Ob Kurz- oder Langstrecke: Mit Wigald Boning sind wir auf dem richtigen Weg. Bestens bekannt als eines der größten TV-Multitalente, ist er nun auch als höchst unterhaltsamer Autor auf Erfolgskurs: Prompt zum Bestseller wurde „Lauf, Wigald, lauf“ über sein Marathon-Jahr: 52-mal 42 Kilometer. Jetzt schaltet er einen Gang herunter und bringt uns auf Trab – mit seinem neuen Buch „Der Fußgänger. Eine bodenständige Philosophie des Wanderns“.

In Oldenburg, wo Sie aufgewachsen sind, ist es üblich, „um den Pudding zu laufen“, Was hat es damit auf sich und haben Sie es sich heute schon gegönnt?
Ich habe bis heute nicht die geringste Ahnung, worauf sich dieses „Pudding“ bezieht. Vielleicht eine kleine, aber dennoch den Bewegungsdrang sättigende Runde?

Ihr Buchtitel ist ein Selbstbekenntnis. Was für ein Typ Fußgänger sind Sie?
Ich bin glücklich, wenn ich mich aus eigener Kraft fortbewegen kann und darf. Die weiteren Einzelheiten sind gar nicht so wichtig.

Und auf welches Durchschnittspensum kommen Sie als Fußgänger?
Irgendwas zwischen 6 und 60.000 Schritte, je nachdem, was mein Sportprogramm vorsieht und wie viele Erledigungsgänge anstehen.

„Alles Missionarische ist mir fremd.“

Haben Sie einen Deal mit dem Gesundheitsministerium oder sind Sie Überzeugungstäter?
Alles Missionarische ist mir fremd. Ich will und kann nur für mich und meine Überzeugungen sprechen.

Im Prolog sprechen Sie vom Gehen als „Akt der Liebe“. Wie meinen Sie das?
Auf verschiedenen Ebenen. Eine davon: Partnersuche ist – neben Hunger – für unsere Vor-Vorfahren ein Hauptgrund gewesen, sich von A nach B zu bemühen. Das schwingt heute noch mit.

Und Sie würdigen die Vorläufer, und zwar erst einmal die historischen in der Romantik. Was waren Antrieb und Verdienst der Dichter und Denker von damals und was bedeuten sie für uns heute?
Sich auf den Weg zu machen, womöglich allein, um Fremd- und Einsamkeit zu erleben, das ist eine kühne Idee, die weiterhin aktuell ist.

Einen Sonderstatus schreiben Sie Johann Georg Seume zu. Was imponiert Ihnen an ihm als Wanderer und Reiseliterat?
Über eigene Wanderungen schreiben ist ja ähnlich wie Schachboxen: Das eine ist der zurückgelegte Weg, die km-Leistung, das andere ist die Disziplin, das Erlebte zu einem interessanten Text zu verarbeiten. Der „Spaziergang nach Syrakus“ ist hierin eine Meisterleistung, der Grundstein der modernen Wanderliteratur, ja, der Reisereportage überhaupt.

„Es gab und gibt legendäre Weihnachts­wanderungen.“

Auch in Ihrer eigenen Biografie reicht die Wandertradition weit zurück. Was war Familientradition?
Jeden Sonntag wurde mit Papa gewandert, zumeist irgendein Rundkurs im Oldenburger Land. Daneben gab – und gibt – es Wanderurlaube und legendäre Weihnachtswanderungen.

Was hat Sie als Kind und sogar als Jugendlicher oder bekennender Halbstarker am Wandern begeistert?
Ich konnte mich angenehm ermüden, Landschaften, große und kleine Sehenswürdigkeiten und nicht zuletzt mich selbst kennenlernen. Später kam noch der Lockruf der Berge hinzu.

Und was hat sich bei Ihnen als Vater bewährt, um den Nachwuchs fürs Wandern zu gewinnen?
Alles beruht auf Freiwilligkeit. Und auf launigen Gesprächen.

Sie bezeichnen Ihren Vater als Ihr Vorbild. Was macht ihn dazu?
Mein Papa war (und ist!) ein Naturbursche in Nadelstreifen. Als Bankkaufmann ging er morgens zur Arbeit, abends zurück – sein gesamtes Berufsleben lang, ohne Ausnahme. Diese Beständigkeit erfüllt mich mit maximalem Respekt – unter anderem.

Im Alltag scheinen Sie nach der Devise zu leben: Wo ein Wille ist, ist auch ein Wanderweg. Was haben Sie sich zur Gewohnheit gemacht?
Für mich sind die Wege von und zur Arbeit mitunter Tageshöhepunkte, zumal, wenn sie lang sind und gerne auch ein wenig Naturerlebnis beinhalten. Vom Morgennebel über Schneeregen bis zum Glühwürmchenschwarm ist mir alles willkommen.

Was ist es wert, früher aufzustehen, um zu Fuß zu gehen? Was bewirkt es bei Ihnen Positives?
Ich bin oft sehr früh wach, sagen wir mal vier Uhr. Früher habe ich mich geärgert, dass ich nicht wieder einschlafen konnte. Heute weiß ich die Zeit zu nutzen. Es ruft keiner an, und ich liebe Sonnenaufgänge.

„Der gepflegte Schaufensterbummel wird unterschätzt.“

In Ihrem Buch bieten Sie auch Inspirationen für Wanderungen. Was eignet sich besonders für weniger trainierte Naturelle?
Der gepflegte Schaufensterbummel durch die Innenstadt wird unterschätzt – und ist im Zeitalter des Online-Handels womöglich eine aussterbende Kulturtechnik.

Und welche Herausforderung empfehlen Sie fortgeschrittenen Wanderfreunden?
Auf das Auto weitestgehend zu verzichten ist schon eine stattliche Aufgabe. Der blanke Versuch ist bereits spannend und lehrreich.

Unter dem Motto „Wohin wandern“ findet sich auch ein „Rotlicht-Report“. Wie hat der sich denn da reingemogelt beziehungsweise wohin hat es Sie verschlagen?
Nachtwandern kann man mit Stirn- oder Taschenlampe, indoor, etwa im Transitbereich großer Flughäfen oder eben in jenen Stadtvierteln, die die Nacht zum Tage machen. St. Pauli ist diesbezüglich natürlich ganz vorne!

Die Auswahl für Outdoor-Projekte wie Wandern ist riesig. Was gehört zu Ihrem persönlichen Standard?
Sie meinen Produkte? Ich mag gerne atmungsaktive Oberhemden, die man trotz ihrer sportlichen Tauglichkeit mit Krawatte tragen kann – vielleicht ein Erbe meines Vaters. Außerdem kann ich mich für altertümliche Ranzen und Rucksäcke begeistern – aber die findet man eher auf Flohmärkten und im Jagdgeschäft – so wie auch eine Jagdkotze, ein, wie ich finde, unterschätztes Kleidungsstück.

Selbst einen Wanderprofi wie Sie drückt ab und zu der Schuh, wie Sie unter der Leverkusener Autobahnbrücke feststellten. Was empfehlen Sie, um vorzubeugen?
Blasenpflaster sind eine großartige Erfindung, ja, sie haben meine Gehpflogenheiten revolutioniert – ich habe praktisch gar keine Angst mehr vor Blasen. Draufkleben, Problem gelöst.

Auf Ihrem Foto vor dem Metropolitain Museum demonstrieren Sie eine puristische Lösung. Wie kam es dazu und welche Überzeugung steht dahinter? Was macht Sie zum überzeugten Barfuß-Botschafter?
Haha, das ist die Metro-Station am Place de la République. Wer mal ein paar Wochen barfuß unterwegs ist, lernt, dass Schuhwerk in den meisten Situationen verzichtbar ist, und dass andererseits viele Mitmenschen auf die Barfüßigkeit mit Unverständnis reagieren. Letzteres ist in Paris, der Hauptstadt der Mode, besonders stark ausgeprägt.

„In der Regel gehe ich gedankenlos …“

Ein Kapitel widmen Sie den „Gehgedanken“. Wie bekommen Sie am besten den Kopf frei?
Eine repetitive Bewegung im aeroben Bereich entführt mich zuverlässig aus dem Alltag. In der Regel gehe ich eher gedankenlos, was ich als sehr erholsam empfinde. Ab und an kommt mir aber doch ein brauchbarer Gedanke, fast wie aus Versehen – etwa meine Gedichte über deutsche Fließgewässer.

Wie gelingt Ihnen in Zeiten von „Speed-Hiking“ dennoch Entschleunigung?
Ach, gemessen am Autoverkehr ist auch der rasanteste „Speed-Hike“ langsam. Das Gefühl der Erholung erwächst eher aus der Bewegungsmeditation: Ich gehe „mein“ Tempo. Ein Akt der Selbstbestimmung.

Wie haben Sie es während der Arbeit an Ihrem Buch vermieden, zum „eingerasteten Sitzmenschen“ zu werden? Was würden Sie aus eigener Erfahrungen Menschen mit einem Schreibtisch-Job raten?
Auch hier wieder: Weg mit dem Auto, wenn irgend möglich, Arbeitswege zu Fuß erledigen.