierungen für „Once upon a Time in Hollywood“. Ein Sensationserfolg für Quentin Tarantino (Drehbuch, Regie und Produktion). Doch noch viel größer als im Film ist sein Ideenrepertoire als einer der größten Geschichtenerzähler unserer Zeit in seinem ersten Roman: „Es war einmal in Hollywood“. Hinter der deutschen Ausgabe steht ein Dream-Team: Stephan Kleiner (SK) und Thomas Melle (TM) als Übersetzer.
Welche cineastische Bedeutung hat Quentin Tarantino für Sie persönlich?
SK: Sein Meta-Kino trug maßgeblich Schuld daran, dass ich in jungen Jahren auf die schiefe Bahn – Medienwissenschaft, Schwerpunkt Literatur und Film – geriet.
TM: Er ist einer der größten Meister in der Kunst, extreme und extrem starke Bilder für innere oder äußere Zustände und Prozesse zu finden.
Wann und wie haben Sie Ihre Begeisterung für Tarantinos Filme entdeckt und welcher ist Ihr Favorit?
SK: Mit 18 sah ich „Reservoir Dogs“ auf Video, mit 19 und schweißnassen Händen dann „Pulp Fiction“ im Kino. Danach war nichts mehr wie vorher. „Once Upon a Time in Hollywood“ ist für mich sein stärkster Film seither, inzwischen vielleicht sogar mein allerliebster.
TM: „Pulp Fiction“ 1995 in Tübingen; „Kill Bill“ 1 & 2.
Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie den Übersetzungsauftrag bekamen?
TM: Große Euphorie. Dann im Laufe des Übersetzungsprozesses: eine Art Trotzreaktion. Deshalb musste Stephan mehr übernehmen als ursprünglich geplant und hat das dankenswerterweise auch gestemmt.
SK: Ich schrieb der Lektorin: „Du spielst aber nicht nur mit meinen Gefühlen, oder? Das wäre ein grausamer Scherz.“
Wie deuten Sie Ihre Aufgabe als Übersetzer generell und wie als Tarantinos deutsche Literaturstimme?
SK: Als Übersetzer bin ich der Botschafter des Autors in unserem Sprachraum. Tarantino übersetzen heißt abwägen, wann ich die hohe Kunst der Diplomatie pflegen muss und wann ich auch mal auf die, ähm, Sahne hauen darf.
TM: Den Stil des Originals so gut wie möglich transponieren, egal ob bei Tarantino oder anderswo.
„Er plottet unglaublich gut …“
Was hat Sie bei der Lektüre des Romans am meisten beeindruckt und was am meisten überrascht?
TM: Tarantino ist ein genuiner Erzähler, der auch einen Roman mühelos bespielen kann. Er plottet unglaublich gut, und der Sprachstil ist straight, aber genau und in der wörtlichen Rede wahnsinnig individuell, was die Tonart jeder Figur angeht. Alles in allem hatteich das nicht unbedingt erwartet, und das war eine Art Überraschung, die mich sehr freut.
SK: Tarantinos stupendes Filmwissen hat mir klargemacht, dass der Begriff „wandelndes Lexikon“ viel zu oft leichtfertig verwendet wird. Am überraschendsten war vielleicht, was damals auf dem Boot mit Cliffs Frau wirklich geschah – nachzulesen in Kapitel 10.
Was ist für Sie das Typische an Tarantinos Tonlage als Autor?
SK: Der gute Fluch zur rechten Zeit. Die funkensprühenden Dialoge. Das Spiel mit den erzählerischen Ebenen und die sukzessive Auflösung ihrer Grenzen. Die Faust im Bauch des Lesers und dann wieder die überraschende Sanftheit seinen Figuren gegenüber – er ist der Harte und der Zarte in einer Person.
„Von der Lust am Pulp getragen.“
Quentin Tarantino erzählte, dass die ersten Bücher für Erwachsene, die er als Kind gelesen hat, Filmromane waren, und er dieses Genre bis heute liebt. Wie prägt dieses Faible sein Romandebüt?
TM: Indem es natürlich erstens ein Filmroman IST und zweitens in diesem Filmroman immer eine Kameraperspektive eingenommen wird. Das Buch hat nicht ein Sprachzentrum, sondern einerseits ein visuelles und andererseits ein storygetriebenes Zentrum. Nach all der Sprachlastigkeit der mitunter gerade hierzulande langweiligsten Literaturformen ist dies sehr dynamisch und einfach toll erzählt.
SK: Der Roman ist von der Lust am Pulp getragen und kokettiert mit der Gattung „Buch zum Film“, ist aber zugleich viel mehr als das und fügt der filmischen Vorlage tatsächlich eine völlig neue Dimension hinzu. Oder zwei. Oder drei.
„Es war einmal in Hollywood“ bietet die unterschiedlichsten Lesarten an. Welche Deutung entspricht Ihnen am meisten und was ist für Sie die Hauptsache?
SK: Es ist ein Schwanengesang, eine wehmütige Liebeserklärung an die Ära nicht nur des Westerns, sondern auch des großen Studiofilms, die unwiederbringlich verloren ist. Und zugleich ein modernes Märchen, ein großes Was-wäre-wenn, inklusive Rettung der Prinzessin vor dem Bösen.
„Es war einmal …“ spielt im Jahr 1969. Was ist für Sie der prägende zeitgeschichtliche Hintergrund im Roman?
TM: Roman Polański und die Manson-Morde. Bei Tarantino ging es in den letzten Filmen immer um eine Art rewriting of history – wie es hätte besser laufen können. So auch hier.
SK: Das Ende der Unschuld. Joan Didion schrieb über die Manson-Morde, für viele hätten die Sechziger an diesem 9. August schlagartig geendet. Als Sharon Tate im Roman überlegt, warum sie eine junge Anhalterin denn nicht mitnehmen sollte, heißt es: „Ein Jahr später würde die Antwort darauf lauten: Weil dich diese Anhalterin umbringen könnte.“ Dass Film und Roman auf dieser Klinge tanzen, darin liegt ihre traurige Schönheit.
„Mit nicht nur einem Mord davongekommen.“
Nach dem Abschluss des Films drängte es Tarantino, seine „Figuren und ihre Welt in einem literarischen Unterfangen weiter zu erforschen“. Woran ist das für Sie am deutlichsten ablesbar?
SK: Das Spannendste war für mich, in die Vergangenheit des Stuntmans Cliff Booth einzutauchen, der in seinem Leben mit nicht nur einem Mord davongekommen ist. Aber auch z. B. in Bezug auf Rick Daltons psychische Verfasstheit macht der Roman einiges explizit, was im Film nur angedeutet wurde.
Die beiden männlichen Hauptpersonen sind ziemlich unterschiedliche Charaktere. Was verkörpern sie für Sie und was macht die zwei als Duo interessant?
SK: Die Mischung aus Arbeitsbeziehung und wahrer Freundschaft, die die beiden verbindet, ist so einzigartig wie anrührend. Sie verkörpern das platonische Ideal: Rick ist der labile Star und Cliff sein Fels in der Brandung – Stuntman, Laufbursche, bester und vielleicht einziger Freund. Wobei man auch Cliffs Freundschaft zu seiner Hündin Brandy nicht vergessen sollte, die wir im Roman ebenfalls näher kennenlernen.
TM: Charaktere sind Charaktere und als solche eher keine Typen oder Verkörperungen. So kommt mir das auch hier vor, und das ist als Kompliment für den Roman gemeint.
Wie viel Hommage steckt für Sie in dem Roman? Und wieviel Entmystifizierung?
SK: Zu 96 % Hommage und zu 2 % Entmystifizierung.
TM: Finde ich auch. Sehr viel Hommage, eher keine Entmystifizierung, nur ein großer Realismus bis Hyperrealismus – also keine Verklärung, alles andere als das. Die Übertreibung gehört zur genauen Hommage. Und dann ist es natürlich ein originaler Tarantino – eh eine Sensation.
„Als wäre er dabei gewesen.“
Was ist für Sie das Spannende daran, wie Tarantino hinter die Kulissen blickt?
SK: Dass es wirklich ist, als wäre er dabei gewesen – und wir mit ihm, obwohl er damals erst sechs Jahre alt war.
TM: Da er selbst dieses Hinter-den-Kulissen natürlich als Hollywoodregisseur genauestens kennt, habe ich aus genau diesem Insider-Wissen, zusammen mit seiner präzisen Imagination und seinem Humor, sehr viel erfahren.
Welche Romanfigur hat für Sie den interessantesten Blick auf die Filmwelt?
TM: Polański. Aber der wird ja nur von außen betrachtet. Eben.
Wer dürfte Tarantino am meisten aus dem Herzen sprechen?
SK: Das tun sie in gewisser Weise wohl alle, von der ehrgeizigen Kinderschauspielerin Trudi Fraser, einer seiner wunderbarsten Schöpfungen, bis hin zum Barpianisten, einer Hommage an Tarantinos eigenen Stiefvater.
„Popkulturelle Begeisterung für Marken.“
Als Regisseur ist Tarantino bekannt für seine Liebe zum stilechten Detail, als Autor scheint er dieses Faible ebenfalls zu kultivieren. Was ist dabei seine Kunst und an welchen Beispielen zeigt sich das für Sie am schönsten?
SK: Da ist natürlich die popkulturelle Begeisterung für das Nennen und Erfinden von Marken, die selbst schon zum Markenzeichen geworden ist. Aber auch Musik spielt im Roman eine ebenso große Rolle wie in all seinen Filmen und trägt immens zum Zeitkolorit bei. An Polanski soll er nur die Frage gerichtet haben, ob dieser mit seiner Frau beim Autofahren Radio gehört habe.
Welchen Stellenwert hat der Film für Sie als literarische Übersetzer?
SK: Der Film hat mir geholfen, ein Gefühl für die Figuren zu entwickeln, mir vorzustellen, wie jemand, der so aussieht, sich so bewegt, wohl auf Deutsch klingen würde. Die atmosphärische Inspiration lieferte allerdings eher der Soundtrack. Wenn der durchs Haus schallte, wusste meine Familie: Ah, jetzt ist er wieder im L. A. des Jahres ‛69.
TM: Unbedingt ist der Film die Vorlage. Und ich habe mir natürlich alle Filme von ihm noch einmal angesehen sowie wieder viel über ihn gesehen und gelesen.
„Alle Filme des Meisters noch mal angesehen.“
Was waren bei der Einarbeitung in Tarantinos Sprachwelt, in den Hollywood-Branchenjargon und den Alltagsslang Ihre wichtigsten Quellen?
SK: Zur Einstimmung habe ich mir alle Filme des Meisters nochmals angesehen und alles inhaliert, was ich an Informationen zu „Once Upon a Time …“ finden konnte. Darüber hinaus hat sich mein Studium tatsächlich mal bezahlt gemacht. Und da ich zuletzt das Romandebüt des Drehbuchautors Charlie Kaufman übersetzt hatte, war ich eh schon gut im Thema.
Welches Vorgehen bewährt sich bei Ihnen als Übersetzer?
TM: Gibt es nicht.
SK: Denken, tippen, durchlesen, abgeben, Lektorat kritisch beäugen, Fahnen noch kritischer, warten, fertiges Buch bekommen, freuen, ins Regal stellen und niemals wieder aufschlagen, weil man trotz allem sofort einen Tippfehler sieht.
Wie dürfen wir uns Ihre Zusammenarbeit vorstellen?
SK: Wie die zwischen zwei versierten Zugpferden – mit einer Lektorin auf dem Kutschbock, die Zuckerbrot und Peitsche geschickt einzusetzen wusste. Die Arbeitsaufteilung erfolgte nach Kapiteln – man beachte: In 9,5 Wochen.
TM: Das war durch die Kürze der Zeit eher druckvoll inspirativ. Will sagen: Wir waren ziemlich am Limit.
„,Fucking‘ in all seinen Schattierungen.“
Was erwies sich als größte Herausforderung beim Übersetzen?
SK: Die nuancierte Wiedergabe des verstärkenden Adjektivs fucking in all seinen Schattierungen.
Und was hat Ihnen am meisten Vergnügen gemacht?
SK: Die nuancierte Wiedergabe des verstärkenden Adjektivs fucking in all seinen Schattierungen.
TM: Alles, jetzt, wo es fertig ist.
Im Roman wird nicht gerader wenig getrunken und ständig geraucht. Was waren Ihre Lebenselixiere beim Übersetzen?
TM: Trinken und Rauchen.
SK: Big-Kahuna-Burger, Teriyaki-Donuts, Old-Chattanooga-Bier und “Red Apple”-Zigaretten.
Mit welcher Romanfigur hätten Sie sich am liebsten zu einem Drink verabredet? Wo, was und warum?
TM: Polański.
SK: Ich würde neben Rick Dalton im aufblasbaren Sessel auf dem Pool treiben und einen vierfachen Whiskey Sour aus dem deutschen Steinkrug trinken, und zwar allein aus Recherchegründen.