Liebe LeserInnen, die Idee für „Die Gedanken sind frei“ kam mir während des ersten Corona-Lockdowns im März 2020. Dass der Einzelhandel und somit auch alle Buchhandlungen abrupt schließen mussten, war vor allem für jene AutorInnen, die gerade eine Neuerscheinung auf den Markt gebracht hatten, ein schwerer Schlag. Denn es gibt keine bessere Werbung als große Bücherstapel in den Geschäften, wo sich interessierte LeserInnen durchs aktuelle Angebot schmökern können. Doch bald zeigte sich, dass sich die Buchbranche so schnell nicht unterkriegen ließ. Die Verlage und Buchhändler entwickelten viele unkonventionelle Ideen, wie sich die Bücher doch an den Mann und die Frau bringen ließen. Dieser Erfindungsreichtum hat mich begeistert und mich als Historikerin zugleich zur Frage geführt, wie denn der Buchmarkt früher auf – oft noch viel schlimmere – Krisen reagiert hat. So hatte ich bald die Figur von Ella Reichenbach vor Augen, die im völlig zerbombten Frankfurter, wo es weder Papier noch funktionierende Druckerpressen gibt, an einem schier unmöglichen Traum festhält: den Verlag ihrer Eltern wieder zum Leben zu erwecken, also auch in einer Zeit des Mangels Bücher herzustellen und zu verkaufen. Und dieser Aufgabe stellt sie sich mit Entschlossenheit, Durchhaltevermögen und viel Fantasie. Mein Roman „Die Gedanken sind frei“ und der Folgeband „Die Welt gehört uns“ ist nichts Geringeres als eine Liebeserklärung an die Welt der Bücher und eine Verneigung vor all jenen, die sie unter die Menschen bringen. Es soll zeigen, dass sie auch in dunklen Zeiten zum Funken werden können – einem Funken, der Mut macht, wärmt und Licht ins Dunkel bringt. Ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung! Ihre Julia Kröhn
Was ist Ihr gelernter Beruf bzw. üben Sie aktuell neben dem Schreiben noch eine weitere berufliche Tätigkeit aus?
Ich bin studierte Lehrerin, ausgebildete Journalistin und war längere Zeit Gastdozentin für kreatives Schreiben an der Universität Salzburg. Im Moment lebe ich aber ausschließlich vom Schreiben.

Würden Sie uns ein wenig von sich persönlich erzählen – von Ihren Hobbys, Ihrer aktuellen Lebenssituation, Ihrem Traum vom Glück …?
Ich bin ein schrecklich neugieriger Mensch, der Informationen wie ein Schwamm aufsaugt und diese nahezu unauslöschlich auf seiner inneren Festplatte abspeichert. So wichtig und inspirierend Kommunikation und Geselligkeit für mich sind, bin ich aber auch bekennende Eremitin, die sich dann und wann strikte Klausur verschreibt und aus dem Alleinsein Kraft und Kreativität zieht. Naja, ganz so streng ist die Klausur seit der Geburt meiner Tochter natürlich nicht. Seitdem bin ich nicht nur Autorin, sondern auch Mutter aus Leidenschaft, und da ich mich nicht in zwei Hälften teilen kann und man zudem als halbierte Person weder zum einen noch zum anderen taugt, zieht das einen Dauerspagat mit sich. Aber das hält immerhin gelenkig. Ich entspanne mich beim Lesen, Spazierengehen und auf dem Stepper, mache gerne Gymnastik und Hanteltraining und bin bekennender „Netflix-Junkie“.

Womit kann man Sie wütend machen und richtig auf die Palme bringen?
Geduld gehört leider nicht zu meinen Stärken – das zeigt sich oft beim Autofahren. Oder bei Bahnreisen, wenn andere Passagiere enervierend langsam ihr Gepäck verstauen und blind für die Schlange sind, die sich hinter ihnen bildet …

Haben Sie ein Lebensmotto?
„Der Künstler ist nichts ohne die Begabung, aber die Begabung ist nichts ohne Arbeit.“ (Émile Zola). Sprich: Nicht nur die Liebe zum und das Talent fürs Schreiben haben mich zu der gemacht, was ich bin, sondern auch meine preußische Disziplin (und das, obwohl ich meines Wissens gar keine preußischen Gene habe.

Wofür engagieren Sie sich? Welche Organisation oder welches Projekt würden Sie gerne unterstützen – oder tun dies bereits?
Jede Organisation, die sich für die Rechte und für die Bildung von Frauen und Kindern einsetzt.

Verraten Sie uns bitte fünf Dinge, die wir noch nicht über Sie wissen:
1. Ich habe zig Stammbäume europäischer Herrscherhäuser im Kopf. Während sich meine Mitschülerinnen seinerzeit für die Mitglieder von Boygroups interessierten, habe ich die Namen der sechzehn Kinder von Kaiserin Maria Theresia auswendig gelernt. Ich kenne sie noch heute.
2. Ich besuche unglaublich gerne alte Friedhöfe. Bis heute rätsle ich, woran die zwanzigjährige Valentine auf dem Friedhof Montparnasse nur drei Monaten nach ihrer Eheschließung gestorben ist. Unfall? Krankheit? Oder wollt etwa ihr Mann die ungeliebte Frau loswerden?
3. Meine erste große Liebe war eine Romanfigur – Herzklopfen inklusive. Die Liaison blieb leider etwas unbefriedigend, aber immerhin wurde ich nicht betrogen.
4. Wenn ich an Originalschauplätzen recherchiere, spiele ich ganze Romanszenen nach (und das nicht unbedingt lautlos). Ich habe schon etliche verwunderte Blicke von Touristen geerntet, die mich wahrscheinlich für geistig verwirrt hielten.
5. Ich spiele vor dem Schreiben manchmal eine Partie Candy Crush oder Spider Solitaire. Sinnentleertes Tun kann die Produktivität und den Wunsch, etwas zu schaffen, ungeheuer steigern.

„Ich habe ‘zig Stammbäume europäischer Herrscherhäuser im Kopf.“

Wie kamen Sie zum Schreiben (vielleicht gibt es ein paar spannende Details, die auch die Medien interessieren könnten)?
Schon im Volkschulalter habe ich verkündet, dass ich mal Schriftstellerin werden wollte. Mit vierzehn Jahren versuchte ich mich dann an meinem ersten „Roman“. Ich habe in den Sommerferien konsequent jeden Tag zwei Seiten geschrieben (mit einer alten mechanischen Schreibmaschine, sodass meine Großeltern keinen wirklich entspannten Mittagsschlaf halten konnten. In den nächsten Jahren blieb ich ähnlich diszipliniert (frei nach dem Motto: „Keine Schokolade, ehe das Tagespensum steht), doch ich habe ausschließlich für die Schublade produziert. Bevor diese endgültig überquoll, gab es Gott sei Dank den ersten Verlagsvertrag, auf den weitere folgten und mich endgültig zur „Schreibaholic“ machten.

Was inspiriert Sie und wie finden Sie Ihre Themen?
Neben dem Schreiben habe ich zwei große Leidenschaften: Das Reisen und die Beschäftigung mit der Geschichte, wobei beides in gewisser Weise zusammengehört. Am liebsten reise ich nämlich an Orte, deren wechselvolle Geschichte spürbar ist. Und fast immer springt mich dann eine Romanidee förmlich an.

Bitte fassen Sie in wenigen Sätzen Ihr aktuelles Buch zusammen:
Mein neues Werk ist eine Dilogie: Der erste Band „Die Gedanken sind frei“ spielt im Frankfurt der Nachkriegszeit, der zweite Band „Die Welt gehört uns“ während der Studentenvolte in den 60er-Jahren. Im Mittelpunkt steht Ella, eine junge Verlegerin, die nach dem Krieg das „Bücherreich“ ihrer Eltern übernimmt – einen Verlag mit angeschlossener Buchhandlung. Trotz aller Widrigkeiten will sie das Unternehmen wieder zum Florieren bringen. Ihr Ziel ist es aber nicht einfach nur, Bücher zu veröffentlichen – sie will ihnen nach allem Schlimmen, was geschehen ist, ihre Seele zurückgeben, da sie in Büchern die Chance sieht, Menschen zu bilden, zum Nachdenken zu bringen, ganz tief zu berühren. Sie sind in ihren Augen nichts Geringeres als ein Werkzeug, um eine neue, demokratische Gesellschaft zu errichten. Dass Bücher nicht einfach nur der netten, oftmals einlullenden Unterhaltung dienen, sondern eine (politische) Botschaft haben, ist ein Thema, dem sich auch Ellas jüngere Schwester Luise in den 60er-Jahren stellt.

Was bzw. welche Szene darin war am schwierigsten zu schreiben?
In meiner Dilogie geht es auch um das Thema „Vergangenheitsbewältigung“, sprich: die Aufarbeitung der Verbrechen der NS-Zeit. Es gibt eine Szene, in der – die diesbezüglich bislang völlig naive – Ella erfährt, was den Juden im Krieg widerfahren ist. Und obwohl ich mich seit Jahrzehnten mit der Shoah auseinandersetze, konnte ich ihren Schock, ihre Fassungslosigkeit sehr gut nachfühlen.

„Bücher sind nicht Denkmäler der Vergangenheit, sondern Waffen der Gegenwart.“

Haben Sie eine Lieblingsszene?
Obwohl sie so schwer zu schreiben waren, weil sie in die Abgründe der deutschen Geschichte führen, sind mir alle Szenen wie die eben genannte sehr wichtig. Mir geht es nicht darum, größtmögliches Grauen zu erzeugen, sondern zu zeigen, wie Ella in ihrer Rolle als Verlegerin und Buchhändlerin wächst und aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen erkennt, welche Macht Bücher haben: Nämlich zu erinnern, zu läutern, zu gemahnen und in gewisser Weise auch zu versöhnen.

Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Ich liebe Viktor, einen jungen Frankfurter Juden, der Auschwitz überlebt hat. Er ist zweifellos schwer traumatisiert, aber kein gebrochener Mensch, sondern ein Kämpfer durch und durch. Klar, sonderlich sympathisch sind seine radikalen Ansichten, seine extreme Feindseligkeit, sein Zynismus nicht – aber ich bewundere ihn für die Kraft, an seinem Traum von einer selbstbestimmten Zukunft in Israel ungerührt festzuhalten. Ich finde es auch wichtig, anhand seiner Figur zu zeigen, wieviel Lebenswille und Stärke in vielen Shoah-Überlebenden steckte.

Gibt es bestimmte geografische Orte, zu denen Sie und Ihr Buch einen besonderen Bezug haben?
Meine Dilogie spielt in Frankfurt – seit über zwanzig Jahren meine Wahlheimat. Ich finde es großartig, über die Stadt, in der ich lebe, zu schreiben und auch zu forschen, weil ich auf diese Weise viel dazulerne und zugleich das Gefühl habe, dass sie mir noch mehr Heimat wird, ich immer tiefer reichende Wurzeln schlage.

Hat Ihr aktuelles Buch autobiografische Züge bzw. lassen Sie persönliche Erfahrungen in die Geschichte einfließen?
Es gibt vor allem ein Thema, bei dem ich mich voll und ganz mit meiner Protagonistin identifizieren kann. Ella setzt sich als Verlegerin und Buchhändlerin zum Ziel, ein sehr dunkles Kapitel der deutschen Geschichte zu beleuchten – mit der Konsequenz, dass sie manche Leute vor den Kopf stößt. Zum einen liegt das daran, dass viele Deutsche nach dem Krieg die unmittelbare Vergangenheit am liebsten verdrängen. Zum anderen gibt es nun mal viele LeserInnen, für die die Lektüre eines Buchs ein Abtauchen in eine heile Welt darstellt und die nicht auf die (oft trostlose) Realität zurückgeworfen werden wollen. Nun ist Letzteres ein Bedürfnis, das ich vollends nachempfinden kann – nur schreibe auch ich Bücher, die nicht gerade die Funktion einer heißen Schokolade haben, also nicht unbedingt den Alltag versüßen und das Leben leichter machen. Vielmehr schreibe ich Bücher, die aufklären wollen, aufrütteln, bewegen. Das Unverständnis, auch die Irritation, auf die Ella stößt, habe ich selber auch schon erfahren, wenn ich sehr realistisch historische Ereignisse geschildert und dabei weder mich noch meine LeserInnen geschont habe.

Möchten Sie Ihren Lesern mit Ihrem aktuellen Buch eine bestimmte Botschaft mitgeben?
Ich habe den beiden Bänden jeweils ein Zitat vorausgestellt – ich denke, trefflicher als mit diesen kann man meine „Botschaft“ nicht auf den Punkt bringen. Das eine stammt aus der Feder von Jean Paul und zeigt m.E., was Bücher einem Menschen eröffnen können: „Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne.“ Das andere von Heinrich Laube unterstreicht, dass Bücher das sind, was ich als „Rüstung des Geistes“ verstehe, nämlich als Beitrag, die Gesellschaft zu ändern: „Bücher sind nicht Denkmäler der Vergangenheit, sondern Waffen der Gegenwart.“